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NEBEN Schauplatz: „Fliag hoam!“

Die deutsch-österreichische Völkerverständigung im Liveticker endet mit einem Verbal-Schlagabtausch

Redaktionsleiter Philip Bauer ahnte wohl, dass es ein Tanz auf dem Vulkan würde. Ein Deutscher schreibt für eine anonyme Schar von österreichischen Usern einen Livekommentar über ein Spiel der Löw-Truppe. Und das, nachdem am frühen Abend Österreich mit viel Pech den Kroaten unterlegen war. Jetzt bloß nicht die ohnehin schon erhitzten Gemüter noch weiter erhitzen. Ich nehme mir also an diesem Abend vor, unsere Kicker nicht zu gut wegkommen zu lassen. Zum Einstieg spreche ich der Community hölzern Mut zu („Lieber Österreicher. Der Geist von Córdoba lebt!“) und werde prompt als „Schleimer“ abgestraft. Der Clou am Liveticker auf „Standard.at“ ist, dass die Leser direkt auf meine Kommentare antworten können. Ein sarkastischer Schlagabtausch, die Hardcore-Version von Netzer contra Delling, weil ein Part stets anonym bleibt. Auch meine Kumpel-Tour („Beenhakker sieht aus wie eine Indiana-Squaw“) kommt nicht so gut an. Ein Wiener Fußball-Purist weist mich zurecht: „Wie wer aussieht ist WURSCHT.“ Bei der ersten Chance von Gomez versuche ich es mit Fairplay („Das Tor wäre irregulär gewesen“) – und werde direkt als Vaterlandsverräter gebrandmarkt: „Jürgens = Suderer mit Polenbrille.“ Ein Chatter namens „Wer braucht die Piefke?“ bemüht den Stammtisch, als ich im Halbzeitkommentar zu Hansi Müller, der gerade interviewt wird, anmerke: „Der war mal Bravo-Boy des Jahres, der Lack ist ab.“ Der User ergänzt: „Aber er soll den längsten haben.“ Ab der 60. Minute schwenke ich also um, schütze fachkundiges Fantum vor: „Sehr souverän die Deutschen.“ Es wird grantliger. „Das fünfte Element“ ätzt: „Welches Spiel sehen Sie?“ Als Poldi zum 2:0 trifft, poste ich: „Der schönste Tag in meinem Leben.“ Aus dem virtuellen Off schnauzt „Beppo Tschick“: „Geh scheißen, Piefke.“ User „Der Botschafter, der Leiden schafft“ schreibt: „Na, so ein Nudlgoal.“ Die Redaktion klärt mich auf, das sei so was wie ein Glückstreffer. Ich gehe zum Gegenangriff über: „So eines hätte Österreich gebraucht.“ Eine Schimpfkanonade bricht los: „Fliag hoam!“, „Wegen Typen wie Dir hätten die Alliierten ihre Bombenstrategie überdenken sollen.“ Der Wiener Karl Kraus schrieb mal, dass ihm zu uns Deutschen nicht mehr viel einfiele. Was hätte der wohl zu diesem Chat gesagt? Redaktionsleiter Philip Bauer kommt herein, reibt sich die Hände und sagt: „Herrlich, ab jetzt laden ma nur noch Deitsche ein. Euch hassen die User wirklich.“ Ich resümiere online: „Ich hoffe, wir sehen uns im Finale. Wir bleiben Freunde.“ „Mundll“ ist meiner Meinung: „Es sollte immer Gemütlichkeit geben zwischen uns und Euch. Prost.“ Tim Jürgens

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