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© Oliver Wolff

Nebenschauplatz I: Deutsche und Türken fiebern gemeinsam

Am Kottbuser Tor ist die Stimmung am besten. Deshalb sind auch viele Deutsche ins Vereinsheim von Türkiyemspor geströmt, bunt bemalt, mit Halbmond und Stern. So gemischt soll es auch während des Halbfinalspiels bleiben. Das hoffen die meisten im Klubhaus jedenfalls.

Das Vereinsheim von Türkiyemspor Berlin ist wieder bis auf den letzten Platz gefüllt, aber diesmal ist alles anders als sonst. Die stimmungsvollen Kreuzberger Fußballnächte im Vereinsheim des türkischen Fußballklubs haben sich herumgesprochen. Während das dramatische Vorrundenspiel der Türken gegen die Schweiz fast ausschließlich männliche türkische Fans in die Gaststätte am Kottbusser Tor gelockt hatte, gesellt sich nun eine große Menge an deutschen Zuschauern, zum Teil auch rot und weiß geschmückt, dazu. Einer sagt: „Ich hab von einem Freund erfahren, dass die Stimmung hier am besten ist.“ Damit ist er nicht der einzige. „Fast die Hälfte hier sind deutsche Fans“, freut sich Armahan Sahin, der Stadionsprecher von Türkiyemspor. Im Fernseher wird das Viertelfinalspiel Türkei gegen Kroatien aus Wien übertragen. In der ersten Halbzeit läuft der deutsche Kommentar, in der zweiten der türkische. Die Türken reden unter einander türkisch. Aber mit den deutschen Nachbarn wird deutsch geredet. Es gibt einige Deutsche im Türkei-Trikot.

Es gibt kein richtiges die und wir, und wo lässt sich das besser spüren als hier. Die türkischen Fans vor dem Bildschirm fiebern auch mit der deutschen Nationalmannschaft. „Ja, klar. Das ist doch unser Heimatland“, sagt Sahin. Am Abend des Türkeispiels kommt erst einmal bis zur Verlängerung keine große Euphorie auf. Das Spiel ist arm an Höhepunkten, sieht man mal vom türkischen Torhüter Rüstü Recber ab, der mit einer Slapstick-Einlage im eigenen Strafraum fast den Führungstreffer der Kroaten ermöglicht. Beide Mannschaften schleppen sich in die Verlängerung. Aber die Spannung steigt, auch im Vereinsheim.

Armahan Sahin hat vor dem Spiel auf einen 2:1-Sieg der Kroaten getippt. „Wir sind besser als die Deutschen“, scherzt er nun nach 90 Minuten. „Die hatten zu dem Zeitpunkt gegen Kroatien ja schon verloren.“ Gewonnen ist hier aber auch noch nichts. Viele rätseln schon über die Schützen für das Elfmeterschießen, als Rüstü wieder einen Ausflug unternimmt und mit dem 1:0 durch Ivan Klasnic bestraft wird. Blankes Entsetzen bei Türkiyemspor, viele verlassen schlagartig den Raum. Nach zwei Erfolgen in letzter Minute gegen die Schweiz und Tschechien glaubt nun keiner mehr an ein drittes Wunder. Als die Nachspielzeit der Verlängerung läuft, ist das Vereinsheim schon halb leer. Doch das plötzliche Geschrei aus dem Innenraum treibt die Menschenmenge wieder zurück. Sekunden vor Schluss hat Semih Sentürk die Türkei mit seinem Tor ins Elfmeterschießen gerettet. Die Sensation. Niemand hat noch mit einem Treffer gerechnet, wie denn auch? Nun liegen sich alle in den Armen und springen umeinander herum.

Die Kellner kommen vor lauter Fahnenschwenken nicht mehr zum Bedienen, den Gästen ist es in diesen Sekunden egal. Euphorisch wird jeder Elfmeter der Türken mit Gebrüll begleitet, jeder Fehlschuss der Kroaten bejubelt. Bis zum letzten. Danach geht am Kottbusser Tor nichts mehr. Sogar zwei Lastwagen reihen sich in den Autokorso ein. Auch ein Velo-Taxi wird mit einer türkischen Fahne behängt und integriert, der Fahrer muss am Kotti eine Runde nach der anderen drehen. Vor dem Clubheim tanzen alle gemeinsam zu türkischer Popmusik. „Ich freu’ mich für die Türken, weil meine Familie zum Teil türkisch ist. Ich bin extra wegen der Stimmung aus Schöneberg gekommen“, sagt eine Frau. Deutsche und türkische Fans fiebern nun dem Aufeinandertreffen im Halbfinale entgegen. Manche befürchten aber auch, dass es zu Ausschreitungen kommen könnte. „Ganz im Gegenteil“, beschwichtigt Sahin, der vor dem Spiel im Vereinsheim dazu aufgerufen hat, sich im Falle von Niederlagen nicht provozieren zu lassen und fair zu bleiben. „Die Türken werden sowieso feiern, weil wir so weit gekommen sind wie noch nie. Ich erwarte ein riesiges Fest. Egal, wie es ausgeht.“ Bis Mittwoch.

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