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11freunde

© Wende

Nebenschauplatz II: Alles verspielt - im Café King

Im Café King wird nicht mehr gezockt. Wetten? Wir haben das kroatische Lokal zum Viertelfinalspiel gegen die Türkei besucht. Und als alle vor Freude schon rausrannten, fiel das 1:1.

Als der Böller explodiert, um 23:11 Uhr, steht das Bild still. Ivan Klasnic hat soeben das 1:0 für Kroatien erzielt, und nun tanzen sie, 250, vielleicht 300 Kroaten auf der Rankestraße, direkt vor dem Café King. Es ist ihre Straße, ihr Platz. Da taumelt der Junge aus der Menge, freudetrunken, der Junge mit der Bill-Kaulitz-Frisur, der sich bislang nur für die tollen Schlitten interessierte, die hier minütlich vorbeibrausten, und der das Mädchen an der Bar anhimmelte, während sie sich lasziv mit ihren Fingern durch die dauergewellten Haare strich. Die anderen, die Fans mit Trikots, die ihre Flaggen tragen wie Superman-Umhänge, baumeln an der Markise oder posieren vor den Kameras der Fernsehteams. Und sie schreien: „U boj, u boj, za narod svoj!“ - „Auf zur Schlacht, auf zur Schlacht, auf zur Schlacht für euer Volk.“ Immer wieder.

23:12 Uhr. Das Fernsehbild steht immer noch still. Und es steht perfekt: Genau in der Sekunde, in der Slaven Bilic in die Höhe springt, hakt das TV-Signal. Genau in diesem Moment scheint das Halbfinale vor dem Café KIng nicht nur zum Greifen nah, genau in diesem Moment haben sie, die jubelnden Kroaten auf der Rankestraße, das Halbfinale längst erreicht.

Drei Stunden zuvor, um kurz nach Acht, traut niemand der Euphorie. „Wir werden zu schnell zu überschwänglich“, sagt Darko, 25, Student aus Wedding, während er vom U-Bahnhof Augsburger Straße zum Café King schlendert, dorthin, wo der Skandal-Schiedsrichter Robert Hoyzer einst fast täglich einkehrte. Hier wurden einige Absprachen über manipulierte Spiele getroffen. Kroatische Wettbetrüger bezahlten den Schiedsrichter, der manipulierte dafür Partien. Hoyzer sagte einmal, das Café King sei wie sein zweites Wohnzimmer gewesen. Doch nach Wohnzimmer sieht es hier nicht aus. Gemütlich, das schon, weil alle beieinander stehen, bis auf den Gehweg und weil hier eine familiäre Atmosphäre herrscht. Doch das Interieur erinnert an eine Möbelausstellung bei einem Billig-Hersteller: Zur Bar schlängelt man sich vorbei an schwarzen Speckledersofas, der hintere Teil mutet an wie ein Spiegelkabinett auf dem Jahrmarkt. An der Fassade prangt zwischen hellblauen Neonröhren im knalligen Rot das Wort: „King“. Darüber eine goldene Krone. Natürlich auch im Neonlicht. Als ich Darko ironisch frage, wo ich denn meine Wetten platzieren könne, grinst er und nickt drei Männern zu, baumgroß und mit Muskelbergen, als würden sie normalerweise beim Lkw-Ziehen mitmachen, das nachts beim DSF und in Eurosport ausgestrahlt wird. Sie grinsen noch breiter als Darko, und dann lachen sie laut auf, fast so laut, dass sie die Menge übertönen, die angefangen hat zu jubeln, weil sie glaubte, Olic hätte ins Tor getroffen. Aber der Ball ging dann doch bloß an die Latte. „Wetten?“, fragt der eine scheinheilig. „Wetten konnte man hier noch nie!“ Natürlich.

Um 23:13 Uhr ist der Knall des Böllers längst verhallt. Jemand schlägt mit der Handfläche auf den Fernseher, das Bild läuft wieder. Aber keiner schaut genau hin, alle sind mit dem Jubeln beschäftigt. Ist doch alles gelaufen, 1:0, kurz vor Schluss, was soll da noch passieren? Der Junge mit der Bill-Kaulwitz-Frisur hastet heran, das passiert. „1:1“, brüllt er. Die, die eben um das bengalische Feuer tanzten, starren ihn entgeistert an, dann starren sie auf den Bildschirm. Nun ist es ruhig im „Café King“. Die Türken, die jubeln, irgendwo ein paar Meter weiter. Zwanzig Minuten später ist das Spiel aus, die Gäste strömen aus dem Café King, begleitet von einem Ruf, fast einem Flehen: „Kinder, geht nach Hause, schlafen!“ Nur einer steht noch eine halbe Stunde später vor dem Haus in der Rankestraße 23. Er schluchzt in sein Handy: „Wir standen schon jubelnd auf der Straße, und RTL hat uns gefilmt.“ RTL hat alles gefilmt. Auch die zwei Minuten, in denen die Zeit still stand.

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