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Sport: Nerv und Nasenbein

Der FC Bayern kann am Sonntag Meister werden, muss aber Klose, Lahm und vielleicht Kahn ersetzen

Lucio hatte noch mal abgezogen, aus 20 Metern, ein richtig guter Schuss war das, „besser kann man den nicht schießen“, sagte Bayern Münchens Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge später. Wjatscheslaw Malafejew, der Torhüter von Zenit St. Petersburg, hatte jenen Schuss des Innenverteidigers von Bayern München zehn Minuten vor dem Ende des Halbfinal-Hinspiels im Uefa-Cup aber gehalten, und das war doppelt bitter für die Münchner: Zum einen, weil es dadurch beim 1:1-Endergebnis blieb und St. Petersburg so eine gute Ausgangsposition für das Rückspiel kommende Woche hat, und zum anderen, weil sie Lucio danach in der Kabine trösten mussten.

„Er muss sich erst mal beruhigen“, sagte Rummenigge, aber wenn man Lucio schon mal gesehen hat, wie seine Gefühle explodieren, wenn er ein Tor schießt – dann weiß man, dass es eine Weile dauern kann, bis sich der Brasilianer beruhigt hat. Zumal nach so einem Spiel: Nach langer Zeit wieder eine tolle Leistung geboten, und dann per Eigentor die Führung durch Ribéry ausgeglichen. „Er kann nichts dafür“, sagte Rummenigge, was sonst hätte er auch sagen sollen. Lucio hatte den Ball nach Flanke von Fayzulin unhaltbar für Torwart Oliver Kahn ins Tor geköpft, der wenig später verletzt vom Feld musste.

Am Tag danach sah ohnehin alles wieder ein wenig besser aus. „Er wird das wegstecken“, sagt Trainer Ottmar Hitzfeld. Überhaupt: St. Petersburg war am Freitag schon wieder Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft brachten am Tag nach dem 1:1 schon die nächsten, wichtigen Themen auf die Agenda. Punkt 1: Philipp Lahm. Der Verteidiger werde definitiv zum FC Barcelona wechseln – das zumindest berichtete die spanische Zeitung „AS“ am Freitag. Lahm werde einen Vierjahresvertrag unterschreiben, hieß es, fraglich sei nur noch, ob ab Sommer 2008 oder ab Sommer 2009. Die Bayern wollten das nicht näher kommentieren, wohl aber Punkt 2: die bevorstehende Meisterschaft.

Am Sonntag empfangen die Münchner den VfB Stuttgart, bei einem Sieg und bei gleichzeitiger Niederlage der Konkurrenten Bremen und Schalke wäre der FC Bayern vorzeitig Deutscher Meister. „Damit beschäftigen wir uns nicht“, behauptet Hitzfeld, „ich bin überzeugt, dass wir Meister werden, der Zeitpunkt ist mir aber egal.“ Auf jeden Fall wird sich die Aufstellung am Sonntag auf einigen Positionen verändern. Schließlich haben die Münchner aus diesem 1:1 gegen St. Petersburg ja einiges mitgenommen: Neben Lucios Traurigkeit noch drei Verletzte und die Erkenntnis, dass es ohne Luca Toni im Sturm eben doch nicht geht. Podolski und Klose hätten ihre Sache ganz ordentlich gemacht, fand etwa Manager Uli Hoeneß, um dann aber einzuschränken: „Toni macht aus keiner Chance ein Tor“, gegen St. Petersburg habe „immer wenn links einer durch war“ in der Mitte „kein Baum gestanden, den man anspielen kann“. Am Sonntag ist der Baum wieder dabei – im Gegensatz zu, sagen wir: Zweig Miroslav Klose.

Miroslav Klose zog sich am Donnerstag einen dreifachen Nasenbeinbruch zu, er wird operiert und am Sonntag ausfallen, zudem ist sein Einsatz im Rückspiel in St. Petersburg fraglich. Hinzu kommen der eingeklemmte Nerv am Rücken von Oliver Kahn, dessen Einsatz „eine Frage von Stunden“ (Hitzfeld) sein wird, sowie die Adduktorenzerrung von Philipp Lahm. Der Wechselwillige wird wohl am Sonntag fehlen. Ohnehin will Hitzfeld „drei, vier neue Kräfte“ einsetzen. Gegen Stuttgart soll eine frische und motivierte Truppe aufs Feld, denn wegen der Niederlagen in den letzten beiden Bundesligatreffen (1:3 und 0:2) habe man „mit Stuttgart noch eine Rechnung offen“, wie Hitzfeld sagt.

Eben deshalb wird er wohl auch Lucio von Anfang an auflaufen lassen: Weil der Brasilianer jetzt auch eine Rechnung offen hat. Nicht speziell mit Stuttgart. Sondern mit sich selbst.

ZDF-Experte Oliver Kahn: Seite 27

Michael Neudecker[München]

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