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Sport: Neuer Nachbar

Ohne Holland fahren wir nach Berlin!“ Die deutschen Fußballfans freuen sich über Hollands Desaster.

Ohne Holland fahren wir nach Berlin!“ Die deutschen Fußballfans freuen sich über Hollands Desaster. Hey, war dies nicht die WM der Völkerfreundschaft? Deutschland, ein buntes, gastfreundliches Fahnenland? Die WM soll sogar das Bild von den Deutschen im Ausland ändern, wurde mir gesagt. Zum Positiven. Hm, in Kroatien vielleicht, oder in Japan, allerdings nicht in den Niederlanden, wenn die Deutschen sich weiter so öffentlich über Hollands „Käse-Fußball“ lustig machen. Mal im Ernst. Gibt es im Ausland noch ein Deutschland-Bild?

Ich glaube nicht. Die alten Klischees treffen ja nicht mehr zu. Krieg und Wirtschaftswunder sind zu lange her, genauso wie der Rumpelfußball. Sogar die Holländer, diese langjährigen Lieblingsfeinde, haben 2006 am liebsten einen Deutschen als Nachbar. Der Deutsche gilt als zuverlässig, höflich und nett; er tritt für Werte ein, wonach wir Holländer uns seit den Morden an Pim Fortuyn und Theo Van Gogh sowie der holländischen Identitätskrise sehnen. Wenigstens dieser Deutsche ist noch normal. Das Deutschlandbild der Holländer hat sich also längst zum Positiven geändert. Bloß die Fans in den deutschen Stadien, die sich so zahlreich freuen, dass sie ohne Holland nach Berlin fahren, wissen das nicht. Etwas anderes passiert während dieser fröhlichen WM, denke ich. Es sind nicht die Ausländer, sondern die Deutschen, die sich selber nicht wieder erkennen.

So viel Leichtigkeit, Optimismus und Lockerheit, so viele Deutschland-Fähnchen: Wer hätte das gedacht? Kein Deutscher. Nun spielt die Mannschaft gegen Italien. Für die Deutschen hoffe ich, dass die Mannschaft glänzend spielt – und verliert. Warum? Damit die alten Klischees (Fußball ist ein Spiel von 22 Spielern usw.) endgültig verschwinden. Dazu müssen die Spieler – und damit das deutsche Volk, es tut mir leid – erst mal leiden. Wie wir Holländer es so oft mussten. Spielerisch die Besten zu sein, nur um am Ende dramatisch zu verlieren: Das ist Ungarn 1954 passiert, Oranje 1974 und Brasilien 1982. Diese Mannschaften wurden legendär, weil sie so viel besser waren, aber nicht gewonnen haben. Nur wer wirklich leidet, kann mit wohlgemeinter Sympathie rechnen. Die Mannschaft hat also die Wahl: Verliert sie, wird Deutschland im Ausland wahrgenommen als eine sympathische Nation, die sogar verlorene Spiele feiern kann. Wird Deutschland Weltmeister, schreien die Fans lautstark „Sieg“ und Miroslav Klose behauptet wieder, alle anderen hätten das Pech, auf die unschlagbaren Deutschen zu treffen, dann wäre der Spaß vorbei. Und in Holland hieße es: Okay, Ihr wart ohne uns in Berlin, aber jetzt, bitte schön, hätten wir gerne unsere Fahrräder zurück.

ist Deutschland-Korrespondent der niederländischen Nachrichtenagentur GPD.

Wierd Duk

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