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© Winter

Neuer Teamgeist: Typen bei Hertha nicht gesucht

Nach dem Verlust von drei Führungsspielern setzt Hertha BSC in der neuen Saison auf den Teamgeist. Und wie steht es mit der Hierarchie in der Mannschaft?

Endlich mal was los bei Hertha BSC! Budapest stand Spalier, als der Berliner Mannschaftsbus am Mittwochabend von der Polizei zum Flughafen eskortiert wurde. Mit Blau- und Rotlicht, eine Horde ungarischer Hooligans hinter sich lassend, die beleidigt randaliert hatten, weil die Berliner Fans nicht angemessen auf ihre liebevolle Begrüßung („Heil Hitler!“) reagiert hatten. Es hat schon weniger beachtete Sommertestspiele gegeben.

Das Intermezzo von Budapest war am Mittwoch Thema Nummer eins auf dem Boulevard, was allerdings weniger am Ausmaß der eher marginalen Randale lag. In Ungarn waren die vielleicht 50 kahl geschorenen Schwachköpfe eine Randnotiz, in Berlin dagegen eine große Nummer. Hertha ist doch noch für Schlagzeilen gut, nachdem es in den vergangenen Wochen ein wenig still geworden war um den Verein. Hat ja auch genug Lärm gegeben in den Wochen zuvor, als Manager Dieter Hoeneß seinen Posten räumen musste, Michael Preetz die Nachfolge antrat und Josip Simunic, Herthas überragende Spielerpersönlichkeit der vergangenen Saison, von der TSG Hoffenheim aus seinem Vertrag herausgekauft wurde.

Simunic war der letzte der drei Charismatiker, mit denen Hertha in der vergangenen Saison die Bundesliga durcheinandergewirbelt hatte. Jetzt sind sie alle weg. Kritiker bemängeln, die Mannschaft habe keine Typen mehr und sei auf dem besten Wege, eine Art Berliner VfL Bochum zu werden. Lucien Favre aber interessiert sich nicht für Marketing und Populärpsychologie. Herthas Trainer weiß, dass die Mannschaft den Namen nach schwächer geworden ist, aber das mindert immerhin den Druck der öffentlichen Erwartung. Favre darf basteln und experimentieren, niemand verlangt von ihm ernsthaft eine Wiederholung des vierten Platzes der Vorsaison, „das wäre utopisch“, sagt er.

Selten hat man den Schweizer so entspannt und gut gelaunt erlebt wie in diesen Tagen, da Hertha sich im burgenländischen Bad Stegersbach auf die neue Saison vorbereitet. Am Mittwoch hatten die in Budapest aufgebotenen Spieler einen freien Tag. Favre ließ die Rekonvaleszenten und den serbischen Testspieler Nemanja Pejcinovic in der Mittagshitze schwitzen. Mit Nachwuchsspieler Sascha Bigalke tollte der Cheftrainer für ein paar Minuten so ausgelassen über den Platz wie ein Vater mit seinem zehnjährigen Sohn unterm Rasensprenger.

Über die Vergangenheit mag Lucien Favre nicht mehr viel reden und lässt doch durchblicken, dass ihn allein der Verlust von Josip Simunic schmerzt. Dessen Abschied ist auch der einzige, der im kompletten Mannschaftskreis bedauert wird. Eher gleichgültig nehmen die Kollegen den Weggang von Marko Pantelic zur Kenntnis. Der Serbe wurde geschätzt, solange er Tore schoss, da durfte er im Trainingslager auch schon mal das Hotelzimmer wechseln, damit er nicht so weit über den Flur zum Fahrstuhl laufen musste. Auch Andrej Woronin ist nicht mehr da, ein gleichfalls begnadeter Individualist, der sich gern als König von Berlin fotografieren ließ. Bei seinen Kollegen aber verlor der Ukrainer ein wenig an Ansehen, als ihm bei der Morgengymnastik mal Mobiltelefon und Zigarettenschachtel aus der Trainingsjacke rutschten.

Die Hierarchie ist flacher geworden bei Hertha – aber auch eindeutiger. Es gibt nicht mehr Spieler wie Pantelic und Woronin, die ihre Sonderstellung auch über ihr Ansehen in der Öffentlichkeit definieren. Ganz oben in der Kette der Befehlsgewalt stehen Kapitän Arne Friedrich und Torhüter Jaroslav Drobny, beide erklärten gleich die Integration des nicht ganz unumstrittenen Rückkehrers Artur Wichniarek zur Chefsache. Der Tscheche Drobny ist für den Polen Wichniarek die wichtigste Ansprechperson im Team, und Friedrich, wie Wichniarek früher in Bielefeld aktiv, hat dem Stürmer gleich attestiert, er habe das Zeug zum Führungsspieler bei Hertha. In diesem Ton hatten sich Pantelic und Woronin kein einziges Mal über einen Mitspieler geäußert.

„Der Zusammenhalt ist die ganz große Stärke dieser Mannschaft“, sagt Mittelfeldspieler Maximilian Nicu, er sehe da im Vergleich zur vergangenen Saison durchaus Steigerungspotenzial. Nicu wundert sich darüber, „dass alles so schlecht gesehen wird“. Und: „In der vergangenen Saison hat man uns doch auch nichts zugetraut“, und am Ende? Da hätte es um ein Haar zur Qualifikation für die Champions League gereicht.

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