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Lucien Favre will präziser trainieren und so das fast Unmögliche schaffen: den drohenden Abstieg des Traditionsklubs verhindern.

© dapd

Neuer Trainer: Favre in Gladbach: Romantik trifft Realität

Nach 522 Tagen ohne Job trainiert Lucien Favre nun Borussia Mönchengladbach. Favre übernimmt die Gladbacher genau da, wo er Hertha im September 2009 verlassen hat: auf dem letzten Tabellenplatz.

Im Grunde seines Herzens ist Lucien Favre immer ein Fußballromantiker geblieben. Mit einem schüchternen Nicken weist er auf den Mann neben sich, und ihm ist fast so etwas wie Ehrfurcht anzumerken. Favre, 53, war Teenager, als der Mann neben ihm, Rainer Bonhof, noch für Borussia Mönchengladbach gespielt und mit dem Klub Titel über Titel geholt hat. „Ich habe noch viele Erinnerungen an diese Zeit“, sagt Favre, der seit gestern Trainer des etwas heruntergekommenen Traditionsklubs ist, bei dem Bonhof das Amt des Vizepräsidenten bekleidet. Eine der schönsten Erinnerungen hat er an eine Begegnung mit dem Vater der legendären Gladbacher Fohlen-Elf. „Ich habe Herrn Hennes Weisweiler getroffen, als er bei Grasshopper Zürich gearbeitet hat“, berichtet Favre. „Ich war sehr stolz. Er hat mich als besten Spieler der Schweiz nominiert.“ Es sieht so aus, als würden seine Augen bei diesem Gedanken zu leuchten beginnen.

Vermutlich hätte es Trainer gegeben, die das Angebot, Nachfolger von Michael Frontzeck zu werden, als Zumutung empfunden hätten: Borussia Mönchengladbach ist Letzter der Bundesliga, hält in dieser Saison so ungefähr jeden Negativrekord und gilt als aussichtsloser Fall. Für Lucien Favre aber, den Fußball-Junkie aus Saint-Barthélemy, ist das Engagement wie ein Rendezvous mit der Geschichte. „Es ist ein Traum, wieder in der Bundesliga zu arbeiten“, sagt er. Ein fantastischer Verein sei die Borussia, ein großer Traditionsklub. „Mönchengladbach ist überall in der Welt bekannt.“

522 Tage hat der Schweizer seit seiner Entlassung bei Hertha BSC auf ein neues Engagement warten müssen. Knapp anderthalb Jahre war er ohne Job, nachdem er zuvor 13 Jahre lang ununterbrochen als Trainer gearbeitet hatte. „Die Pause hat mir sehr gut getan“, sagt Favre. Sprachkurse hat er in der freien Zeit belegt, und doch vom Fußball nicht gelassen. „Ich kenne jede Mannschaft in der Bundesliga auswendig“, sagt er. Als die Gladbacher ihn am Sonntag kontaktierten, will Favre zufällig in Deutschland gewesen sein – beim Zweitligaspiel Arminia Bielefeld gegen den VfL Bochum.

„Lucien Favre war unser Wunschkandidat“, sagt Borussias Sportdirektor Max Eberl. „Er war unser erster Kandidat und unser einziger Kandidat.“ Favre stehe für strategischen Fußball, sei ein absoluter Fachmann, „der mit jungen Spielern arbeiten und eine Mannschaft formen kann“. Sein Vertrag (bis 2013) gilt sowohl für die Erste als auch die Zweite Liga. Schon im Sommer 2009 war Favre als Trainer bei den Gladbachern im Gespräch. Das Angebot hat er damals durchaus wohlwollend geprüft, obwohl er noch bei Hertha unter Vertrag stand; doch weil er sich nicht schnell genug entscheiden konnte, verpflichtete Eberl stattdessen Michael Frontzeck. Favre, so heißt es, habe seinen Entschluss später bereut – wohl auch, weil er bei Hertha nur ein Vierteljahr darauf nach einer Serie von sechs Niederlagen entlassen wurde.

Die Gladbacher übernimmt Favre nun genau da, wo er Hertha im September 2009 verlassen hat: auf dem letzten Tabellenplatz. Doch obwohl der Klub bereits sieben Punkte Rückstand auf den Relegations- und den ersten Nichtabstiegsplatz hat, ist der neue Trainer „überzeugt, dass wir noch eine Chance haben, in der Bundesliga zu bleiben“. Sollte dies nicht gelingen, „werden wir eine Mannschaft haben, die sofort wieder aufsteigen kann“. Erfahrung im Abstiegskampf besitzt der Schweizer nicht, zum ersten Mal in seiner Karriere übernimmt er eine Mannschaft mitten in der Saison. „Du musst einen Plan haben“, sagt Favre, „im Training noch präziser arbeiten, Fehler sofort korrigieren.“ Max Eberl will die Personalie nicht so verstanden wissen, dass die Gladbacher die aktuelle Spielzeit bereits abschreiben und den Trainer vor allem mit Blick auf den erforderlichen Neuaufbau in der Zweiten Liga verpflichtet haben. Favre habe auch deshalb keine Erfahrung im Abstiegskampf, weil er mit seinen Mannschaften immer erfolgreich gewesen sei. „Wir hoffen, dass er dieses Gen mitbringt“, sagt Eberl. Die Frage wird sein, ob es auch stark genug ist, um dem Verlierer-Gen der Gladbacher zu trotzen.

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