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Sport: NEUJAHRSEMPFANG DES NOK: Vertrauen ist gut - Kontrolle besser

BERLIN ."Ich habe Vertrauen zur Untersuchungskommission des IOC und zu unserer Exekutive und denke, daß die Selbstreinigungskraft ausreichen wird, um die Probleme zu lösen.

BERLIN ."Ich habe Vertrauen zur Untersuchungskommission des IOC und zu unserer Exekutive und denke, daß die Selbstreinigungskraft ausreichen wird, um die Probleme zu lösen." Walther Tröger, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) für Deutschland und Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), sah sich in der Defensive.Das Deutsche Olympische Institut (DOI) am Wannsee hatte den Juristen beim Neujahrsempfang anläßlich 50 Jahre NOK um ein Referat gebeten.Thema: "Perspektiven der Olympischen Bewegung".Seinen vorbereiteten schöngeistigen Teil - mit Zitaten des Berliner Literaten Alfred Kerr - mochte der Professor aus Frankfurt (Main) nicht weglassen.Doch aus aktuellem Anlaß, wie der 69jährige am Donnerstag abend eingestand, habe er sich zu einem Bruch in seinem Vortrag entschlossen.

Walther Tröger fühlte sich durch die derzeitige Korruptions-Lawine veranlaßt, obwohl trotz einer vagen Beschuldigung von Freiflügen außerhalb des Kreises der Hauptverdächtigen, das Maß der Vorwürfe als "überzogen" und "unangemessen" einzuordnen.Und sich schützend vor die olympische Idee, das IOC und Präsident Juan Antonio Samaranch zu stellen: "Man kann nicht alles verdammen oder auflösen, nur weil sich einige, etwa 15 Prozent im IOC, eines Fehlverhaltens verdächtig gemacht haben.Zumal der Schuldbeweis noch aussteht."

Und irgendwann griff er auf den Ausspruch einer Jahrhundertpersönlichkeit aus Rußland zurück, die auf den Tag vor 75 Jahren verstorben war."Vertrauen ist gut - Kontrolle ist besser" hatte Lenin seinen Bolschewiki eingehämmert.Jene hatten wenig Vertrauen, aber um so mehr Kontrollmechanismen.Beim IOC war alles Vertrauen.Und es floß, seit Samaranch 1980 die Macht übernahm, bei dessen Kurs zur Kommerzialisierung und Professionalisierung ("Was man Samaranch nicht als Fehler vorwerfen darf") viel Geld bei der Vergabe der Olympischen Spiele.Es liege in der menschlichen Natur und der jetzigen Gesellschaft, daß einige versucht seien, dabei "etwas für sich persönlich abzuzweigen." Ein Vorgang, den man weltweit, selbst in der EU, antreffe.

Dessenungeachtet plädiert Tröger für eine Säuberung innerhalb des IOC.Sowie im Sinne des geflügelten Lenin-Zitats für eine Reduzierung von derzeit 115 auf etwa 80 IOC-Mitglieder ("Ein Mitglied pro Land genügt"), auf eine sorgfältigere Auswahl und eine zeitliche Mandatsbegrenzung.Derzeit scheidet ein IOC-Mitglied erst dann aus, wenn es das 80.Lebensjahr erreicht hat."Was wir auch dringend brauchen im IOC wären mehr Bescheidenheit, Reformbereitschaft und Dialogfähigkeit." Versäumt habe das wirtschaftlich expandierende IOC "Erziehung und Erwachsenenbildung" seiner Schäfchen und seine Selbstkontrolle.Warum, so Tröger, haben der Schweizer Marc Hodler oder andere nicht schon früher auf allzu große Geschenkempfänglichkeit und unkorrekte Spesenabrechnung aufmerksam gemacht?

Das deutsche IOC-Mitglied seit 1989 bestätigt, das Verfahren bei der Olympiavergabe sei Samaranch, "aber auch uns allen aus den Händen geglitten." Gleichwohl verneint er die Notwendigkeit eines vorzeitigen Rücktritt des Sonnengottes aus Spanien: "Wir werden erst 2001 turnusmäßig den achten IOC-Präsidenten wählen." Und Tröger lehnt auch den Vorschlag seines deutschen IOC-Kollegen Thomas Bach ab, die Wahl der olympischen Gastgeberschaft statt der IOC-Vollversammlung einem ausgesuchten Kreis von 25 bis 30 IOC-Mächtigen zu überlassen.Daß die schlimmste Skandalära des IOC nicht spurlos an dem eher bedachtsamen Sportpolitiker Tröger vorübergegangen ist, beweist seine mißdeutliche Formulierung: "Schlimmer als eine Vertuschung wäre jetzt ein IOC-Schauprozeß." Den wird es nicht geben, aber eine Vertuschung wäre wahrlich das Schlimmste, was dem IOC momentan widerfahren könnte.

ERNST PODESWA

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