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Gezerre um Neymar. Die beiden Japaner Atsuto Uchida (links) und Makoto Hasebe bearbeiten den brasilianischen Wunderknaben.

© REUTERS

Neymar: Verheißung auf zwei Beinen

Neymar gilt den Brasilianern als eine Art Garrincha der Neuzeit. In seiner Heimat dreht sich alles um den 21-Jährigen, der die berühmte Nummer zehn tragen darf.

Ja, noch einmal Neymar. Hilft alles nichts. In Brasilien dreht sich Tag und Nacht alles um das 21-jährige Jüngelchen mit der berühmten Nummer zehn auf dem gelben Leibchen, er trägt es als später Nachfolger des großen Pelé, der ihn nach einigem königlichen Zaudern doch als besten brasilianischen Fußballspieler geadelt hat. Das ist nicht leicht im Alltag, der doch nie Alltag sein kann für einen, der den fünffachen Weltmeister im kommenden Jahr ganz allein zu Titel Nummer sechs schießen soll. Das zeitigt Folgen in der medialen Kritik. Den einen dribbelt er zu viel, den anderen zu wenig, und wenn er mal nur läuft oder nur Tore schießt, ist das auch nicht recht. „Mit mir ist man nie richtig zufrieden“, hat Neymar da Silva Santos Junior vor dem Eröffnungsspiel des Confed-Cups gesagt. „Da kann ich machen, was ich will.“

Er hat dann am Samstag etwas gemacht, was schließlich doch uneingeschränkten Beifall fand. Dieses wunderschöne Tor nach nicht mal drei Minuten in der WM-Generalprobe, bei der für die Seleçao nur der Sieg zählt, wie eigentlich immer. Neymars frühes 1:0 war mehr als nur die Overtüre zum ungefährdeten und eher zu knapp ausgefallenen 3:0 über die traditionell höflichen Japaner.

„War ein schönes Tor – und ein wichtiges für Brasilien“, hat Neymar später erzählt, als er standesgemäß mit verkehrt herum aufgesetztem Basecap, offenen Turnschuhen und schwer auf das Handgelenk drückender Klunkeruhr den Preis für den besten Spieler des Nachmittags entgegennahm. Es war auch ein wichtiges für ihn. Nicht nur, weil es das erste war nach 845 penibel vom Volk abgezählten Minuten der Erfolgslosigkeit. Sein Distanzschuss war eine Synthese aus Wucht und Technik und Präzision und die Verheißung darauf, dass Neymar mehr sein kann als ein Geck. Dass er ein richtig guter Fußballspieler sein kann und vielleicht sogar die 57 Millionen Euro wert, die der FC Barcelona dem FC Santos für Neymars Dienste bezahlt hat. Und genau daran haben doch viele gezweifelt. In Europa, vielleicht aber auch in Brasilia.

Die brasilianische Kapitale ist eine Fußball-Diaspora ohne Erstligaklub, muss aber aus politischen Gründen dabei sein beim Confed-Cup und später auch bei der WM. Dafür hat die Regierung ein neues Stadion hingeklotzt ins Stadtzentrum, das eigentlich nur aus einem Busbahnhof, einer Autobahnkreuzung und allerlei Hotels besteht. Das Estadio Nacional trägt den Namen von Mané Garrincha, jenem sagenumwobenen Dribbelkönig, den die Brasilianer in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren noch mehr liebten als Pelé (den sie eher bewunderten).

Garrincha, geboren mit einem X- und einem O-Bein, war ein Fußballspieler, wie es ihn heute nicht mehr gibt. Einer, der sich einen Spaß daraus machte, seine Gegner vorzuführen, mit Dribblings, die schon mal ein, zwei Minuten dauern konnten. Vielleicht sind sie zwischen Fortaleza und Porto Alegre auch deshalb so verrückt nach dem kleinen Neymar, weil sie in ihm eine Art Garrincha der Neuzeit sehen. Als das Spiel gegen Japan Mitte der zweiten Halbzeit gelaufen war, brachte Neymar unter dem Gejohle des Publikums eine Serie von Übersteigern, Hüftwacklern und Sohlenstreichlern zur Vorführung, dass Cristiano Ronaldo im Vergleich wie ein seriöser Fußballarbeiter mit Buchhaltermentalität wirkte.

Das hätte nun bei der zahlreichen Kritikerschaft wieder spitze Bemerkungen gezeitigt, wäre davor nicht der andere Neymar gewesen. Der mit dem großartigen Schuss zum 1:0 und den nach verwirrend schnellen Dribblings punktgenau gespielten Pässen. Das Zusammenspiel mit den Kollegen Oscar, Hulk und Fred war zeitweise hübsch anzuschauen, aber den ganz großen Applaus bekam nur einer. Wann immer sein Bild über die beiden riesigen Videowürfel flimmerte, röhrte der Neymar-Roar durch das Stadion.

Das war ein bemerkenswerter Gegensatz zum Antihelden der Eröffnungsparty von Brasilia. Joseph Blatter las zwar eine freundliche Rede aus einem Spanisch-Portugiesisch-Mix ab und bekam die Pfiffe, die er immer bekommt. „Liebe Leute, denkt doch an die Fairness“, rief der Fifa-Präsident in die Menge, aber die pfiff nur noch lauter und nahm auch noch die nach ihm redende Dilma Rousseff in Geiselhaft. Die Staatspräsidentin beschränkte sich auf einen das Turnier eröffnenden Satz, aber auch der war kaum zu hören. Danach aber war aller Ärger vergessen und die knapp 70 000 Zuschauer sangen alle zusammen die brasilianische Hymne, so laut und so schön, dass sich sogar der sonst so coole Trainer Luiz Felipe Scolari gerührt ans Herz griff.

Brasilien, so scheint es, hat seine Nationalmannschaft wieder lieb, und vor allem Neymar, den Garrincha der Neuzeit. Das Original ist übrigens zweimal Weltmeister geworden. Da hat Neymar da Silva Santos Junior noch ein bisschen zu tun.

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