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Sport: „Nicht alle haben bei uns gejubelt“

Am 22. Juni 1974 gewann die DDR gegen die Bundesrepublik – Spieler Martin Hoffmann erinnert sich

Herr Hoffmann, wann haben Sie das letzte Mal mit Berti Vogts gesprochen?

Ich habe mit ihm noch nie gesprochen. Wie kommen Sie darauf?

Vogts war 1974 Ihr Gegenspieler im WM-Spiel der Bundesrepublik Deutschland gegen die DDR.

Das ist aber auch das Einzige, was wir gemeinsam haben.

Mit wem haben Sie Ihr Trikot getauscht?

Mit Bernd Hölzenbein. Wir mussten das heimlich im Kabinengang machen. Was meinen Sie, wäre passiert, wenn wir das vor laufenden Kameras getan hätten? Eigentlich war es uns untersagt. Wer es dennoch tat, musste das Trikot bezahlen, 60 Mark für eins aus DDR-Produktion und 120 Mark für ein Importprodukt.

Was bekamen Sie vom ganzen Rummel rund um das Spiel mit?

Das Hotel war abgeschottet. Das war die einzige Auffälligkeit für mich. Wir waren in Doppelzimmern untergebracht. Das war bei Reisen ins KA üblich. KA – das stand für kapitalistisches Ausland.

Wohnten im Hotel noch andere Gäste?

Nein, das war für uns geblockt. Aber wir konnten uns relativ frei bewegen. Es wurden Busfahrten organisiert, sonst durfte jeder seiner Wege gehen. Das ließ sich anders gar nicht machen. Wir waren ja auch nicht das erste Mal im Westen.

Niemand hat Sie bewacht?

Mir ist keiner aufgefallen. Ist aber möglich, dass ein paar Leute von der Staatssicherheit mit untergemischt wurden.

Wie wurde der Sieg über die anderen Deutschen gefeiert?

In der Kabine war ein Haufen Leute, die vom Fußball keine Ahnung hatten. Am Abend soll vor unserem Hotel noch ein Funktionär in einen See gefallen sein.

Was ist bei Ihnen von diesem Tag haften geblieben, mal abgesehen vom Spiel, vom Ergebnis und dem Trubel danach?

Das war nicht nur dieser Tag. Die ganze WM war komisch für mich. Die Sprache um mich herum war meine Sprache, und trotzdem war das ein mir fremdes Land.

Wie war es, wenn es früher hieß: Die Nationalmannschaft fährt zu einem Spiel ins kapitalistische Ausland?

Das war eine Aufregung. Ich musste mir erst einmal ein paar Westmark besorgen. Wir bekamen damals nur zehn D-Mark pro Tag. Das war der übliche Satz, den jeder DDR-Bürger bekam, der beruflich in den Westen fuhr. Dort gab es eben Sachen, die es bei uns nicht gab. Ich habe mich damit beschäftigt, was ich meiner Frau und den Freunden mitbringe.

In den Siebzigerjahren spielte die DDR oft im Ausland. Bestand da nicht die Möglichkeit, sich von der Mannschaft abzusetzen?

Ach, wissen Sie, die bestand doch ständig. Es ist eine Legende, dass wir 24 Stunden am Tag beschattet wurden, das ging gar nicht. Dann hätten sie uns ja nachts ins Bett bringen müssen.

Das heißt, jeder Auswahlspieler, der weggewollt hätte, hätte das tun können?

Ja. Das war jeder Zeit möglich. Wenn man es denn wirklich gewollt hätte.

Warum wollten Sie nie?

Nach meiner Karriere habe ich erfahren, dass sich damals Turin und Mailand für mich interessiert haben. Ihre Anfrage hatten sie aber nicht an mich gerichtet, sondern an unseren Trainer Heinz Krügel, der mir nichts davon erzählte. Oder das Angebot von Schalke. Die wollten Maxe Steinbach und mich haben. Das Angebot ging aber an den Klub. Wie die Antwort ausfiel, muss ich Ihnen nicht erzählen.

Wären Sie gegangen?

Ich hätte mich damit beschäftigt. Aber ob ich gegangen wäre? Ich glaube nicht. Ich wusste, was ich zurückgelassen, wie man meiner Familie und meinen Verwandten mitgespielt hätte. Außerdem war ich bodenständig. Ich brauche den Kirchturm, den ich in Gommern habe. Ich habe meine Heimat nie verlassen.

War Flucht ein Thema unter Spielern?

Groß gesprochen wurde nicht darüber. Es gab genügend Beispiele, wo eine Äußerung verkehrt dargestellt wurde.

Zum Beispiel?

Mein früherer Mitspieler Bodo Sommer hat mal in einer Gaststätte geäußert: Wenn ich es dieses Jahr nicht schaffe, dann haue ich ab. Der wollte nur den Verein wechseln. Aber irgendjemand hat das falsch verstanden. Die haben ihm versuchte Republikflucht unterstellt. Seine Karriere war damit praktisch beendet.

Waren Sie am Ende sogar froh, dass Sie von diesen Angeboten spät erfuhren?

So weit will ich nicht gehen. Ich habe auch so viel mit dem Fußball erlebt. Dass meine Erfolge finanziell nicht so gewürdigt wurden, ist eine andere Sache. Wäre ich mit 22 abgehauen, wäre ich vielleicht Millionär geworden. Aber vielleicht wäre ich damit gar nicht klargekommen.

War das Risiko nach Westdeutschland zu wechseln also genauso groß, wie nach Italien oder England zu gehen?

In gewisser Weise habe ich das so empfunden. England war genau so fremd wie die BRD. Aber wir haben uns mit dem Modell beschäftigt, das die Polen und Tschechen praktizierten. Dort durften gute Fußballer im Alter von 28 Jahren ins Ausland wechseln. Eine solche Regelung haben wir uns gewünscht. Das hätte dem DDR-Fußball gut getan.

Gleich nach der WM 1974 fand das nächste innerdeutsche Duell statt …

Richtig. Wir waren Europacupsieger der Pokalsieger geworden, die Bayern hatten den Landesmeistercup gewonnen. Nun stand der Supercup an. Aber das Spiel kam nicht zu Stande, unsere Obrigkeit hatte etwas dagegen. Doch dann trafen die Mannschaften in der zweiten Runde des Landesmeistercups aufeinander. Nach dem Spiel habe ich mit Franz Beckenbauer und Sepp Meier im Entspannungsbecken gesessen. Wir haben viel gelacht. Es war nicht so, dass dort der Millionär saß und hier der Ostprofi, der so viel verdient wie ein Arbeiter.

Was verdienten Sie damals?

Bezahlt wurden wir wie normale Werktätige unseres Trägerbetriebes. Mein erstes Grundgehalt waren 580 Mark. Als Nationalspieler bekamen wir eine monatliche Zuwendung von 300 bis 500 Mark. Bei der WM 1974 bekamen wir pro Punkt 1000 Mark Ost und 1000 Mark West. Außerdem wurden wir von unserem Botschafter Michael Kohl nach Bonn eingeladen, sonst gab es nichts.

Nicht mal einen Orden?

Jetzt muss ich wirklich überlegen. Für die WM wurden wir Verdiente Meister des Sports. Den Vaterländischen Verdienstorden in Silber bekamen wir für den Olympiasieg 1976 in Montreal.

Und Erich Honecker spendierte jedem Spieler ein Haus.

Das ist Unsinn. Wir haben den Orden gekriegt, aber nicht mal aus seinen Händen.

Im Westen kennt man heute doch nur den Namen Sparwasser…

Ach, der Jürgen. Der schoss damals das Tor zum Sieg über die BRD. Vergessen wird man seinen Namen nie, aber ihm wurde es bald peinlich, außerdem gab es im Osten viele Fans der BRD-Mannschaft. Nicht alle haben damals gejubelt.

Das Gespräch führte Michael Rosentritt.

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