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Sport: Nichts gerissen, alles kaputt

Von Stefan Hermanns Leverkusen. Kleine Kinder machen das manchmal: Halten sich beide Hände vors Gesicht und glauben, weil sie selbst nichts sehen, auch nicht gesehen zu werden.

Von Stefan Hermanns

Leverkusen. Kleine Kinder machen das manchmal: Halten sich beide Hände vors Gesicht und glauben, weil sie selbst nichts sehen, auch nicht gesehen zu werden. Als Sebastian Deisler am Pfingstsamstag, abends um halb acht, auf der Trage aus der Leverkusener Bayarena transportiert wurde, hätte er sich auch am liebsten unsichtbar gemacht. 40 000 Augen blickten nur auf ihn und sahen, wie eine große Hoffnung aus dem Stadion getragen wurde. Sebastian Deisler drückte sich beide Hände vors Gesicht, und er wusste wohl schon, was folgen würde. Am Montag sagte der Berliner seine Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea ab. Heute will Teamchef Rudi Völler entscheiden, wen er an Deislers Stelle mit nach Fernost nimmt: den Herthaner Stefan Beinlich, den Dortmunder Lars Ricken oder den Schalker Jörg Böhme.

In der 19. Minute des Spiels gegen Österreich war es passiert: Deisler prallte an der Seitenlinie mit Rolf Landerl zusammen. Genauer gesagt, sein rechtes Knie prallte mit Landerl zusammen, jenes Knie, in dem sich Deisler erst vor einem halben Jahr das Kreuzband gerissen hatte. Der Berliner konnte nicht weiterspielen. Deisler wurde in der Kabine untersucht, anschließend ins Krankenhaus nach Bergisch-Gladbach gebracht. Immerhin konnte Rudi Völler nach dem Spiel verkünden: „Es ist nichts kaputt, nichts gerissen. Das ist die schönste Aussage, noch wichtiger als das 6:2.“ Das war zwei Tage vor der Absage. Am Pfingstmontag klangen die Sätze dann anders – knapper und kühler. Sebastian Deisler sagte nur: „Es geht nicht. Ich bin wahnsinnig enttäuscht, aber es ist nicht zu ändern.“ Offensichtlich schränkt die Sorge um das bereits häufiger lädierte Knie den 22-Jährigen stärker ein, als es die Anforderungen einer Weltmeisterschaft zulassen.

In den wenigen Minuten Einsatzzeit hatte Deisler gegen die Österreicher noch gezeigt, welchen Wert er für die Nationalelf besitzen kann. Die 1:0-Führung leitete er mit einer Flanke ein, und nur zwei Minuten vor dem Malheur schlug er einen präzisen 40-Meter-Pass auf Jens Jeremies, wie es nur wenige deutsche Fußballer vermögen. Rudi Völler muss in der Anfangsphase des Spiels seine jüngsten Eindrücke bestätigt gesehen haben: „Tag für Tag, Trainingseinheit für Trainingseinheit ging es besser bei ihm. Sebastian hat seinen Spaß wiedergefunden“, berichtete Völler.

Der Ausfall Deislers ist nicht das einzige Problem der Nationalelf. Christian Ziege befindet sich nach seiner Sprunggelenksverletzung noch in der Aufbauphase, Marco Bode hat zuletzt bei Werder Bremen nur unregelmäßig gespielt, und Marko Rehmer sogar seit Anfang März kein einziges Spiel mehr bestritten. Sein fest eingeplanter Einsatz gegen die Österreicher wurde durch eine Schulterprellung verhindert. „Das ist bitter“, sagte Völler. „Marko hat die ganze Woche sensationell trainiert.“ Der Herthaner nimmt in den Planungen des Teamchefs inzwischen eine wichtige Rolle ein. Im Grunde kann Völler auf Rehmer nicht auch noch verzichten.

Wenn das Spiel gegen die international unerfahrene Nationalelf Österreichs einen Aufschluss gebracht hat, dann den, dass sich das dräuendste Problem bei den Deutschen aktuell vom Sturm in die Abwehr verlagert hat. „Es haben einige Feinheiten nicht geklappt“, klagte Völler. Viel zu viele Torchancen habe das Team dem Gegner zugestanden, das dürfe bei der WM nicht passieren. „Einmal geschlafen, einmal nicht hundertprozentig konzentriert – dann musst du nach Hause fahren.“

Immerhin darf Völler hoffen, dass diese Botschaft ankommt: Seine Mannschaft – das hat die Reaktion auf die Niederlage in Wales gezeigt – ist lernwillig. Sie müssten mehr über die Flügel spielen, hatte der Teamchef seinen Spielern aufgetragen. Gegen Österreich fielen daraufhin die ersten vier Tore nach Hereingaben vom Spielfeldrand. Aber so einfach wird es nicht immer sein, die Vorstellungen der Teamleitung umzusetzen. „Wir dürfen jetzt nicht glauben, dass es ein Alleingänger wird in Japan“, sagte Völler.

Letztlich hat der schöne 6:2-Sieg gegen Österreich die gleiche Aussagekraft wie das peinliche 0:1 in Wales: fast gar keine. „Die entscheidenden Tage kommen jetzt“, sagte Torhüter Oliver Kahn. „Man ist als Spieler froh, wenn man diese so genannten Vorbereitungsspiele hinter sich hat.“ Immerhin: Der Erfolg, so glaubt Völler, „gibt uns auch ein bisschen Ruhe“. Was im umgekehrten Fall los gewesen wäre, haben er und die Mannschaft nach der Niederlage gegen Wales erlebt. Völler fand die Kritik der Medien überzogen, vermutlich war sie das auch, aber sie könnte auch ganz hilfreich gewesen sein. „Sie hat zumindest nicht geschadet“, sagte Völler.

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