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Leicht gestrauchelt: Hertha BSC war gegen den VfB Stuttgart lange die bessere Mannschaft. Trotzdem reichte es nicht.

© Sina Schuldt/dpa

Niederlage gegen den VfB Stuttgart: Hertha BSC: Opfer eines Justizirrtums?

Hertha BSC beherrscht den VfB Stuttgart vor der Pause und verliert am Ende doch noch. Das Problem ist für die Berliner nicht neu. Eine Analyse.

Davie Selke blickte betreten zu Boden, sein Gesicht lag im Schatten seiner Baseballkappe. Aber man musste seine Mimik gar nicht sehen, um einen verlässlichen Eindruck von seinem Gemütszustand zu bekommen. Als der Stürmer von Hertha BSC über das gerade zu Ende gegangene Spiel in der Fußball-Bundesliga sprach, schüttelte es ihn, als ob noch einmal ein Schauer durch seinen Körper gegangen wäre. Ein Schauer des Schreckens.

„Ärgerlich, schade“, sagte Selke. So ähnlich klang das auch bei seinen Kollegen. Marvin Plattenhardt fand die 0:1-Niederlage beim VfB Stuttgart „ärgerlich, bitter“, und Fabian Lustenberger nannte es „eigentlich unglaublich“, dass Hertha zum Auftakt der Rückrunde verloren hatte.

Mehr und mehr verstärkte sich der Eindruck, dass die Berliner sich als Opfer eines Justizirrtums fühlten und das Resultat als vollkommen ungerecht empfanden – nicht nur weil das Spiel durch ein spektakuläres Eigentor ihres Verteidigers Niklas Stark entschieden worden war. „Das war kein passendes Ende“, sagte Davie Selke. Rune Jarstein, der Torhüter, fand: „Wir hätten einen Punkt verdient.“ Stark sagte: „Wir hätten auf jeden Fall mit einem Punkt nach Hause fliegen müssen.“ Und Lustenberger setzte sogar noch einen drauf: „Wir hätten einen Sieg verdient gehabt.“

Das stimmte alles – wenn man allein die erste Halbzeit zur Bemessungsgrundlage nahm. „Wir hatten einen Plan, den haben wir gut umgesetzt“, sagte Trainer Pal Dardai. „Es war ordentlicher Fußball und ein gutes Auswärtsspiel. Wir haben das bestätigt, was wir am Ende der Hinrunde gezeigt haben.“ Vor der Pause dominierte Hertha die Begegnung und vor allem den Gegner. Vier gute bis sehr gute Chancen erspielten sich die Berliner, laut Dardai alle keine Zufallsprodukte. Die Stuttgarter hingegen waren mit der Gestaltung der Partie ziemlich überfordert, ihren neuen, alten Stürmer Mario Gomez brachten sie nur ein einziges Mal, mit einer Flanke aus dem Halbfeld, in eine Abschlussposition. Strukturiert im Offensivspiel, entschlossen in der Defensive: „Es war alles dabei, was es braucht, um Spiele zu gewinnen“, sagte Lustenberger. „Wir waren auch die bessere Mannschaft über 90 Minuten.“

Schon gegen Frankfurt gab Hertha das Spiel aus der Hand

Das wiederum stimmte eben nicht. Zu Beginn der zweiten Hälfte gingen die Berliner noch forsch zu Werke. Sie attackierten die Stuttgarter tief in deren Hälfte und gingen nach Ballverlusten umgehend ins Gegenpressing über. Aber sie brachten die Sache nicht zu Ende. Nüchtern betrachtet erspielte sich Hertha nach der Pause keine einzige richtige Chance mehr. Der VfB kam ungeschoren davon – und schließlich zu einem insgesamt glücklichen Sieg.

Es war nicht das erste Mal, dass Hertha so etwas passierte. Zu Hause gegen Bremen haben die Berliner eine Führung verspielt, und auch im Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt machten sie ähnliche Erfahrungen. Zwanzig Minuten lang spielten sie ihren Gegner an die Wand, sie führten 1:0, verloren anschließend auf unerklärliche Weise die Kontrolle und letztlich auch das Spiel. „Wir können nicht 45 Minuten durchpressen“, sagte Stark über den Einbruch gegen den VfB in der zweiten Halbzeit.

Vielleicht ist das auch Ausdruck des Entwicklungsstandes des Teams. Ein Spiel und den Gegner zu dominieren gelingt den Berlinern mal über längere, mal über kürzere Passagen einer Partie, aber eben noch nicht über 90 Minuten. Möglicherweise ist das der Unterschied zwischen einer guten und einer sehr guten Mannschaft. Schon jetzt erfreuen sich die Berliner in der Liga einer gewissen Wertschätzung. Niemand tritt richtig gern gegen das Team von Pal Dardai an. „Hertha BSC ist eine besondere Mannschaft in der Bundesliga“, sagte Stuttgarts Stürmer Gomez. „Die lullen dich ein, schießen ein Tor, dann lullen sie ein bisschen weiter.“ Das sei keineswegs abschätzig gemeint, ergänzte der Nationalspieler. „So richtig darauf einstellen kannst du dich nicht.“

Fabian Lustenberger empfand es als generell positiv, dass es der Mannschaft gelungen war, einem Gegner auf Augenhöhe das eigene Spiel aufzuzwingen. Anfang der zweiten Hälfte schien der VfB ausreichend sediert, aber dann ließ Hertha ihn doch noch entweichen – weil die Berliner ihren Plan nicht entschlossen zu Ende brachten. Stuttgarts Trainer Hannes Wolf stellte Gomez Daniel Ginczek als zweiten Stoßstürmer zur Seite. Es war das Signal zur Anarchie. „Nach 60 Minuten sind wir ungeduldig geworden“, sagte Dardai. „Es ging hin und her, hin und her. Das ist nicht unsere Spielweise.“ Die Berliner haben es lieber ordentlich.

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