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Brüder und Gegner. Keven Schlotterbeck, 22 (l.), trifft am Samstag mit Union auf Freiburg und Nico Schlotterbeck, 19.

© Patrick Seeger/dpa

Niels Schlotterbeck über seine Bundesliga-Neffen: „Beide müssen sich noch etablieren“

Ex-Bundesliga-Profi Schlotterbeck über das erste Duell seiner Neffen beim Spiel Union gegen Freiburg – und die früheren Probleme von Herthas Selke.

Von David Joram

Herr Schlotterbeck, früher waren Sie Bundesliga-Spieler, heute sind Sie Bundesliga-Onkel. Wie stolz macht Sie das?
Wenn man Keven für Union oder Nico für Freiburg im Fernsehen sieht, macht einen das natürlich stolz. Die beiden müssen sich aber erst noch etablieren, um gestandene Bundesliga-Profis zu werden.

Welcher Schlotterbeck ist denn der Bessere?
Keven hat etwas mehr Lebenserfahrung, mehr Routine. Nico ist ein bisschen athletischer, er war im Nachwuchsleistungszentrum des KSC. Dort wurde anders gearbeitet als in der Verbandsliga, wo Keven gespielt hat. Generell haben beide ein gutes Spielverständnis, einen starken linken Fuß, eine ordentliche Spieleröffnung und sind kopfballstark.

Wem drücken Sie am Samstag die Daumen, dem 1. FC Union oder Freiburg?
Ach, das Ergebnis ist mir relativ egal. Ich hoffe, beide Schlotterbecks bekommen Spielzeit und machen ein gutes Spiel. Der Bessere soll gewinnen. Ich tippe diplomatisch, 2:2.

Sie leiten eine Fußballschule in Weinstadt bei Stuttgart – an der auch Keven und Nico teilgenommen haben?
Beide waren als Kinder regelmäßig in meinem Fördertraining, Nico habe ich auch in einem Jugendteam trainiert. Die Basis legt man zwischen dem dritten und dem zwölften Lebensjahr, was die kognitiven Fähigkeiten betrifft. Darauf habe ich mich spezialisiert – und davon profitieren beide. Sie haben gute Bewegungselemente kennengelernt.

Niels Schlotterbeck, 52, ist der Onkel von Keven Schlotterbeck und Nico Schlotterbeck. Er kommt auf insgesamt 36 Bundesliga-Einsätze für die Stuttgarter Kickers, den MSV Duisburg und Hansa Rostock. In der Zweiten Liga lief der gebürtige Stuttgarter 171 Mal auf, 1987 verlor er mit den Kickers das DFB-Pokalfinale 1:3 gegen den HSV. Heute betreibt Schlotterbeck eine Fußballschule in Weinstadt bei Stuttgart.
Niels Schlotterbeck, 52, ist der Onkel von Keven Schlotterbeck und Nico Schlotterbeck. Er kommt auf insgesamt 36 Bundesliga-Einsätze für die Stuttgarter Kickers, den MSV Duisburg und Hansa Rostock. In der Zweiten Liga lief der gebürtige Stuttgarter 171 Mal auf, 1987 verlor er mit den Kickers das DFB-Pokalfinale 1:3 gegen den HSV. Heute betreibt Schlotterbeck eine Fußballschule in Weinstadt bei Stuttgart.

©  promo

Wie sieht denn die klassische Schlotterbeck-Schule aus?
Wir nutzen zum Beispiel Life-Kinetik. Es geht dabei um kognitive Flexibilität, die man in Spielsituationen nicht direkt erkennen kann; Spielintelligenz, peripheres Sehen, solche Dinge.

Und das können die Schlotterbecks besonders gut?
Wir haben zumindest nicht so viel falsch gemacht. Ein Beispiel: Viele Mütter und Väter sind froh, wenn ihre Kinder schon mit elf, zwölf Monaten laufen können. Das ist eigentlich ein Fehler, Kinder sollte man so lange wie möglich krabbeln lassen. Das stärkt die Motorik, die rechte und linke Gehirnhälfte.

Also Hauptsache viel Bewegung?
Exakt! Das habe ich den Kindern, also auch Nico und Keven, in meiner Fußballschule schon früh vermittelt. Aber die beiden waren nicht die einzigen, die Profis wurden.

Wer denn noch?
Herthas Davie Selke war auch regelmäßig zu Gast.

War auch bei ihm die große Fußballkarriere vorprogrammiert?
Nee, das hat man nicht unbedingt erkannt. Davie war als Kind sehr, sehr groß, das hatte er wohl von seiner Mutter, die auch sehr groß war. Ich hab ihn das erste Mal mit so acht, neun Jahren trainiert. Er war länger bei mir und hatte später, durch seine schnelle Wachstumsphase, koordinative Probleme.

Er war also kein herausragender Kicker in der Jugend?
Nein, überhaupt nicht. Er war gut, das ja, weil er durch seinen Körper Vorteile hatte, aber durch die Größe auch motorische Probleme.

Wann kam der Moment, an dem Sie gemerkt haben, dass Sie doch ein Riesentalent vor der Nase haben?
Da hatte ich ihn schon nicht mehr als Trainer, mit elf, zwölf spielte er woanders. Aber das ist oft so, dass Spieler, denen man enorme Leistungssprünge nicht zutrauen würde, dann wie eine Rakete abgehen. Meistens passiert das sogar erst mit 15, 16 – wie bei Selke. Bei Keven und bei Nico übrigens auch.

„Ich habe damit Geschichte geschrieben“

Zupackend. Keven Schlotterbeck (r.) beim Auftritt gegen Wolfsburgs Wout Weghorst.
Zupackend. Keven Schlotterbeck (r.) beim Auftritt gegen Wolfsburgs Wout Weghorst.

© Peter Steffen/dpa

Gibt es einen Königsweg, um Fußballprofi zu werden?
Nee. Es kann passieren, dass du in der A-Jugend einen Trainer bekommst, der aus irgendwelchen Gründen nichts mit dir anfangen kann – dann wird’s schon mal sehr, sehr schwer. Nico habe ich frühzeitig dem SC Freiburg und Hoffenheim empfohlen. Nach Hoffenheim bin ich sogar mit ihm und seinem Vater zum Probetraining gefahren. Da war er 14, 15 – und ist sang- und klanglos durchgerasselt. Weil er halt auch schlecht war an diesem Tag, das muss man auch sagen. Vielleicht die Nerven.

Was halten Sie grundsätzlich von Nachwuchsleistungszentren, wie sie inzwischen bei Profiklubs gang und gäbe sind?
Ab dem 15., 16. Lebensjahr finde ich diese Einrichtungen gut. Wenn Kinder aber schon in der E- oder D-Jugend wechseln, sind sie vom Kopf her noch nicht so reif. Sie verlieren früh ihre Wurzeln und bekommen früh Druck; von der Schule, vom Elternhaus, vom Trainer, vom Klub. Nico und Keven haben etwas mehr Auszeit gehabt haben, bevor es in die Vollen ging, das war gut. Wer mit 16 erst in ein NLZ wechselt, hat einen anderen Spirit und läuft nicht so sehr Gefahr, nach vier, fünf Jahren schon ausgebrannt zu sein.

Aber die Spätstarter haben dann auch einiges aufzuholen, oder?
Sie bringen dafür vielleicht mehr Risikobereitschaft mit, weil sie es von ihren Heimatklubs gewohnt sind, oft ins Eins-gegen-Eins gehen zu müssen. In den NLZs muss man, übertrieben gesagt, Schachfußball spielen, das System steht im Vordergrund.

Zu Ihrer Zeit war weniger Schachfußball, mehr Straßenfußball. Vermissen Sie diese Zeiten ein wenig?
Früher wurde noch aufs Garagentor geschossen. Die Bewegung, die Spiele, all das fällt heute mehr und mehr weg, das ist ein Problem. Klar ist doch auch: Zu meiner Zeit gab es nur Fußball, heute gibt es eben mehr Angebote.

Ihr größter Erfolg war das DFB-Pokalfinale 1987 mit den Stuttgarter Kickers gegen den HSV. Ärgert Sie das Eigentor zum 1:3-Endstand immer noch?
Im Nachhinein nicht mehr, das Spiel war eh gelaufen. Außerdem habe ich damit Geschichte geschrieben, weil ich der einzige Spieler bin, der in einem DFB-Pokalfinale je ein Eigentor geschossen hat. Und darum geht’s. (lacht)

Später starteten Sie mit 1860 München von der Bayernliga in die Bundesliga durch – spielten nach dem Aufstieg 1994 unter Trainer Werner Lorant aber nie in der Ersten Liga. Warum?
Das Problem war, dass Lorant nach dem Aufstieg sagte: Der Schlotterbeck spielt bei mir keine Sekunde mehr. Das konnte ich natürlich überhaupt nicht verstehen, obendrein hatte ich in dieser Zeit auch noch die Scheidung mit meiner ersten Frau laufen. Später stellte sich raus, dass Lorant im Lauf der Jahre alle Spieler abgesägt hat, die ihm den Aufstieg beschert haben. Mal ganz knallhart gesagt.

Jung und gut. Nico Schlotterbeck spielt und jubelt auch für die deutsche U-21-Nationalmannschaft.
Jung und gut. Nico Schlotterbeck spielt und jubelt auch für die deutsche U-21-Nationalmannschaft.

© Daniel Gonzalez Acuna/dpa

Lorant galt als Werner Beinhart. War er wirklich so schlimm?
Was sein Training betrifft, können die Medien schreiben, was sie wollen, da stimmt alles. Wir hatten mal eine Einheit auf der Tartanbahn: das funktionierte so, dass Lorant einen Spieler voranschickte und alle anderen ihm hinterherlaufen mussten. Mal lief ein schnellerer Spieler vorn, mal ein langsamerer, und die Meute musste jedes Mal hinterher. Und die Laufeinheiten zogen sich in die Länge, das kann man sich heute nicht mehr vorstellen.

Sie haben die Ausbootung damals stillschweigend akzeptiert?
Ich musste das akzeptieren, so war die Zeit. Dann musste man halt neue Wege gehen. Hannover 96 rief an, also ging ich nach Hannover. Dann gab's dort eben auch Unstimmigkeiten – wieder bin ich zum nächsten Verein gegangen.

Irgendwann heuerten Sie in Österreich bei Vorwärts Steyr an. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Während des Spiels wurde bei einem Rückstand in der 75. Minute schon mal das Flutlicht abgeschalten. Aber in Steyr hat es mir gut gefallen, nettes Land, nette Leute, nur hatte der Verein eines Tages kein Geld mehr – und ich musste wieder woanders hin. Deshalb bin ich in Kuwait gelandet.

Erzählen Sie!
Der Steyrer Präsident kam auf mich zu und sagte, ein Manager aus Dubai habe angerufen. Er wolle mich nach Kuwait bringen. Und so kam's auch.

Und Sie wussten gleich, Sie würden wechseln?
Wenn's in Steyr nun mal kein Geld mehr gibt, dann muss man als Fußballer schauen, wo man die nächste Arbeitsstelle bekommt.

Die Möglichkeit, beispielsweise zurück nach Deutschland zu wechseln, gab es nicht?
So einfach geht es nicht, dass man sich die Vereine aussuchen kann. Jedenfalls hab' ich bei al Qadsia Kuwait zugesagt, so mit 28, 29 Jahren, und mir gesagt, einfach ml Auslandserfahrung zu sammeln. Lieber wäre mir gewesen, ich hätte längere Zeit bei einem Verein bleiben können.

„Das war unter aller Sau!“

Klare Ansagen. Dafür war Ex-Löwen-Dompteur Werner Lorant auch bekannt.
Klare Ansagen. Dafür war Ex-Löwen-Dompteur Werner Lorant auch bekannt.

© Frank Mächler/dpa

Sie kamen also am Flughafen an, fuhren zum Klub. Und dann?
Zuerst musste ich ein Probetraining machen. Probetraining hieß Einzeltraining und solch ein Probetraining kannte ich bis da noch nicht, weil es diese Art von Probetraining eigentlich gar nicht gibt. Das war unter aller Sau!

Inwiefern?
Ein Ball war nicht dabei, ich musste Sprinten und was weiß ich noch alles machen. Aber der Trainer hatte ja auch keine Ahnung. Das war ein Brasilianer, über den es hieß, er sei in Brasilien Briefträger gewesen. Und genau so kam das Einzeltraining auch rüber.

Kennen Sie seinen Namen noch?
Um Gottes Willen! Nein, wirklich nicht! Das war auf jeden Fall einer, der null Ahnung hatte. Wobei es in Kuweit – damals zumindest – eh etwas anders ablief. Die Spieler machten sich nicht auf dem Platz warm, sondern in der Kabine und beteten vorher noch, wenn die entsprechende Stunde geschlagen hatte. Auch Tischkicker wurde in dieser Phase gespielt.

Für Sie dürfte das vermutlich etwas gewöhnungsbedürftig gewesen sein.
Ich bin halt raus auf den Platz, um mich warm zu machen – und da stand ich dann und habe mich alleine warm gemacht.

Wie kamen Sie in der Mannschaft an?
Am Anfang hatte ich ein paar Probleme und wurde mal herbeizitiert mit der Begründung, der Verein hätte lieber einen härteren Deutschen gehabt, weil ich bis dahin die heimischen Spieler nicht so hart attackiert hatte.

Warum nicht?
Die waren halt kleiner, schmächtiger. Und ich befand mich in einer anderen Stadt, einer anderen Kultur. Für mich war klar, dass ich – gerade im Training – meine Gegenspieler nicht so hart rannehmen konnte; die bekamen ja nicht mal Geld fürs Kicken, sondern spielten für die Ehre, weil sie über andere Kanäle sowieso über genügend Geld verfügten. Es gab dann also Kritik vom Verein, auch zurecht, an meiner Spielweise, danach bin ich dann härter ran, es lief dann auch für mich persönlich im Klub besser. Nach einem halben Jahr war trotzdem wieder Schluss.

Und Sie waren glücklich über das Interesse von Waldhof Mannheim?
Ja, weil das einfach brutale Verhältnisse waren, auch vom Wetter her. Bei 40, 50 Grad zu spielen ist nicht so schön. Und mit meiner Freundin konnte ich auch nicht ohne Weiteres das Leben genießen. Ich hatte einen Chauffeur, einen Inder, der extra für mich abgestellt wurde und dem Verein immer berichten musste, wo ich mich so aufhielt. Die Vereinsbosse wussten über mich und meine Freundin also komplett Bescheid. Sie durfte nicht ins Stadion und nicht im Rock herumlaufen. Das sind so Sachen gewesen, die ein bisschen anders waren, die man aber akzeptieren musste. Es war auf jeden Fall eine große Lebenserfahrung.

Ihr letztes Spiel für Waldhof Mannheim war dann ein 0:5 im Derby in Kaiserslautern. Sie wurden für Bjarki Gunnlaugsson eingewechselt.
Da wissen Sie mehr als ich! Aber es stimmt schon, Waldhof war meine letzte Station.

Dann taucht in Ihrer Transferhistorie nach Mannheim allerdings noch Zyperns Topklub Apoel Nikosia als allerletzte Station auf.
Nach dem Mannheimer Abstieg von der Zweiten Liga in die Regionalliga habe ich nochmal einen Verein gesucht und bin eben in Nikosia gelandet. Nur hatte sich diese Sache nach zwei Wochen wieder erledigt. Das ist eine längere Geschichte.

Nur zu.
Kurt Jara war damals Trainer in Nikosia. Er rief an und meinte, ich solle nach Seefeld ins Trainingslager kommen. Ich fuhr also nach Österreich, trainierte dort mit und Jara wollte mich schlussendlich auch verpflichten. Der Präsident kam zur Vertragsunterzeichnung, wollte mich vorher aber nochmal spielen sehen.

Fast-Schlotterbeck-Trainer. Kurt Jara, hier 2004 als Coach des 1. FC Kaiserslautern, lud Schlotterbeck zum Probetraining von Apoel Nikosia.
Fast-Schlotterbeck-Trainer. Kurt Jara, hier 2004 als Coach des 1. FC Kaiserslautern, lud Schlotterbeck zum Probetraining von Apoel Nikosia.

© Ronald Wittek/dpa

Sie konnten ihn nicht überzeugen?
Doch, doch, aber im Hintergrund agierten Spielerberater, der eine war für mich, der andere gegen mich und für seinen Klienten. Das war zunächst egal, ich bekam den Vorzug, unterschrieb und flog – fünf Tage vor dem ersten Europapokalspiel – nach Nikosia. Dort musste ich nochmal zum Medizincheck und bestand den wegen meinen damaligen Rückenproblemen nicht. Meine Frau stand mit den Koffern schon abholbereit am Flughafen, da durften wir schon wieder zurück fliegen.

Sie glauben, die Rückenprobleme waren nur eine schlechte Begründung?
Jedenfalls hatte der andere Spielerberater nicht locker gelassen. Dubiose Geschichten laufen da manchmal im Hintergrund.

Und das war's dann für Sie mit Fußball?
Ne, ne. Zunächst bin ich auf Reisen gegangen, Hongkong, Tel Aviv, Probetrainings machen, auch Unterhaching wollte mich unbedingt. Aber die Scheidung lief zu dem Zeitpunkt immer noch, und alles zusammen war einfach zu viel Theater. Ende Fußball. Das war auch gut so. Ich habe die A-Lizenz gemacht und wurde Fußballtrainer. Jetzt arbeite ich seit 20 Jahren mit Kindern, das macht mir unheimlich viel Spaß und ist ein ehrlicher Job. Man muss halt dran bleiben, immer weiter machen.

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