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Soll ich Sie ein bisschen unterhaken? Viktor Skripnik kümmert sich um seinen Kapitän Clemens Fritz.

© dpa

Nordderby Hamburger SV - Werder Bremen: Abstiegsangst ist heilbar

Runter vom Sofa - aber bloß nichts überstürzen! Unser Kolumnist und Werder-Bremen-Fan erkennt sich wieder in den Parolen von Viktor Skripnik.

„Wir mussen weiter nich jetzt auf Sofa liegen“, sagt Viktor Skripnik, der ukrainische Trainer des SV Werder Bremen, im Hinblick auf den Abstiegskampf. Das ist ein Motto, das mir ziemlich gut gefällt, im Hinblick auf den Existenzkampf überhaupt: Es hebt keine martialische Agenda hervor, die es mit zusammengepressten Lippen und zu Schlitzen verengten Augen abzuarbeiten gilt und die aus Grasfressen, Arschaufreißen und Eierzeigen besteht, also alldem, was man als kultivierter Mensch so ungern und widerwillig tut und was auch schon so schmerzvoll und peinlich klingt.

So, jetzt stehen wir langsam auf und gehen ein paar Schritte in Richtung gesichertes Mittelfeld

Viktor Skripniks menschenfreundliche Losung holt die abstiegsgefährdete Couchpotato dort ab, wo sie eben liegt: auf dem Sofa, direkt unterm Werder-Poster der Meistersaison 2003/2004, gebettet auf ein Kissen in Grün-Weiß. Und nicht nur das: Er verwendet sogar gewissenhaft das krankenschwesterliche "Wir", das Kranke und eingebildete Kranke, also faule Säcke wie ich, so gern hören, weil es uns aufs Gemütlichste einkuschelt in etwas, das größer ist als der Einzelne selbst. Und das in Zeiten der zunehmenden Vereinzelung, gerade in der kalten Professionalität der Bundesliga, wo immer mehr Individualisten herumsprinten, deren leere Gesichtsausdrücke existenzielle Einsamkeit verraten, ja nicht das Allerschlechteste ist: So, jetzt stehen wir mal langsam auf und gehen ein paar Schritte in Richtung gesichertes Mittelfeld. Möglichst frühe, aber behutsame Mobilisierung von Kranken ist das Stichwort aus der Pflegewissenschaft. Geht es, oder soll ich Sie ein bisschen unterhaken? Haben wir denn heute schon genug getrunken? Haben wir schon Besuch bekommen? Wollen wir jetzt einen kleinen Mittagsschlaf machen? Aber gern, Schwester bzw. Trainer.

Dirk Gieselmann ist Redakteur beim Fußball-Magazin 11Freunde und Kolumnist des Tagesspiegels.
Dirk Gieselmann ist Redakteur beim Fußball-Magazin 11Freunde und Kolumnist des Tagesspiegels.

© promo

Und wenn wir wieder aufwachen, haben wir das Nordderby gegen den Hamburger SV, der drüben im Nachbarzimmer liegt und zittert, gewonnen, die drei Punkte laufen einfach in uns hinein wie die Kochsalzlösung aus dem Tropf. Viktor Skripnik macht mir Mut: Abstiegsangst ist heilbar. Man darf es nur nicht überstürzen.

Dirk Gieselmann schreibt an dieser Stelle über die Fans im Fußball, Sebastian Stier schreibt über das Ausland und Dominik Bardow beschäftigt sich mit dem Inland.

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