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Norddeutsches Derby: Die Ruhe vor dem Tor

Mit Spannung wird das Bremer Spiel gegen den HSV erwartet. Tim Wiese und Frank Rost haben sich verändert – heute treffen sie im Hamburger Stadion aufeinander.

Das musste ja so kommen. Kein Interview, kein Vorbericht, in dem vor dem 167. Nordderby zwischen dem Hamburger SV und Werder Bremen am heutigen Sonntag (17 Uhr) nicht die Vorfälle vom 7. Mai dieses Jahres zur Sprache kommen. Wie war das noch mal, als Tim Wiese im Stile eines Kung-Fu-Kämpfers Ivica Olic niederstreckte? Weil die Rote Karte damals ausblieb, erregten sich die Gemüter. „Ich kann verstehen, dass die Leute mich ausbuhen werden“, sagt Wiese, der um Deeskalation bemüht ist. Auch deshalb stimmte er einem medienträchtigen Versöhnungsgespräch in Sittensen zu, auf halber Strecke zwischen Bremen und Hamburg. Wiese und Olic gaben sich die Hand.

Doch nicht nur auf dem Gebiet hat Wiese einiges dazugelernt. Der gebürtige Rheinländer hat vor der Saison dank einer Ernährungsumstellung fast acht Kilo abgespeckt und sich auch verbal deutlich zurückgenommen. Nur so ist auch seine Aufnahme in die Nationalmannschaft zu erklären, wo der geläuterte Keeper am Mittwoch in Berlin für sein 45-minütiges Debüt gegen England viel Lob erhielt. „Tim hat seine Position gefestigt“, glaubt Bremens Sportdirektor Klaus Allofs. „Wenn er weiter so gute Leistungen abruft, wird man in der Nationalmannschaft nicht an ihm vorbeikommen.“ Die Schmähungen und Pfiffe der Hamburger Anhängerschaft wird das aber heute kaum verhindern können.

Wieses Gegenüber, Frank Rost, äußert sich zum Neu-Nationaltorwart nur so: „Tim ist anders als ich.“ Auch da tritt einer nicht mehr in das bereitgestellte Fettnäpfchen. Genau wie Wiese nimmt sich auch Rost öffentlich viel mehr zurück. „Vielleicht ist es so, dass mich mit 35 nicht mehr so viel aus der Ruhe bringt wie mit 25“, sagt Rost. Klar, er ärgere sich auf dem Platz noch genauso wie früher, „aber danach sehe ich die Dinge gelassener“. Was viel damit zu tun, dass Rost eine andere Leidenschaft neben dem Fußball entdeckt hat: das Lesen. Seit einiger Zeit setzt er sich zudem für Alphabetisierungsprojekte ein. Er wolle damit die jungen Leute ans Lesen heranführen, sagt der Torhüter.

Hinter dem Frank Rost, der oberflächlich betrachtet oft aufbrausend und unbeherrscht wirkt, steckt ein ehrlicher und kritischer Charakter. Für den Hamburger SV ist er längst unverzichtbar: Er gilt als heimlicher Kapitän, sein Kontrakt ist bis 2010 verlängert, danach besteht ein Anschlussvertrag. Und oft spricht Rost schon wie ein Manager statt wie ein Torwart. Etwa wenn er vor dem Derby über Gemeinsamkeiten redet: „Eine gewisse Ruhe zu bewahren zeichnet die beiden Nordklubs aus. Hamburg ist eher eine Medienstadt als Bremen, aber auch der HSV ist mittlerweile gefestigt“, sagt Rost. „Langfristig wird nur der Erfolg haben, der keine emotionalen Entscheidungen trifft, sondern in der Führung, im Umfeld und im Alltag Ruhe und Sachlichkeit walten lässt.“ Und zum Entspannen mal ein Buch liest?

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