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Sport: Norwegische Mischung aus Antilope und Terminator

Der Stopper Jürgen Kohler gehört zu den sachlichen Menschen, deshalb liest sich sein Urteil über den 20-jährigen Norweger John Carew auch wie der Bericht für ein Fachorgan: "Wenn man gegen Carew spielt, dann ist nicht nur er allein entscheidend, sondern das, was der gesamte Gegner macht. Carew ist ja auch nicht permanent torgefährlich, sondern legt auch viele Bälle auf seine Mitspieler ab.

Der Stopper Jürgen Kohler gehört zu den sachlichen Menschen, deshalb liest sich sein Urteil über den 20-jährigen Norweger John Carew auch wie der Bericht für ein Fachorgan: "Wenn man gegen Carew spielt, dann ist nicht nur er allein entscheidend, sondern das, was der gesamte Gegner macht. Carew ist ja auch nicht permanent torgefährlich, sondern legt auch viele Bälle auf seine Mitspieler ab. Und allzu nah sollte man auch nicht an ihm dran sein. Denn dazu hat er einen viel zu starken Körper. Wenn du zu viel Kontakt hast, dann schiebt er dich mit seiner Kraft einfach weg."

Um herauszufinden, wie Jürgen Kohler nach den zwei Treffen in der Champions League mit Rosenberg Trondheim wirklich denkt, leihen wir dem Experten einmal die poetische Kraft des Journalisten Freddie Röckenhaus, der beschrieben hat, wie Kohler die unheimliche Begegnung mit dem Wunderknaben der Norweger vorgekommen sein muss. "Carew ist ungefähr zwei Meter fünfzig groß, wiegt zwei Zentner, bei Zweikämpfen schaltet er die zwei Elektromagneten ein, die seinen Körper an der Erdoberfläche andocken. Bei ausgeschalteten Magneten rennt Carew dagegen wie eine Mischung aus einer Antilope und dem Terminator davon, und in den Füßen scheint er so viel Ballgefühl zu haben, dass man automatisch an Marco van Basten und keineswegs an Horst Hrubesch denkt."

Die Begegnung dieser unheimlichen Art, die zweite davon fand beim 0:3 am 20. Oktober im Westfalenstadion statt, war der Auftakt einer Entwicklung, die den Champions-League-Klub BVB ein dreiviertel Jahr später fast in die Zweite Liga stürzen ließ. Sechs Monate lang wussten die Bosse der Borussen auch, wie sie die neue Saison und ihre europäischen Ansprüche neu starten sollten. Mit eben jenem Carew, der ihnen allen Angst und Schrecken eingejagt und den wohl routiniertesten Sonderbewacher der Welt, Jürgen Kohler, immer wieder wie einen Amateur düpiert hatte.

Doch dann bewies der Junge, der objektiv nur 195 Zentimeter misst und 94 Kilo Wettkampfgewicht angibt, dass er sich auch mit den finanziellen Werten und perspektivischen Kriterien einer großen Karriere auskennt. Er sagte nach einigen Verhandlungsrunden ab bei Borussia Dortmund, er gab auch dem PSV Eindhoven einen Korb und entschied sich für den FC Valencia. John Carew muss ein gutes Näschen besessen haben, als er den Kontrakt mit den Spaniern unterzeichnete; zu jenem Zeitpunkt galt der FC Valencia noch nicht als die neue Traumfabrik des spanischen Fußballs, die bis ins Champions-League-Finale stürmen sollte.

Die Zeitungen in Oslo, Trondheim und Lillehammer meldeten nur ganz nüchtern den Rekordtransfer von 17,6 Millionen Mark. Die Nüchternheit hat damit zu tun, dass die Menschen im Sportland Norwegen sehr bewusst und direkt umgehen mit dem Geld. Carew war ein Jahr zuvor von Valerenga Oslo nach Trondheim geholt worden, weil dieser Klub im Europapokal der Pokalsieger Furore gemacht und dank den Toren des riesigen Teenagers bis ins Viertelfinale gekommen war. Die fünf Millionen Mark und die zwei Spieler, die Trondheims Manager Rune Bratseth an Valerenga überwies, werden sich spätestens in diesem Sommer amortisiert haben. Rosenberg Trondheim hatte den designierten Superstar vor allem deshalb gekauft, weil dessen Export nach nur einer Champions-League-Saison mindestens zehn Millionen Mark bringen würde.

Im Gegensatz zu vergleichbaren Nationen veranstalten die 4,4 Millionen Norweger auch kein große Theater um den jungen Wunderknaben. Der Sohn einer Norwegerin und eines gambischen Vaters stellt sich in der Nationalelf der "Norsker" auch ganz brav hinten an. Diese Art von Anstand wird in den zahlreichen norwegischen Fußballschulen vermittelt. Schließlich putzen selbst die erfolgreichen Cracks von Rosenborg Trondheim noch ihre Kickstiefel selbst. Der junge Multimillionär hat deshalb keineswegs aufgemuckt, als ihm Nils Johan Semb seinen EM-Job erklärte.

Der Nationalcoach will das 4-5-1-System, mit welchem Team Norge bei zwei Weltmeisterschaften und die Jahre dazwischen so erfolgreich gespielt hat, nicht wegen eines Individualisten ändern. Auch Semb weiß, welch riesiges Talent Carew besitzt, doch für den einzigen Platz im Sturmzentrum ist Tore Andre Flo, der Torjäger von Chelsea, gesetzt. John Carew fliegt als Ersatzstürmer Nummer eins zum ersten EM-Turnier der Norweger. Aber wenn sich der Hüne dann von der Bank erhebt, werden viele Angst kriegen. Jürgen Kohler allerdings nicht mehr.Aus der Tagessiegel-Reihe "Männer, die Europas Fußball besser machen", Teil 3

Mehr zu John Carew unter www.sportsprofiler.com/carew (In norwegischer Sprache)

Martin Hägele

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