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Sport: Nur der Schweiß ist typisch deutsch

GUADALAJARA . Als alles geschafft ist, der Schiedsrichter nach vier Toren für Brasilien und keinem für die Deutschen endlich abpfeift, greift Erich Ribbeck zum Jackett, hakelt den Daumen durch den Anhänger, schultert es und verschwindet.

GUADALAJARA . Als alles geschafft ist, der Schiedsrichter nach vier Toren für Brasilien und keinem für die Deutschen endlich abpfeift, greift Erich Ribbeck zum Jackett, hakelt den Daumen durch den Anhänger, schultert es und verschwindet. Das alles tut er keineswegs in der Geschwindigkeit, mit der seine Spieler die 90 Minuten zuvor über den Rasen von Guadalajara gelaufen sind. So langsam ist der 62 Jahre alte Teamchef nicht.Es ist also vollbracht. 0:4 gegen Brasilien. Aber keine Angst, Sepp Herberger wird die vielzitierte Bewegung im Grab nicht gemacht haben. Bestimmt nicht. Die in der Fußball-Geschichte firmen Kollegen haben sofort auf das Jahr 1954 verwiesen, auf die Weltmeisterschaft in der Schweiz. Da hatte eine deutsche Fußballnationalmannschaft in der Vorrunde beim 3:8 gegen die Ungarn eine ähnliche Niederlage einstecken müssen. Die Ungarn galten damals ebenso als Wundermannschaft wie heute die Brasilianer. Man spricht seitdem übrigens nicht umsonst vom "Wunder von Bern", denn dort haben die Deutschen 1954 am Finaltag Ungarn geschlagen. Zwei Wochen nach dem demütigenden 3:8.Jetzt, beim Konföderationen-Cup in Mexiko, müssen sich die Brasilianer mit ihrer Reservemannschaft also nur noch irgendwie bis ins Finale am 4. August mogeln, dann werden sie schon Wundersames gegen erleben. Wäre da bloß nicht Neuseeland, der gefürchtete Ozeanienmeister, mit dem es die Deutschen am Mittwoch zu tun haben. Die Neuseeländer haben zwar am Sonnabend gegen die Fußball-Großmacht USA mit 1:2 verloren. Doch seit Jacksonville, dem 0:3 der Deutschen gegen die USA, hat das auch nichts mehr zu bedeuten.Die deutsche Fußballnationalmannschaft ist auf der Suche nach Format, und sie tut sich schwer damit. "Der Schweiß ist das einzige, was dem historischen deutschen Trikot noch Gewicht gab", spottete die mexikanische Zeitung "Reforma". Der Teamchef weiß, was mit dieser Mannschaft zu diesem Zeitpunkt möglich ist, und entsprechend zurückhaltend umschreibt Erich Ribbeck seine Erwartungshaltung: "Hoffentlich kann ich am Mittwoch eine Mannschaft aufbieten, die zeigt, daß der deutsche Fußball international mithalten kann."Mithalten mit Neuseeland. Das klingt bitter und sagt vieles aus über das derzeitige Niveau der deutschen Kicker. Fußball-Nationen vom Schlage Brasiliens sind zur Zeit außer Reichweite. Lothar Matthäus hat nach dem Spiel gesagt, daß er "keine Ausreden sucht", aber das man "von einem zusammengewürfelten Haufen nicht mehr verlangen" kann. Das ist schön gesagt und duldet keinen Widerspruch. Vier Tore haben die Brasilianer in den letzten 28 Minuten geschossen, in einem Spiel, das die Deutschen laut Ribbeck "leider nur eine Stunde offen gestalten können", wobei sich der Teminus "offen gestalten" wohl nur auf der Ergebnis bezieht. In der Schlußphase, als gar nichts mehr ging, hat sich mit dem Bielefelder Ronald Maul auch ein deutscher Spieler um zwei Tore verdient gemacht. Vor dem 0:3 hat er dem eingewechselten Alex bewundernd beim erfolgreichen Kopfball zugeschaut, beim 0:4 eine geplante Abseitsstellung desselben Spielers aufgehoben. Gut für die Deutschen - und für Maul selbst -, daß ihn der Teamchef nur die letzten zwanzig Minuten hat spielen lassen. Das aber soll nicht ablenken von dem, was seine Teamkollegen zuvor angestellt hatten. 70 Prozent ihrer Zeit in Ballbesitz vertrödelten die Deutschen mit Rück- und Querpaßspiel. Daß beides denkbar ungeeignet ist, um selbst ein Tor zu schießen, sollte auch dem zusammengewürfelten Haufen von Guadalajara einleuchten.An Finessen wie Steilpässe oder Flügelspiel war im Spiel gegen Brasilien nicht zu denken. "Ein Tor zu machen, war heute nun mal unmöglich", erzählte Thomas Linke. Der Abwehrspieler hatte laut Ribbeck ein "großartiges Spiel" hingelegt. Ein Urteil, daß in der Tendenz durchaus zutraf, wenn auch der Begriff "großartig" nach einer 0:4-Niederlage ein wenig deplaziert erscheint. Einigermaßen Ansehnliches lieferten noch Christian Wörns und Mehmet Scholl. Der Rest um Kapitän Matthäus, also die Herren Neuville, Ricken, Heinrich, Wosz und Ballack, lief nicht nur dem Ball hinterher."So etwas darf nicht passieren", sagte Scholl nach dem Duschen. "Nach einer Stunde ist uns die Kraft ausgegangen. Der Trainer hatte uns gut eingestellt, aber das Ergebnis ist schon ein Schlag." Scholl gibt vor zu wissen, "was wir falsch gemacht haben. Wir haben nicht so nach vorn gespielt, wie wir es können. Und dann haben wir zu leicht die Bälle verloren." Das hat Erich Ribbeck seinen Spielern nach dem ersten Groll schnell verziehen. "Gegen Brasilien kannst du mit so einer Vorbereitung nun mal nicht bestehen", sagt der Teamchef. "Ich würde gern noch einmal gegen die Brasilianer spielen, wenn wir Deutsche voll im Saft stehen." Und dabei hat er bestimmt an 1954 gedacht.

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