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Sport: Nur Druck macht ihn stark

Herthas Torwart Tremmel ist manchmal zu gelassen

Berlin Thorben Marx passt den Ball zurück zu Torwart Gerhard Tremmel. „Halten, halten!“, brüllt Falko Götz, der Trainer von Hertha BSC. Tremmel aber schießt den Ball mit voller Kraft nach vorne, die gegnerische Mannschaft fängt ihn ab. Falko Götz dreht sich weg, verzieht das Gesicht: „So ein Mist!“

Die Szene aus dem Training von Hertha BSC verdeutlicht, in welchem Bereich sich Herthas Abwehrspieler in den kommenden Wochen besonders umstellen müssen. Christian Fiedler, Herthas Stammtorhüter, kugelte sich am vergangenen Freitag die Schulter aus. „So wollte ich eigentlich nicht zu meiner Chance kommen“, sagt Tremmel. Er wird Fiedler in den ersten vier bis fünf Bundesligaspielen vertreten. Fiedler ist ein sehr guter Fußballer, er hilft seinen Abwehrspielern häufig, indem er aus seinem Tor herauseilt, um Bälle abzufangen. „Tremmel ist ein ganz anderer Torwart“, sagt Herthas Mannschaftskapitän Arne Friedrich. „Wir werden uns umgewöhnen müssen.“

Der 26-jährige Tremmel ist fußballerisch etwas schwächer als Fiedler. Doch er hat andere Stärken. „Tremmel ist im Tor ein unheimlich ruhiger Typ“, sagt Lorenz-Günther Köstner, unter dem Tremmel bei der Spielvereinigung Unterhaching das erste Bundesligaspiel seiner Karriere bestritt. Köstner erinnert sich gern zurück an die Saison vor sechs Jahren. Unterhachings Stammtorwart Jürgen Wittmann hatte sich verletzt. „Ich hatte die Wahl: Gebe ich dem jungen Tremmel eine Chance oder setze ich auf den 38-jährigen Peter Sirch? Es war eine reine Bauchentscheidung.“

Der damals 21-Jährige Tremmel hatte zuvor lediglich in der fünften Liga für Unterhachings Amateure gespielt. Sein erstes Spiel in der Bundesliga war zugleich ein besonders wichtiges für seinen Verein: das Lokalderby gegen den TSV 1860 München, es endete 1:1. „Er ist über sich hinausgewachsen, hat sensationell gespielt“, erzählt Köstner. „Und dann kam das Spiel in Dortmund.“ Vor 61 500 Zuschauern im Westfalenstadion hielt Tremmel einen Linksschuss von Lars Ricken nicht – ein Fehler. 1:1. Das Stadion tobte. „Ich saß auf der Bank und habe mich gefragt: Kann der Junge das aushalten?“, erzählt Köstner. Tremmel konnte, bot eine überragende Leistung. Unterhaching gewann 3:1. Auch in den weiteren Spielen der Saison war Tremmel stark. Vor allem dank seiner Leistung besiegte Unterhaching Leverkusen 2:0 – und verhalf Bayern München am letzten Spieltag noch zur Meisterschaft. Köstner sagt: „Tremmel hat diese ,Ist-mir-egal-Mentalität’. Das ist seine Stärke, aber auch seine Schwäche.“ Dem 1,90 Meter großen Tremmel fehle dadurch manchmal der unbedingte Wille im Training. Auch Götz stellte vor ein paar Wochen fest: „Der braucht Druck.“

Nach seinem zweiten Jahr in der Bundesliga und einer weiteren Saison in der Zweiten Bundesliga wechselte Tremmel von Unterhaching zu Hannover 96. In seinem ersten Jahr machte er dort noch 18 Spiele, im zweiten Jahr wurde Tremmel von Marc Ziegler verdrängt. Sein letztes Bundesligaspiel bestritt er im August 2003. Trotz der langen Pause traut sich Tremmel die Bundesliga noch zu. „Ich bin bereit“, sagt er.

In diesem Sommer hatte Herthas sportliche Führung noch überlegt, ob sie den Einjahresvertrag mit dem Torhüter überhaupt verlängern sollte. Doch Götz glaubt, er sei „jetzt einfach fitter“. Dass er nach der Rückkehr Fiedlers weiter im Tor stehen wird, gilt aber als unwahrscheinlich. „Fiedler hat einen Bonus beim Trainer“, sagt Arne Friedrich. „Wenn er wiederkommt, wird er wieder die Nummer eins sein.“ Es sein denn, Tremmel wächst wieder über sich hinaus – so wie vor sechs Jahren in Dortmund.

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