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Sport: „Nur perfekte Organisation schafft Motivation“

Eisbären-Trainer Pierre Pagé über zweite Chancen im Leben, sein Eishockeyteam und das bevorstehende Finale um die Meisterschaft

Herr Pagé, wir wollen über zweite Chancen sprechen.

Gern, das ist ein schönes Thema, das mich und die Eisbären schmückt. Die meisten Champions kommen erst im zweiten Anlauf ganz nach oben. Was meinen Sie, wie oft Tiger Woods verloren hat, bevor er der beste Golfprofi der Welt wurde?

Über Tiger Woods’ Niederlagen spricht keiner mehr. Die der Eisbären im vergangenen Jahr aber sind noch gegenwärtig. Sie haben damals als großer Favorit im Halbfinale gegen die Krefeld Pinguine versagt.

Das ist vorbei und vergessen. Wichtig ist doch nur, dass man aus den Niederlagen lernt. Ich bin jetzt seit zweieinhalb Jahren hier in Berlin, wir stehen zum ersten Mal im Finale und sind bereits zum zweiten Mal in der Position, mit den Eisbären Meister zu werden. Das kann doch nur heißen, dass wir hier die Dinge richtig machen, dass unsere Organisation, also der gesamte Klub vom Headcoach bis zum Materialwart, immer stärker wird.

Verzeihen Sie, aber das klingt sehr akademisch.

Akademisch? Nein, vielleicht philosophisch. Nur innerhalb einer perfekten Organisation erzeugen Sie die Motivation, die Michael Jordan so viele Meisterschaften gewinnen ließ.

Jetzt sind Sie beim Basketball.

Nein, nicht beim Basketball, sondern beim Erfolg. Jordan hat sehr früh in seiner Karriere gemerkt, dass er vor allem dann besser wird, wenn er seinen Mitspielern hilft, besser zu werden. Deshalb hat er sich viel mit den jungen Spielern beschäftigt. Erst dann hat Jordan Erfolg gehabt. Wir müssen so weit kommen, dass die jungen Spieler gerne zu uns kommen, weil sie wissen, dass sie sich in Berlin entwickeln.

Sie haben keinen Michael Jordan.

Ich will nicht anmaßend sein, natürlich haben wir keinen absoluten Weltstar wie Jordan im Team. Aber wir haben Leute wie Darryl Shannon oder Ricard Persson, die sich sehr wohl mit den jungen Spielern beschäftigen, die ihnen Tipps geben, ihnen zuhören, auch nach dem Training. Aber insgesamt haben wir sicherlich nicht genug Spieler, die bereit dazu sind, das zu machen, was Jordan getan hat. Wir brauchen mehr Spieler, die den jungen Spielern helfen.

Wie wir Ihnen so zuhören, können wir uns vorstellen: Pierre Pagé wäre so ein Spieler gewesen.

Es war mein Lebenstraum, eine gute Organisation aufzubauen, und bis jetzt funktioniert das bei den Eisbären auch. Wir stehen besser da als vor zwei Jahren, aber natürlich müssen wir noch besser werden.

Wie weit sind Sie?

Wir liegen schon bei über 50 Prozent, am Ziel sind wir aber noch nicht, obwohl wir jetzt unsere zweite Chance für den Titel nutzen können. Und glauben Sie mir, eine zweite Chance ist eine Gnade des Schicksals. Dustin Hoffman…

…oh, jetzt bieten Sie Schauspieler auf!

Nicht irgendeinen Schauspieler, sondern einen überragenden Schauspieler. Ich habe im vergangenen Jahr in San José eine Rede von ihm gehört. Ein großartiges Erlebnis. Dustin hat von seiner Karriere erzählt, davon, wie lange er gebraucht hat, bevor er die Rolle bekam, die er haben wollte, Sie wissen schon, mit Anne Bancroft in „The Graduate“…

… zu Deutsch: „Die Reifeprüfung“.

Bis zu diesem Film hat es Jahre gedauert, niemand wollte ihm eine Rolle anbieten, er musste andere, undankbare Rollen annehmen, und dann kam endlich dieses Schlüsselerlebnis. So ist das: Man bereitet sich das ganze Leben darauf vor, dass der Moment passiert. Wichtig ist, dass man daran glaubt.

Sie haben an Ihre zweite Chance geglaubt. Nun ist sie da, die Eisbären stehen im Finale. Es fehlen nur noch drei Siege, und der Deutsche Eishockey-Meister kommt aus Berlin.

Das hört sich einfach an, ist es aber nicht. Je mehr wir bei den Eisbären über die Meisterschaft sprechen, desto mehr verlieren wir die Konzentration. Wer will nicht Meister werden? Jeder will das. Die Frage ist doch: Was machst du, um zu gewinnen? Wir mussten letztes Jahr den Preis dafür bezahlen.

Was ist der Unterschied in diesem Jahr, warum stehen Sie diesmal im Finale?

Die Mannschaft spielt besseres Eishockey. Sie spielt das beste Eishockey, seit ich in Berlin bin. Vergangene Saison haben wir in den Play-offs nicht gut gespielt. Jetzt haben wir die beste Mannschaft der Liga, zwei sehr gute Torhüter, vier hervorragende Sturmreihen. Und unsere jungen Spieler trauen sich auch vors gegnerische Tor. Die haben inzwischen alle positive persönliche Statistiken, also mehr Tore geschossen als kassiert. Wir sind besser geworden und haben die Gesetze der Play-offs verinnerlicht. Und wir wissen, dass wir zur rechten Zeit unser bestes Eishockey spielen müssen.

Hätte Ihnen im August jemand gesagt, dass Sie im April im Endspiel um die Meisterschaft spielen . . .

…dann hätte ich das schon geglaubt. Aber ich weiß, worauf Sie anspielen, wenn Sie den August erwähnen. Es sind verrückte Sachen bei uns passiert.

Verrückt ist gut: Ihre Spieler Yvon Corriveau und Brad Bergen wurden im Trainingslager in Schweden mit dem Vorwurf der Vergewaltigung ins Gefängnis gesteckt.

Diese Vorwürfe sind längst widerlegt, aber natürlich hat diese Situation uns damals sehr stark belastet. Wir haben alle in der Vergangenheit Fehler gemacht. Die Spieler und der Trainer. Ich zum Beispiel gebe gerne zu, dass ich mich zu sehr geärgert habe nach dem entscheidenden Halbfinalspiel in Krefeld…

…als Sie 1:4 verloren und vor lauter Wut direkt nach der Schlusssirene ohne die Mannschaft zum Flughafen fuhren.

Damals habe ich falsch reagiert. Es war eben das etwas andere Jahr. Aber wenn man gut und schlecht addiert, dann war da mehr gut als schlecht in dem Jahr. Wenn man sich jetzt anschaut, wo wir angekommen sind. Die Spieler sind überrascht darüber, wie gut sie sind. Und ich bin überrascht, dass sie darüber überrascht sind.

Und doch ist Ihr Verhältnis zur Mannschaft seitdem nicht das allerbeste.

Bei uns ist es so, dass Manager Peter John Lee und Kotrainer Hartmut Nickel eher die ruhigen, lieben Leute sind, die mit den Spielern nie in Konflikt kommen. Ich bin dann eher der unruhige Typ, der schon mal alles durcheinander bringt. Ich weiß, dass es nicht einfach ist, mit mir zusammenzuleben oder zu arbeiten. Aber vielleicht muss ein Trainer auch so sein. Denken Sie an Scottie Bowman…

…den erfolgreichsten Trainer aller Zeiten in der NHL, der besten Eishockeyliga der Welt.

Scottie wurden von seiner Mannschaft 364 Tage im Jahr gehasst und an einem geliebt: an dem Tag, als sie Meister wurde.

Sie selbst haben über Jahre in der NHL gearbeitet, in Calgary, Quebec, Anaheim und Minnesota. Seit drei Jahren sind Sie in Europa. Wie weit ist die NHL von Pierre Pagé entfernt?

Sie rückt weiter weg mit jedem Jahr.

Würde ein Meistertitel in der DEL den Trainer Pierre Pagé der NHL nicht näher bringen?

Die wird wohl keinen Unterschied machen, weil sie kommende Saison in der NHL wegen eines drohenden Spielerstreiks nicht spielen werden. Dafür werden wohl viele Spieler in die DEL kommen, also kommt die NHL wenigstens zu mir. Ich muss den Job hier erledigen. Dann sehen wir weiter.

Das Gespräch führten Sven Goldmann

und Claus Vetter.

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