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Sport: Ob Ballack noch das Rennen macht? Noch 14 Wochen bis zur Wahl

Lieber P., weißt Du noch, damals …?

Lieber P.,

weißt Du noch, damals …? Ach, es ist immer ein bisschen peinlich, mit dem „Weißt Du noch, damals“ zu kommen, da doch alle Welt so zukunftsorientiert ist. Denn es steckt natürlich ein Stück Abschied darin. Kurz vor der Rückkehr in die Tagespolitik also, in dieser Woche, da nun offenbar die so genannte heiße Phase des Wahlkampfes endlich wirklich begonnen hat, frage ich Dich: Weißt Du noch, wie damals die „Bild“-Zeitung mit einer Schlagzeile erschien, der zufolge Irmgard AdamSchwaetzer zu Jürgen W. Möllemann gesagt haben soll: „Du intrigantes Schwein!“?

Das war eine tolle Woche damals, Anfang der 90er Jahre in Bonn, als sich die Bundestagsabgeordnete der FDP in ihrer Fraktion um die Nachfolge Hans-Dietrich Genschers als Außenministerin bewarb, und Möllemann gegen sie die Stimmen für Klaus Kinkel sammelte – dem sie dann auch unterlag. Auf die Frage, ob sie das tatsächlich gesagt habe, antwortete sie, Herrn Möllemann habe sie noch nie geduzt.

Oder, weißt Du noch, wie damals – das war noch in den 80ern – Heiner Geißler öffentlich die Vermutung äußerte, Helmut Kohl habe „einen Blackout“ gehabt? Geißler war seinerzeit Generalsekretär der CDU und wollte mit seiner Bemerkung über einen vorübergehenden mentalen Aussetzer seines Parteivorsitzenden und Bundeskanzlers verhindern, dass diesem aus einer Falschaussage vor dem Flick-Untersuchungsausschuss ein juristischer Strick gedreht werden könnte. Kohl hat ihm den Satz furchtbar übel genommen; und später, als Geißler auch noch zu den Putschisten gegen ihn zählte, war es aus mit der Freundschaft.

Ich erzähle Dir das aus mehreren Gründen. Erstens musst Du wissen, dass es unter echten Politikern echte Freundschaften nicht gibt. Am Wegesrand derer, die ganz nach vorne geprescht sind, liegen erschöpfte ehemalige Gefolgsleute und jede Menge Leichen. Bis sie dann ganz allein sind. Zweitens aber ist es dann doch tröstlich zu wissen, dass viele von ihnen das Ende ihrer Karrieren wieder vereint: Helmut Kohl und Heiner Geißler, Irmgard Schwaetzer und Klaus Kinkel oder auch linke und rechte Sozialdemokraten wie Detlev von Larcher und Anke Fuchs – sechs von rund 150 Bundestagsabgeordneten, die nicht mehr ins Parlament zurückkehren werden, weil sie am 22. September nicht mehr kandidieren.

Am stärksten fallen die Abgänge aus der Union ins Auge. Mit ihnen geht nun wirklich auch eine Ära: Theo Waigel, der Kohl Paroli bot; Friedrich Bohl, der ihm hundsergeben diente; Norbert Blüm, der ihn bewunderte und verachtete; Rudolf Seiters, der sich die Ehre bewahrte; Christian Schwarz-Schilling, dem letztlich die Überzeugung etwas bedeutete; Rita Süssmuth, die Kohls Hass standhielt; und, und, und …

Wer nachkommt? Du, keine Ahnung! Lauter nlose, natürlich – wobei zu bedenken ist, dass dergleichen immer wieder gesagt wird. Als Fritz Erler nicht mehr im Bundestag war oder Adolf Arndt und Thomas Dehler oder Richard Jäger, Baron von und zu Guttenberg, Franz Josef Strauß, da meinten unsere Eltern auch … – was, außer Strauß sagen Dir die Namen nichts? Schlag nach im Lexikon und schreib mir, wen Du gefunden hast! Sic transit gloria mundi, oder auch: Der Ball ist rund. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel!

Womit wir beim eigentlichen Thema wären, denn das wollte ich Dir unbedingt noch sagen: Neuerdings wird unter den Demoskopen die Behauptung aufgestellt, der Ausgang der Bundestagswahl habe nichts zu tun mit dem Ausgang der Fußballweltmeisterschaft. Glaube das ja nicht! Mir scheint, ganz das Gegenteil sei richtig. Wenn Du die beiden Spitzenkandidaten sorgsam beobachtet hast, wirst Du festgestellt haben, dass sie das genau so sehen.

Momentan hat Schröder eindeutig die Nase weit vorn. Am Samstag beim Zukunftskongress der IG Metall waren sich alle einig, dass er den Einzug unserer Jungs ins Viertelfinale entschieden am kompetentesten bejubelt hat. Wohingegen Stoiber völlig quer lag zu Delling/Netzer mit seiner Meinung, Michael Ballack habe gezeigt, dass er von Spiel zu Spiel immer besser werde. Eigentlich wurde er nämlich immer schlechter. Auch mit dem Leder kann Stoiber nicht so gut umgehen wie der Kanzler; neulich soll er es sogar in die Mikrofone geballert haben.

Wenn das nicht zu denken gibt!

Herzlichst, Dein M.

Martin E. Süskind

erklärt einem bayrischen Vertrauten die Berliner Republik

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