zum Hauptinhalt

Sport: Ohne Deckung

Tommy Morrison war Boxweltmeister und ein Idol des weißen Amerika – bis er positiv auf HIV getestet wurde

Shonda ist skeptisch. „Kein großer Fight, kein gutes Geschäft“, nörgelt die Barfrau vom „Jakob’s“ in Sparta,Tennessee, noch bevor der Kampf überhaupt begonnen hat. „Es boxt halt kein Amerikaner.“ Die Sportbar zählt gerade einmal fünf Gäste. Und die meisten von ihnen würden sich auch über ihre Light-Biere beugen, wenn nicht gerade Witali Klitschko gegen Danny Williams im Ring stehen würde.

„Ein durchschnittlich begabter Engländer gegen die große weiße Hoffnung Europas im Schwergewicht – zweitklassig!“, lautet die kompromisslose Einschätzung am linken Tresenrand. „Der Schwergewichtsszene fehlen einfach wirklich gute Fighter“, sagt der Mann, und seine Pupillen flackern auf. „Davon verstehe ich schließlich etwas.“ Es ist Tommy Morrison, der frühere Champion, der Großneffe von John Wayne, „The Duke“ haben sie ihn genannt. Dicker geworden ist er, einen Bauch hat er bekommen. Doch sein Bizeps ist immer noch beeindruckend, obwohl seine aktive Zeit nun auch schon acht Jahre zurückliegt.

Morrison rutscht unruhig auf seinem Hocker herum. „Klar kitzelt es, wenn man die Jungs in den Ring steigen sieht“, sagt er. „In Runde eins und zwei hätte Klitschko das Ding schon reißen können. Er muss nachsetzen und Williams nicht immer zurückkommen lassen … Shoot him!“, brüllt Morrison. „Wo bleibt da der Killerinstinkt? Bei einem starken Fighter als Gegner ein unverzeihlicher Fehler. Klitschko hat den Kampf zwar kontrolliert, aber gewonnen hat er ihn nicht.“ Morrison ist enttäuscht.

Tommy Morrison ist heute 35 Jahre alt. Einer, der den amerikanischen Traum lebte, bis er sich in einen Albtraum verkehrte. Zu Boden gegangen über Nacht, außerhalb des Rings. Zwei Mal hat sich Morrison den WM-Titel im Schwergewicht erboxt. 1993 gegen den damals schon 44 Jahre alten George Foreman und zwei Jahre später gegen Donovan Ruddock. Anfang der 90er-Jahre gilt er als „große weiße Hoffnung“ im Schwergewichtsboxen. „Das war nie mein Ding“, sagt Morrison. „Ich hoffe noch immer auf den Tag, an dem Boxer nach ihren Fähigkeiten beurteilt werden und nicht nach ihrer Hautfarbe. Aber das hat sich einfach verselbstständigt.“

Selbst Hollywood wird auf ihn aufmerksam. Sylvester Stallone verfolgt im Fernsehen Morrisons Kämpfe. Die meisten gewinnt er durch Knockout. Selten halten sich seine Gegner länger als zwei, drei Runden auf den Beinen. 46 seiner 50 Profikämpfe hat er gewonnen, davon 40 durch Knockout. „Dabei war Boxen noch nicht einmal meine Leidenschaft“, sagt er. Was denn dann? „Die Schauspielerei.“ Stallone lässt Morrison zum Casting einfliegen und bietet ihm die zweite Hauptrolle in Rocky, Teil fünf, an. „Ich war auf dem Höhepunkt meiner Popularität“, sagt Morrison. „Don King hatte gerade mit mir einen 40-Millionen-Dollar-Vertrag über drei Kämpfe abgeschlossen. Der letzte sollte gegen Mike Tyson steigen.“

Doch dazu kommt es nicht. Einer der letzten Vorbereitungskämpfe ist für Februar 1996 in Nevada geplant. Zum ersten Mal werden Bluttests vor einem Profikampf durchgeführt. Das Laborergebnis schockt die Boxwelt: Tommy Morrison ist HIV-positiv. „Eine Stunde nach der Pressekonferenz waren bereits die Banner in meiner Heimatstadt – ,Jay/Oklahoma ist stolz auf seinen Sohn Tommy Morrison‘ – vom Highway entfernt. Meine besten Freunde grüßten mich nicht mal mehr. Diese Menschen waren einfach totale Idioten. Ungebildet und ohne Klasse.“ Als er kurz darauf von einer Skifahrt nach Hause kommt, hat er kein Zuhause mehr. „Sie hatten es abgefackelt. Für die war ich plötzlich ein Aussätziger. Geteert und gefedert wurde ich aus Jay verjagt.“

Gefallene Helden werden von keinem geliebt, aber in den USA werden sie geächtet, weil sie am Hochglanzlack des amerikanischen Traums kratzen. Es ist das jähe Ende seiner Karriere. George Foreman ermöglicht ihm noch einen Vorkampf in Tokio 1996. Es ist sein letzter Auftritt im Ring. Der Deal mit Don King platzt, und Morrison entgleitet die Kontrolle über sein Leben. „Ich geriet wieder an falsche Freunde, Waffen- und Drogendealer.“ Er landet nach einer Razzia im Knast. Es folgen 18 Monate Kampf gegen den Untergang, denn selbst im Gefängnis ist Morrison ein Außenseiter. Mehrmals wird geschmuggelter Tabak bei ihm gefunden, „dabei rauche ich gar nicht“. Jedesmal verlängert sich seine Strafe um zwei Monate.

Auch danach wird es nicht besser. „Ganze elftausend Dollar waren mir von den Millionen geblieben. Den Rest haben mir Anlagebetrüger, falsches Management und meine geschiedenen Ehen geraubt.“ Durch die Zeit im Gefängnis geht Morrisons zweite Ehe in die Brüche. Dawn, seine Frau, wollte für sich und die Kinder den Unbesiegbaren, den Helden wieder zum Leben erwecken. Doch es war unmöglich. Morrison ist nicht mehr unbesiegbar.

Zwei Jahre ist das her. Heute lebt Morrison mit seiner neuen Freundin und deren jüngstem Kind zurückgezogen in den Bergen in Tennessee, in einem 6000-Seelen-Nest namens Sparta. Jeder grüßt hier jeden und erkundigt sich nach dem Befinden. Die Straßen sehen aus wie geleckt, Kirchen und Autowaschanlagen gibt es überdurchschnittlich viele. White Country Tennessee, die einzige Zuflucht für die gefallene weiße Hoffnung. Auf ihre Autos kleben die Menschen in Sparta Slogans wie: „Support our troops!“ und „Freedom is never for free“, gehalten in Stars and Stripes. Ein älterer Mann in der Church of Christ preist die Community „Bon Air“ in den Bergen an: „Das müssen Sie sehen! Wie zu Zeiten der Pioniere: fester Zusammenhalt, starker Glaube. Schwarze trauen sich da nicht hin. God bless you!“

Bars gibt es in Sparta keine. Morrison brachte die große weite Welt in den Ort. Doch auch hier verblasste der Glanz schnell. Genau in solchen von Hasspredigern geprägten Gemeinden wurde Morrison einst zum Idol – jetzt senkt sich der gleiche zwielichtige Patriotismus wie ein Schwert langsam über den gestürzten Helden.

Sein Geld erhält er aus der Sozialhilfe und gelegentlichen Autogrammstunden, die von einem Sportverband für Boxveteranen organisiert werden. Außerdem arbeitet er an seiner Autobiografie und sucht einen Verlag dafür. HIV-Symptome sind bislang nicht aufgetreten.

Morrison hat nichts anderes gelernt als zu kämpfen. Auf der Straße, im Ring, im Leben. Er redet immer wieder vom Schicksal, das er akzeptiere, weil er an Gott glaube. „Es wird schon etwas Neues kommen“, sagt er, „ich glaube an Bestimmung. Für irgendetwas bin ich schließlich durch all den Dreck gegangen.“

Moritz Wulf[Sparta]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false