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Olympia 1936: Drei Goldmedaillen und eine bittere Zugabe

Jesse Owens gewann bei den Spielen 1936 vier Wettbewerbe. In der US-Staffel wollte er nicht mitlaufen – doch dann wurden zwei Juden ausgeschlossen

Dreimal war Jesse Owens nach dem Krieg in Berlin, und immer ist er an der Marmortafel im Olympiastadion fotografiert worden. Am Marathontor, wo die Olympiasieger von 1936 eingemeißelt sind, Owens gleich viermal, von oben nach unten: über 100 Meter und 200 Meter, im Weitsprung und über 4 x 100-Meter. Weil die Tafel so hoch ist, zeigt Owens auf den Fotos immer auf den unteren Teil – dorthin, wo der amerikanische Staffelsieg dokumentiert ist. Owens war der Startläufer, doch er hat dieses vierte Gold nicht wirklich gewollt. Es ging auf Kosten anderer. Für Jesse Owens mussten Sam Stoller und Marty Glickman auf ihren Start verzichten, sie waren die beiden einzigen Juden in der amerikanischen Leichtathletik-Mannschaft.

Jesse Owens hatte sich spät dazu entschlossen, an den Spielen von Berlin teilzunehmen. Noch im November 1935 sagte er in einem Radiointerview: „Wenn es in Deutschland eine Diskriminierung von Minderheiten gibt, sollten wir unsere Teilnahme an den Olympischen Spielen zurückziehen.“ Die Möglichkeit eines Boykotts wurde in den USA seit 1934 lebhaft diskutiert. Am Ende setzte der amerikanische NOK-Chef Avery Brundage die Teilnahme durch.

Brundage, ein Unternehmer aus Chicago, wurde 1972 als IOC-Präsident zur Legende, als er nach dem Anschlag auf die israelischen Sportler bei den Spielen in München forderte: „The Games must go on!“ 1936 wähnte er hinter den Forderungen nach einem Boykott eine „jüdisch-kommunistische Verschwörung“. Im Auftrag des amerikanischen NOK (AOC) hatte er sich in Berlin im Gespräch mit Vertretern jüdischer Sportverbände nach deren Situation erkundigt. Die Feststellung, dass Juden nicht Mitglieder deutscher Sportvereine werden dürfen, konterte Brundage mit der Bemerkung: „In meinem Klub in Chicago sind Juden auch nicht zugelassen.“ Im Dezember 1935 votierte das AOC mit 58:55 Stimmen für die Teilnahme an den Spielen.

Im Sommer 1936 reiste die amerikanische Mannschaft per Schiff von New York nach Hamburg. Fotos zeigen Jesse Owens beim Weitsprungtraining an Deck und bei Sprintübungen mit seinen Kollegen. Für den schnellsten Mann der Welt war es eine Reise in eine andere Welt. In Hamburg und später im Olympischen Dorf in Elstal durfte er im selben Gebäude wohnen wie seine weißen Teamkameraden. In New York waren die Hotels der Innenstadt für Schwarze gesperrt.

In Berlin gewann Owens schnell drei Goldmedaillen, für die Staffel rechnete er selbst nicht mit einer Nominierung. Auf der Bahn im Olympischen Dorf trainierten Marty Glickman, Foy Draper und Sam Stoller die Finessen des Stabwechsels. Als vierter Läufer war der erfahrene Wykoff gesetzt, er hatte schon 1928 und 1932 Gold über 4 x 100-Meter geholt, im Einzelrennen wurde er Vierter hinter den Amerikanern Owens und Ralph Metcalfe und dem Holländer Osendarp. Der amerikanische Sprinttrainer Lawson Robertson antwortete auf die Frage, ob Owens für die Staffel nominiert würde: „Er hat genug Ruhm und Goldmedaillen gesammelt.“ Robertson sagte auch: „Wir wollen anderen die Gelegenheit geben, die Atmosphäre der Siegerehrung zu genießen.“

Zwei Tage vor den Vorläufen veranstalteten Robertson und sein Assistent Dean Cromwell auf der Trainingsbahn im Olympischen Dorf ein 100-Meter-Testrennen zwischen den Sprintern, die nicht an den Einzelrennen teilnahmen. Fast die gesamte amerikanische Mannschaft sah zu, wie Sam Stoller um eine Fußbreite vor Marty Glickman siegte, Foy Draper folgte weit abgeschlagen als Dritter. Stoller notierte in seinem Tagebuch, Cheftrainer Robertson habe ihm versichert: „Sehr gute Arbeit, Sam, mach dir keine Sorgen, du hast deinen Platz in der Staffel sicher.“

Es kam anders. Am 8. August 1936, wenige Stunden vor dem Start der Vorläufe, riefen die Trainer die sieben Sprinter zu einer Besprechung. Robertson behauptetete, die Deutschen hätten ihre besten Sprinter versteckt, um die favorisierte amerikanische Staffel zu blamieren. Deshalb müsste er die Besetzung ändern, Owens und Metcalfe würden die Plätze von Glickman und Stoller einnehmen. In die Stille des Saales hinein rief Glickman: „Coach, man kann keinen Weltklassesprinter verstecken. Um ein Weltklassesprinter zu sein, braucht man Praxis in Weltklassewettbewerben.“ Jesse Owens ergänzte: „Coach, lassen Sie Marty und Sam laufen, sie verdienen es. Ich habe schon drei Goldmedaillen gewonnen. Ich bin müde.“ Cromwell fiel Owens ins Wort: „Du machst, was dir gesagt wird!“ Ein letztes Mal meldete sich Glickman, diesmal mit einem politischen Argument: „Coach, Sie wissen, dass Sam und ich die einzigen Juden im Team sind. Wenn wir nicht laufen, wird es zu Hause eine Menge Ärger geben.“ Robertson antwortete: „Das werden wir ja sehen.“

Am Ende siegten die Amerikaner in der Weltrekordzeit von 39,8 Sekunden, die Deutschen wurden mit großem Abstand Dritte. Der ausgebootete Glickman behauptete später, Cheftrainer Robertson habe ihn im Olympischen Dorf um Verzeihung gebeten: „Marty, ich habe einen schrecklichen Fehler begangen!“ Sein Kollege Cromwell gehörte wie Avery Brundage zum „America First“-Komitee, das die USA aus dem Krieg heraushalten wollte. Brundage beharrte noch 1971 als IOC-Präsident darauf, dass „die Berliner Spiele die besten in der modernen Geschichte waren. Über diese Tatsache dulde ich keine Diskussion.“

Seine späten Nachfolger sahen das ein wenig anders. Was die Propagandaspiele von 1936 betrifft, aber auch das Drama um Marty Glickman und Sam Stoller. 62 Jahre nach den Spielen von Berlin. So bekundete William J. Hybl, der Präsident des amerikanischen NOK, es habe „damals große Anzeichen von Antisemitismus“ gegeben. Hybl ehrte Glickman mit einer speziellen Plakette, „an Stelle der Goldmedaille, die er 1936 nicht gewann“.

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