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Olympia 2012: Britta Steffen hat die Olympia-Hoffnungen enttäuscht

Sie ist im Halbfinale über 100 Meter Freistil glanzlos gescheitert – und dann sagt sie: „Hallo zusammen.“ Ist Britta Steffen vielleicht etwas zu entspannt?

Britta Steffen kommt in Trippelschrittchen. Die langen Haare sind nass, der Schwimmanzug klebt auf der Haut, als wäre er angeschweißt. Sie geht an einer Betonwand entlang, die milchig-weiß angepinselt ist. Dahinter liegt der Pool des olympischen Aquatic Centers; nach den Rennen gehen die Schwimmer hinter einer hüfthohen Barriere entlang der Wand zu ihren Kabinen. Nur Britta Steffen steuert erstmal die Gruppe von Journalisten an, die auf sie warten.

Fünf Minuten zuvor ist sie im Halbfinale über 100 Meter Freistil glanzlos gescheitert, damit hatte sie den Endlauf über jene Strecke verpasst, auf der sie 2008 Olympiasiegerin geworden war. Und auf der sie eine Medaille wollte.

Jetzt steht sie da, lächelt entspannt und sagt: „Hallo zusammen.“ Hallo zusammen? Nach so einem Rennen? Ist alles noch in Ordnung?

„Ich bin zufrieden, weil ich alles rausgeholt habe, was möglich war. Ich habe gekämpft wie eine Wildsau“, sagt sie. Und: „Das ist jetzt kein Weltuntergang.“ Sie sagt das nicht verkniffen, sie presst das nicht hervor. Sie sagt das im Plauderton, locker dahin. Und wenn nicht hinter ihr das wasserblaue Emblem „London 2012“ an der Wand prangen würde, man könnte glatt auf den Gedanken kommen, Britta Steffen spreche über irgendwelche Nebensächlichkeiten und würde jetzt lieber noch ein bisschen shoppen gehen.

Bildergalerie: Britta Steffens Karriere in Bildern

Derart überzogen ist ihre Ungerührtheit, dass der Gedanke auf der Hand liegt: Das ist doch Show!

Nur: Es ist eben nicht bloß Show. Ein Teil von Britta Steffens Auftritt nach dem Rennen entspricht auch der Einschätzung von ihrem langjährigen Trainer Norbert Warnatzsch. „Britta“, sagt er, „ist entspannter geworden.“

In einem nüchternen Konferenzraum konnte man die Veränderungen der Britta Steffen auch schon im Juli registrieren. Der Raum gehört zum Olympiastützpunkt Hamburg-Schleswig-Holstein. Auf dem Trainingsplan stehen die letzten Olympia-Vorbereitungen der deutschen Schwimmer. Am nächsten Tag ist der Abflug nach London.

Im ersten Stock, in jenem Konferenzraum, ist ein Podium aufgebaut. Der Deutsche Schwimmverband hat Journalisten eingeladen, sie können die Athleten vor Olympia noch mal in Ruhe befragen.

Vier Sportler sitzen da, darunter Paul Biedermann, Steffens Freund. Steffen sitzt in der Mitte, das rechte Bein lässig übers linke Knie gelegt. Die blonden Haare fallen über ihr rotes T-Shirt. Sie lächelt ein bisschen gönnerhaft, aber das fällt noch nicht besonders auf. Doch dann zieht sie ihre Hand wie einen Scheibenwischer, der auf langsamste Stufe gestellt ist, durch die Luft. Seid willkommen, soll das heißen. Sie hat etwas Huldvolles, diese Geste. Wie Queen Elizabeth II., wenn sie ihren Untergebenen hoheitsvoll zuwinkt. Das wirkt etwas albern, aber für Steffens Verhältnisse ist das ein Zeichen von Ungezwungenheit. Nur passt das gar nicht zu ihr. So hat sie sich noch nie gegeben.

Da kommt bei vielen Beobachtern im Raum erstmals der Gedanke auf, dass irgendetwas mit Britta Steffen passiert ist.

"Du, Franziska Superstar"

Ein paar Minuten nach Beginn der Fragerunde meldet sich in der fünften Reihe eine junge Frau im weißen T-Shirt, das ihre Körperbräune besonders hervorhebt. „Wie gehst du als Doppel-Olympiasiegerin die Spiele an?“, fragt sie. „Und was hat sich in der Mannschaft geändert?“ Die Fragerin ist Franziska van Almsick, heute 34, Weltmeisterin über 200 Meter Freistil von 1994, da war sie 16. Van Almsick war der Megastar des deutschen Sports, vor Jahren hat sie mit der sechs Jahre jüngeren Steffen in der gleichen Gruppe trainiert. Inzwischen moderiert sie Schwimmen für die ARD.

Steffen beugt sich vor, beide Füße auf den Boden gestemmt, alles Huldvoll-Lässige ist verschwunden.

„Ach, hallo, Franziska. Auch da“, sagt sie. Ironie natürlich, aber ein verletzender Unterton fehlt. Nun wird endgültig klar, dass sich Britta Steffen geändert hat. Wenn sie eine Medaille gewinnen würde, wäre das schön, beantwortet sie Almsicks Frage. Und dann kommen diese Sätze: „Es gibt nicht mehr so eine Hierarchie wie früher. Wir haben nicht mehr die Superstars wie früher, zu deiner Zeit. Als du mal nicht da warst, dann war auch keine Kamera da.“

Du, Franziska Superstar.

Das sagt Britta Steffen, selber Doppel-Olympiasiegerin, Doppel-Weltmeisterin, zweifache Weltrekordlerin über 50 und 100 Meter Freistil, der Superstar in der Zeit nach van Almsick, die Frau, die bis heute unverändert Kameras anlockt wie Honig einen Bären.

Auch Britta Steffen hat von ihrer Starrolle profitiert. Während die Öffentlichkeit vor allem die hochsensible Britta Steffen kennenlernte, die an ihren eigenen Erwartungen fast zugrunde ging, haben ihre Kollegen aus der Nationalmannschaft intern eine ganz andere Steffen erlebt. Nämlich eine Frau, die sehr deutlich und bestimmt eine Sonderrolle einnahm. Immer verbunden mit dem Bewusstsein, dass sie eine Leitfigur ist. Sie legte ihre eigenen Trainingstermine fest, sie bestimmte, dass eine direkte Konkurrentin im Team nicht mit ihr trainierte, sie nervte einige in der Mannschaft mit ihren Eigenheiten.

Aber ihre Sonderrolle hat sie verloren. Shanghai hat die beendet. Jene Weltmeisterschaft im Juli vergangenen Jahres, von der Steffen panikartig flüchtete, weil ihre Leistungen so schlecht waren. Sie ließ die Mannschaft im Stich, sie stand nicht mehr für eine Staffel zur Verfügung, das hat sie schlagartig den Respekt der meisten Teamkollegen gekostet. Eine Leitfigur, die vor den eigenen Problemen flüchtet, kann für eine Mannschaft kein Orientierungspunkt sein. „So jemanden nimmt man als Siegertypen nicht mehr wahr“, sagt Dirk Lange, bis Ende 2011 Bundestrainer der deutschen Schwimmer. „Sie muss sich ihr Renommee erst wieder erarbeiten.“

In Shanghai hatte auch die TV-Moderatorin van Almsick die Ex-Trainingspartnerin vor einem Millionenpublikum zum überforderten Sensibelchen degradiert. Die Staffel sei ja wichtig. „Dann muss man halt mal den Hintern zusammenkneifen“, sagte van Almsick in die Kamera. Halt mal. . . Eine Ohrfeige.

Bildergalerie: Britta Steffens Karriere in Bildern

Bei Britta Steffen kam das nicht gut an, und sie hat das auch nicht vergessen. Sie waren sowieso nie große Freundinnen, van Almsick und sie. Im Herbst 2011 verkündete Britta Steffen trotzig wie ein Kind: „Ich würde heute in einer vergleichbaren Situation wieder abreisen.“ Das kostete sie noch mehr Ansehen.

Ein Dreivierteljahr später im Hamburger Konferenzraum ist von dem Trotz und der Verbohrtheit nichts mehr übrig. Da sagt sie: „Die Gegnerinnen unterschätzen mich vielleicht, weil ich zuletzt nicht so toll war.“ Das war also der Stellenwert der Doppel-Olympiasiegerin: Ihr Vorteil liegt darin, dass sie nicht besonders ernst genommen wird.

Britta Steffen – ein ehemaliger, vielleicht nochmaliger Superstar mit den dicken Kratzern im Image. In London ging es daher für sie um mehr als sportlich gute Resultate. Es ging auch um ihren Ruf, um ihre Ehre. Es ging für sie um Anerkennung. Von der eigenen Mannschaft und von den internationalen Gegnerinnen. Aber vor allem ging es für sie offenbar darum, sich nicht mehr von den eigenen Erwartungen erdrücken zu lassen.

Daran hat sich nach ihren verpatzten Rennen, sportlich gesehen, nichts geändert. Sie hat als Einzelstart noch die 50 Meter Freistil, die Strecke, auf der sie in Peking 2008 ihre zweite Goldmedaille gewann. Aber sie muss auch hier durch die Vorläufe, um ins Finale zu kommen.

Der Weltfrieden sei nicht in Gefahr

Bleibt die Frage, ob sie durch ihre demonstrative Gelassenheit Anerkennung im eigenen Team erhält.

Bei Franziska van Almsick kam die schonmal nicht gut an. Die hätte sich mehr Enttäuschung und Unzufriedenheit gewünscht. Aber wie entspannt ist Britta Steffen denn überhaupt? Der Grad zwischen Show und Ehrlichkeit ist bei ihr kaum greifbar. Die ungekünstelte Britta Steffen zeigt sich öffentlich nur selten.

Auch in Hamburg kam dieser Moment, der stutzig machte. Britta Steffen mag ja sensibel sein und unberechenbar, aber sie ist auch eine Weltklasseschwimmerin, sie ist auch eine 28-jährige Studentin des Wirtschaftsingenieurwesens, sie ist auch eine sehr erwachsene Frau. Und dann verkündet sie: „Missy Franklin sagt: ,Be the best you can be.’ Das ist auch meine Devise für London.“ Missy Franklin ist der neue Jungstar der USA, die neue Olympiasiegerin über 100 Meter Rücken. Missy Franklin ist 17, ein Teenager. In London erzählte sie, dass ihre Mutter für sie die Sandwiches macht, die sie zum Training mitnimmt. Eigentlich sollte Missy Franklin sich Steffens Sätze zur Devise nehmen, nicht umgekehrt.

Ist diese betonte Bescheidenheit wieder einstudiert? Schon früher memorierte Britta Steffen erkennbar die Merksätze ihre Mentaltrainerin Friederike Janofske. Jetzt auch wieder? Steht jetzt auf dem Merkzettel: „Gib dich besonders locker! Oder mach dich bei passender Gelegenheit öffentlich kleiner als du bist“?

Friederike Janofske ist in London dabei, das ist eine der Lehren aus Shanghai. Bei der WM 2011 saß die Psychologin in Berlin, während Steffen in China seelisch zusammenbrach. Janofskes Einfluss auf ihre schwimmende Klientin ist enorm.

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Dass Britta Steffen jedenfalls in der Mannschaft wirklich lockerer geworden sei, das sagen Leute aus dem inneren Kreis. Sie kümmere sich um die Talente, die neu in der Mannschaft sind, verlange nicht zu viele Extras.

Auch Norbert Warnatzsch, der Trainer, sieht das Ergebnis von Janofskes Arbeit jeden Tag. Er hat ein Gesicht wie aus Stein gemeißelt, es zeigt wenig Emotionen. Aber jetzt deuten seine Lippen ein Lächeln an, als er über Steffen redet. Warnatzsch sitzt auf einem Plastikstuhl, er trägt das T-Shirt der deutschen Olympiamannschaft. „London ist der Versuch, ihre schöne Karriere abzurunden. So sieht sie das.“ So sagt er das.

Ja, schon. Aber Britta Steffen hatte auch mal erklärt: „Wenn ich verliere, nehme ich das hin.“ Oder: „Ich lerne wieder, wie sich verlieren anfühlt.“ Das war vor zwei, drei Jahren. Danach kam Schanghai.

Warnatzsch hört regungslos zu, die Arme vor dem Oberkörper verschränkt. Die Sätze interessieren ihn nicht. Das war früher, das ist abgehakt. „Britta und ich kennen uns so lange, ich kann jede Geste von ihr deuten.“ Und was heißt das? „Das heißt, dass ich die Aussage, dass sie entspannter als früher ist, treffen kann.“

Britta Steffens Abgang nach ihrem Halbfinal-Aus war jedenfalls genauso locker wie ihre Begrüßung. „Der Weltfrieden“, sagte sie und lächelte, „ist durch mich nicht gefährdet. Alles okay also.“

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