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Und wieder Erster! Mit großem Vorsprung wiederholt Sebastian Brendel seinen Olympiasieg im Einer-Canadier.

© dpa

Olympia-Gold im Canadier: Der Wirbel von Sebastian Brendel

Trotz plötzlicher Schmerzen im Rücken paddelt der Kanute wie schon 2012 zu Olympia-Gold. Franziska Weber und Tina Dietze holen danach Silber. Das soll noch nicht alles sein für die Deutschen.

Von Christian Hönicke

Eine Stunde vor dem großen Rennen drohte alles zu scheitern. Sebastian Brendel lag auf der Pritsche zur Behandlung, das ersehnte Gold war in weite Ferne gerückt. Beim Warmpaddeln hatte der Kanute einen stechenden Schmerz im Rücken verspürt, nach „ein paar komischen Schlägen“ auf dem ungewohnt welligen Wasser der Lagoa Rodrigo de Freitas. Der Potsdamer ist normalerweise die Ruhe selbst, seit 2013 hatte er kein Rennen mehr im Canadier-Einer über 1000 Meter verloren. Doch am Dienstag wurde selbst Brendel nervös. „Der erste Gedanke war: Warum ausgerechnet heute?“, sagte er. Ein bisschen mehr als eine Stunde später weinte Sebastian Brendel.

Er stand auf dem Siegerpodest, die deutsche Nationalhymne lief. Der 28-Jährige hatte es geschafft, wieder einmal.

„Das war ziemlich emotional heute, da kam alles zusammen“, sagte er später. „Ich bin froh, dass ich dem Druck standgehalten habe.“ Brendels Sieg zum Auftakt der Wettbewerbe soll die Rennkanuten über die nächsten Tage tragen. Bei den Spielen in London waren sie mit sechs Medaillen die erfolgreichste deutsche Teilmannschaft. Direkt im Anschluss holten sie in Rio bereits Medaille Nummer zwei. Franziska Weber und Tina Dietze gewannen im Kajak-Zweier über 500 Meter nach einem packenden Zweikampf mit dem ungarischen Boot Silber. Nur Max Hoff im Kajak-Einer enttäuschte mit Rang sieben über 1000 Meter. An seinem Paddel waren gleich zu Rennbeginn umhertreibende Pflanzen hängengeblieben.

„Das war ein toller Auftakt, auch wenn er den Schatten nicht so ganz vertreiben kann, der für unseren Verband über Olympia liegt“, sagte Kanuverbandspräsident Thomas Konietzko. Zwar haben Renn- und Slalomkanuten selten Kontakt miteinander. Dennoch hatte die Nachricht vom Tod des Slalomtrainers Stefan Henze auch die Sprinter betroffen gemacht. „Das kann man nicht ausblenden, gestern waren alle ziemlich geschockt“, sagte Brendel. „Vielleicht sind wir heute auch ein bisschen für Stefan gepaddelt.“

Dass Brendel überhaupt paddeln konnte, hatte er Michael Faulstich zu verdanken. Der Physiotherapeut nahm sich des Olympiasiegers von London nach dem Malheur beim Warmpaddeln an. „Er hat mich im Lendenwirbelbereich behandelt, da war alles total fest“, sagte Brendel nachher. „Es tut auch immer noch weh.“ Das Kneten zeigte aber zumindest temporär Wirkung. Brendel war fit für das große Rennen, auf das er vier Jahre hingearbeitet hatte. „Im Rennen waren die Schmerzen in den Armen dann doch größer als die im Rücken.“

Von Beginn entwickelte sich ein Zweikampf zwischen Brendel und Isaquias Queiroz dos Santos. Der Brasilianer hatte den Deutschen schon oft am Rand der Niederlage, diesmal wurde er auch noch von den „Brasil, Brasil“-Rufen der Landsleute auf den Tribünen nach vorn getrieben. Brendel hatte deswegen eine andere Taktik gewählt. „Ich habe ihn am Anfang nicht wegfahren lassen wie sonst, ich habe immer Kontakt gehalten.“ Je näher das Ziel rückte, umso mehr wuchs die Zuversicht bei Brendel. Kein Kanute hat einen ähnlich starken Schlussspurt wie der Mann vom Kanu Club Potsdam. „Die letzten 100 Meter hab ich im Augenwinkel gesehen, dass er nicht mehr vorbeikommt“, sagte er, „da habe ich mich schon kurz vor der Ziellinie richtig gefreut“.

Noch spannender war es nur wenige Minuten später bei den Frauen. Franziska Weber und Tina Dietze lagen im Kajak- Zweier nahezu die ganzen 500 Meter gleichauf mit den Ungarinnen Gabriella Szabo und Danuta Kozak. Kurz vor dem Ziel waren die Deutschen sogar in Führung gegangen, doch am Ende fehlten ihnen fünf Hundertstelsekunden zum Gold.

„Das ist ein ärgerlicher Wimpernschlag, deswegen habe ich im Ziel auch ins Wasser geschlagen und dachte: Verdammt!“, sagte die Leipzigerin Dietze. „Aber es ging kein Millimeter mehr. Wir haben uns nichts vorzuwerfen, wir sind super happy.“ Auch Franziska Weber aus Potsdam ärgerte sich nicht lange über das verpasste zweite Olympiagold nach London. Dafür blieb auch keine Zeit, sie hat sich ein straffes Programm für Rio verordnet. Im Kajak-Vierer und im Einer wird sie noch antreten. „Die Medaille kommt heute Nacht mit ins Bett, das ist dann genug gefeiert“, sagte Weber. „Dann geht es morgen steil weiter.“

Auch Sebastian Brendel wird in Rio noch einmal über die Wellen der Lagune paddeln, wenn es der Rücken zulässt. Im Canadier-Zweier tritt er gemeinsam mit Jan Vandrey an. Eine weitere Medaille „wäre eine tolle Zugabe“, sagte Brendel.

Der Hauptteil der Arbeit aber ist schon getan. Die Bestätigung der Goldmedaille von London war die vorläufige Krönung seiner unglaublichen Karriere. „Es fallen mir kaum noch Superlative für ihn ein“, sagte Verbandspräsident Thomas Konietzko. Er war Brendel im Ziel mit den Worten „Basti, du bist mein Held“ um den Hals gefallen. „Sebastian hat eine Epoche geprägt und ist schon jetzt in den Fußstapfen von Birgit Fischer angekommen.“

Der Vergleich mit der Kanulegende war dem Geehrten sichtlich unangenehm. „An ihre Erfolge werde ich nie herankommen“, sagte Brendel. Fischer hat noch sechs Goldmedaillen mehr geholt als er, und ob er bis Tokio 2020 weiterpaddelt, ließ er offen. „Irgendwann wird der Tag kommen, an dem es nicht mehr klappt. Aber heute hat es noch einmal geklappt.“

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