zum Hauptinhalt
Mehrere Hundert Menschen bilden mit verschieden farbigen Ponchos am 8.11.2015 im Stadtpark in Hamburg die Olympischen Ringe im Rahmen der Olympia-Initiative "Feuer und Flamme für Hamburg 2024" nach. Am Sonntag entscheiden die Bürger in Hamburg und Kiel in einem Referendum, ob sich die Hansestadt Hamburg um Olympische Spiele 2024 bewerben soll. 

© dpa

Olympia-Referendum in Hamburg: Ist das noch sinnvoll?

Hamburg stimmt am Sonntag darüber ab, ob sich die Stadt um Olympia 2024 bewirbt. Kann man eigentlich noch guten Gewissens dafür sein? Ein Essay.

Das hat uns jetzt gerade noch gefehlt: Olympische Spiele in Deutschland. An diesem Sonntag wird in Hamburg abgestimmt über die Bewerbung für die Spiele 2024. Aber wie kann man eigentlich noch guten Gewissens dafür sein? Oder wenigstens mit einem erträglichen Gefühl?

Was in diesen Tagen und Wochen passiert, muss der Sport erst einmal verdauen: Der Anschlag vor dem Stade de France in Paris während des Länderspiels zwischen Frankreich und Deutschland. Die Absage eines Länderspiels in Hannover wegen Terroralarm. Der Ausschluss von Russland vom Internationalen Leichtathletik-Verband – immerhin ist Russland Gastgeber der nächsten Fußball-WM. Die Korruption in der Leichtathletik, Ursport und olympischer Kernsport zugleich: Gedopte Athleten sollen sich freigekauft haben, beim damaligen Weltverbandspräsidenten höchstpersönlich. Die rätselhaften Zahlungen aus dem deutschen Fußball an die Fifa rund um die WM 2006 mit dem Verdacht, das Turnier gekauft zu haben. Und dem deutschen Fußball-Kaiser fallen gerade einige Zacken aus der Krone.

Das ist ziemlich viel Monströses auf einmal. Zu viel auf einmal für ein Bekenntnis zum größten Sportereignis der Welt?

Die Entscheidung über Olympische und Paralympische Spiele in Hamburg ist ein Abwägen zwischen Kosten, Chancen, Nutzen, Risiken. Stadtentwicklung, Hafenausbau, Verkehrswege, Sportstätten, Image, Schulden, all das spielt in diese Entscheidung hinein. Dennoch stimmen die Hamburger gerade stellvertretend für Deutschland über ein ganzes Modell ab: ob es sich noch lohnt, Milliarden in einen korruptionsanfälligen Sport zu stecken.

Es werden diesmal die eigenen Milliarden sein. Nicht die der Russen, die auf Geheiß Putins den Badeort Sotschi zum Wintersportdomizil aufmotzten. Nicht die der Katarer, mit denen mitten in den Wüstensand kühlbare Fußballstadien für bislang nicht vorhandene Fußballfans gebaut werden. Es sind Milliarden in einer Zeit, in der Deutschland viel Geld für andere Aufgaben benötigt. Zu einem Zeitpunkt, zu dem angesichts von Hunderttausenden von Schutzsuchenden große Unsicherheit herrscht, wie es mit diesem Land weitergehen wird.

Jetzt zu Olympia nein zu sagen ist daher auf jeden Fall leicht und populär. Einfach im Freundeskreis die Namen Blatter, Beckenbauer, Diack genannt. Das reicht als Begründung. So wie auch bei vielen in Bayern beim Bürgerentscheid über die Winterspiele 2022 eine Rolle gespielt haben dürfte, dass die Fifa und das IOC ihre großen Veranstaltungen dahin vergeben haben, wo sie neue Märkte vermuteten. Expansion um jeden Preis. So haben die Bürger in Bayern gegen München 2022 gestimmt, aber auch Katar 2022 gemeint.

Es ist derzeit schwer, für Olympische Spiele zu sein

Für Olympia zu sein, damit macht man es sich derzeit wesentlich schwerer. Es verlangt mindestens nach einer Erklärung, wenn nicht sogar nach einer persönlichen Rechtfertigung. Und doch wird es viele geben, die in Hamburg Olympia ihre Stimme geben. Manche vielleicht sogar aus Gründen, die gar nichts mit Hamburg zu tun haben, mit Hafenausbau oder Großem Sprung über die Elbe.

Zwei grundsätzliche Haltungen sind es, die unter diesen Befürwortern auszumachen sind: die idealistische und die realistische. Die idealistische gründet auf der Hoffnung. Dass etwa der olympische Geist eine ganze Stadt, vielleicht ein ganzes Land beseelt. Dass er Menschen aller Altersschichten, unabhängig von sozialem Status, Religion, Herkunft für die Vielfalt des Sports begeistert, für ganz unterschiedliche Sportarten jenseits des Fußballs. Dass die Spiele zu einem Kulturprogramm des Sports werden, das lange nachwirkt, weil sich viele wieder Vereinen anschließen oder sich einfach überhaupt wieder mehr bewegen. Dass ein solches Großereignis gesellschaftliche Kräfte freisetzt, dass die Paralympics etwas für Barrierefreiheit bewirken. Solche Hoffnungen eben, die an Dinge geknüpft sind, die man nicht einfach so kaufen kann.

Zur Hoffnung kommt das Vertrauen. Es könnte ja beim nächsten Mal wirklich besser werden. Kann denn die Agenda 2020 des IOC wirklich ganz ohne Folgen bleiben? Warum sollten es die Hamburger Organisatoren nicht tatsächlich transparenter hinbekommen als andere und auch noch günstiger? Haben sie nicht gesagt, dass sie alle Preissteigerungen schon eingerechnet hätten?

Um ihnen das abzunehmen, muss man allerdings schon viel Vertrauen haben. Für die Olympia-Befürworter mit der realistischen Haltung kommt es nicht auf die Stelle hinter dem Komma an, vielleicht nicht mal auf die Zahl davor. Die realistische Haltung hat ihren Frieden gemacht mit dem, was gerade im Sport passiert. All die Jahre haben Sportfunktionäre ihre Märchen erzählt vom Sport als Insel der Seligen, der Fairen und Guten. Sie haben diese Geschichten zu guten Preisen verkauft an Sponsoren und Medien und ihre Veranstaltungen an die Städte und Länder, die ihnen allerlei Vorteile verschafft haben. Jetzt ist ihre Maske heruntergefallen. Na und? Die realistische Haltung hat sich längst arrangiert mit Doping und Korruption.

Der Sport ist nicht besser als andere Bereiche

Wer kann schon sagen, welche Leistung im Sport überhaupt noch sauber ist? Und trotzdem sitzen so viele vor dem Fernseher und schauen sich die Tour de France an, das 100-Meter-Finale und andere olympische Wettbewerbe, in denen die Höchstleistung immer auch einen Verdacht weckt. Der Sport, sagen die Realisten, ist eben nicht besser als die anderen Bereiche der Gesellschaft, aber das haben wir schon immer gewusst. Genauso wie den Umstand, dass die internationalen Sportereignisse wie jeder andere Großauftrag auch verhökert werden, dass es immer ums Geben und Neben geht. So ist das Leben. Und bei der WM-Vergabe 2006 hat sich Deutschland nun mal geschickter angestellt als die anderen, die genauso zu manipulieren versucht haben. Bisweilen mischt sich auch etwas Sarkasmus in diese Haltung.

Sich gerade jetzt vom Sport abzuwenden, bedeutet für die Realisten das Eingeständnis, dass sie sich für dumm haben verkaufen lassen. Haben sie aber nicht, wozu waren sie denn Realisten? Im Restaurant an der Ecke weiß auch keiner, ob alle Zutaten noch frisch waren und ob das Geld nicht am Ende in den Taschen von Mafiosi oder Rockern landet, die das Lokal um Schutzgeld erpressen. Und trotzdem geht man weiter dorthin zum Essen, freudig bereit, einen netten Abend zu verbringen.

Es geht den Realisten nicht um Vertrauen. Es geht allenfalls noch ein bisschen um die Illusion. Die Illusion der Chancengleichheit im Sport etwa. Dass der Kleine den Großen, der Arme den Reichen besiegen kann, davon lebt jede erste Runde im DFB-Pokal. Die Realisten sehen im Sport gute Unterhaltung und je größer die Bühne, desto besser ist diese Unterhaltung. Der Sport, ein Welttheater. Manch einer wird sich die Zustimmung zu Olympia vielleicht noch mit einem ökonomischen Argument aufhübschen, dass ein Großereignis Arbeitsplätze und Steuereinnahmen bringe oder irgendetwas anderes Sinnvolles.

Und wenn hinterher ein Sieger als Doper auffliegt oder gleich die ganze Veranstaltung gekauft war – was soll’s? Wir hatten eine gute Zeit, und die eigene Freude wird einem die Weltantidopingagentur schon nicht mehr aberkennen.

Mit viel Idealismus und dem wohlwollenden Realismus kann sich Hamburgs Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele in die nächste Runde retten. Doch die Ablehnung gegen die Bewerbung lässt sich schneller begründen, und ihr lauern jede Menge Totschlagargumente auf.

Die olympische Bewegung hätte sicher vor wenigen Jahren auch nicht gedacht, dass sie sich in der Bevölkerung erst einmal qualifizieren muss. In Deutschland steht sie nun vor der Entscheidung. Eine Trostrunde gibt es nicht. Nur ein Durchwinken. Oder ein K. o., von dem sie sich so schnell nicht erholen dürfte.

Zur Startseite