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Ihr Fall. Im Training stürzte Silvia Mittermüller so schwer, dass es für sie nicht weiterging. Foto: Mike Blake/Reuters

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Olympische Spiele in Pyeongchang: Die Spiele des Lebens der Silvia Mittermüller

Snowboarderin Silvia Mittermüller wollte sich nach schlimmen Rückschlägen ihren Traum von Olympia erfüllen – und wurde am Ende enttäuscht.

Es hätte ihr großer Tag werden sollen, auch wenn Silvia Mittermüller schon vor dem Start ohne Aussicht auf Medaillen war. Stattdessen wurde der Slopestyle-Wettbewerb in Pyeongchang am Montagmorgen für sie zur Tragödie. Im Training direkt vor dem Lauf erwischte sie eine Böe. Mittermüller schlug voll auf die Piste. Sie blieb kurz liegen. Dann humpelte sie davon. Aus war der Traum vom Start bei Olympia. Was zunächst nur unglücklich und wie eine von vielen Verletzungen klingt, die gerade im alpinen Sport immer wieder vorkommen, wird tragisch, wenn man sich den Karriereverlauf der 34-Jährigen anschaut – und insbesondere ihren Weg zu den Olympischen Spielen.

Mittermüller ist Deutschlands Beste, wenn es ums Snowboarden geht. Sie bringt es auf 18 Jahre Weltcup-Erfahrung. Bei Olympia war sie bislang nie. Sie hat sich lange schwer getan mit dem Kommerz-Event. Mittermüller war eher Snowboarderin der ersten Stunde – als noch der Freigeist im Fokus stand und nicht die Profession mit Millionenverdiensten für die Stars der Szene. Ihr Medizinstudium gab sie erst einmal auf, um der Leidenschaft nachzugehen. Oft hat sie ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt. Drei Kreuzbandrisse und ein Achillessehnenriss sind nur ein kleiner Teil ihrer Krankenakte. Im Herbst aber zahlte sie fast mit dem Leben.

Neuseeland im September. Ein Trainingstag. Mittermüller stürzte unglücklich auf den Kopf und blieb bewusstlos liegen. Sie trampte Richtung Krankenhaus. An Einzelheiten erinnert sie sich nicht mehr. Von einer Gehirnerschütterung war die Rede. Weitere Untersuchungen gab es nicht. Mittermüller entließ sich selbst und flog zurück in die Heimat. Sie ging aufs Oktoberfest, trank dort ein, zwei Maß Bier. Als die Kopfschmerzen schlimmer wurden, ging sie nochmals zum Arzt. Der kam mit der Schocknachricht: Hirnblutung. Wäre sie in Neuseeland oder anderswo in den Tagen zuvor zusammengesackt – etwa auf dem 30-stündigen Flug zurück , sie hätte wohl nicht überlebt.

Nach einigen Wochen Pause machte sie weiter. Doch als sie ins Training einstieg, brach sie sich die Hand. Wie viel Verletzungen kann ein Sportler eigentlich wegstecken? Die Qualifikation schaffte sie trotzdem. Mühsam sammelte sie Punkte im Akkord und es reichte. Olympia wollte sie nun nur noch genießen. „Ich bin nicht hier, um mich zu zerschießen. Ich bin hier, um eine gute Zeit zu haben“, sagte sie vor dem Start.

Das Risiko fährt im alpinen Sport gerade in den Freestyle-Disziplinen immer mit.

Stattdessen erwischte sie am frostigen Hang von Pyeongchang ein Infekt. Von fiebrigem Schüttelfrost geplagt, verkroch sie sich unter zwei Decken. Sie hoffte auf die deutschen Teamärzte. Der Nachttisch war mit Nasenspray und fiebersenkenden Mitteln vollgestellt. Allein es half nicht. „Immer noch Fieber, immer noch schwitzen, immer noch keine Kraft. Ich weiß noch nicht wie, aber ich werde es versuchen“, schrieb sie am Morgen des Wettkampfs auf Twitter. Sie wollte es mit ganzem Herzen probieren – nicht auf diesen Start verzichten müssen, für den sie so viel auf sich genommen hatte. Hinterher fragte sie selbst: „War es die richtige Entscheidung? Ich weiß es nicht.“ Am Ende fehlte vielleicht die Kraft, um beim Sturz wenigstens eine schlimme Verletzung zu verhindern.

Kaum zu stoppen. Die Snowboarderin hat sich in ihrer Karriere schon zahlreiche Verletzungen zugezogen. Selbst nach einer schweren Hirnblutung machte sie weiter, um sich irgendwann doch ihren Traum von Olympia zu erfüllen. Foto: Peter Kneffel/dpa
Kaum zu stoppen. Die Snowboarderin hat sich in ihrer Karriere schon zahlreiche Verletzungen zugezogen. Selbst nach einer schweren Hirnblutung machte sie weiter, um sich irgendwann doch ihren Traum von Olympia zu erfüllen. Foto: Peter Kneffel/dpa

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Das Risiko fährt im alpinen Sport immer mit. Mehr noch in den Freestyle-Disziplinen, in denen Kreativität, Geschwindigkeit und Kontrolle bei Sprüngen und auf Hindernissen vereint werden müssen. Das macht den Sport gefährlich, aber auch besonders reizvoll. Die Tricks sind für die Sportler so technisch anspruchsvoll wie für die Zuschauer ästhetisch und spektakulär anzusehen. Auch am Montag konnte und musste man diese Mischung wieder beobachten.

Schon am Sonntag war die Qualifikation unter ähnlichen Turbulenzen abgesagt worden. Das Finale wurde dann nach hinten verschoben. Doch auch nach über einer Stunde wurde es nicht besser mit den wechselnden Winden und heftigen Böen. An den Start mussten die Snowboarderinnen trotzdem, und sie äußerten im Nachgang ihr Unverständnis. Der Riesenslalom der Frauen war am Hang zur selben Zeit abgesagt worden. Die aber, die durch die Luft wirbeln, sollten starten. Ob mit Blick auf den Zeitplan, die Zuschauer oder das TV-Event?

Selbst die Bronze-Gewinnerin kritisierte die Organisatoren für die Entscheidung. „Es war ziemlich gefährlich. Man wusste nicht, was einen erwartet. Sie hätten es absagen oder verschieben sollen“, sagte Enni Rukajarvi. Die Britin Aimee Fuller, die im zweiten Lauf ebenfalls stürzte, nannte den Wettkampf „eine Schande für unseren Sport“. Stefan Knirsch, der Sportdirektor von Snowboard Germany, forderte vom Weltverband Fis mehr Maßnahmen, um die Sportler zu schützen. In anderen Freiluftsportarten wie dem Skispringen sind Windmessung oder Ampelanlagen am Start selbstverständlich. „Das war heute keine Werbung für unseren Sport“, sagte Knirsch. „Die Leistungen sind aufgrund der Bedingungen weit hinter dem internationalen Top-Niveau zurückgeblieben.“

Selbst die spätere Olympiasiegerin Jamie Anderson reduzierte aus Sorge um die Gesundheit ihren Schwierigkeitsgrad. Andere Starter stürzten reihenweise oder kamen mit Mühe und Not unfallfrei die Piste hinunter. Silvia Mittermüller erhielt da bereits im Krankenhaus die frustrierende Diagnose: Meniskusriss. Damit ist auch der Start bei der Olympia-Premiere des Big Air-Events unmöglich. Nach allem, was sie auf dem Weg dorthin durchgemacht hat, bleibt ihr das Happy End auf dem Berg verwehrt.

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