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Legende. Lutz Lindemann, 68, bestritt 205 Spiele in der DDR-Oberliga. Nun hat er ein Buch veröffentlicht.

© Kahnert/dpa

Ostdeutsche Fußball-Legende: Lutz Lindemann: "Meine Vita ist alles andere als linear"

Der 68-jährige Lutz Lindemann spricht im Interview über die Rückennummer zehn, seine Zeit in der DDR und über die Fußballer in der heutigen Zeit.

Lutz Lindemann, 68, bestritt 205 Spiele in der DDR-Oberliga. 21 Mal stand er in der Auswahl der DDR. Er sah sich selbst als zentralen Mittelfeldspieler, einen Spielmacher, der auf der Zehnerposition auch mal mit der Nummer acht gespielt hat. Nach der aktiven Laufbahn war Lindemann Trainer und Funktionär, dabei auch Präsident vom FC Carl Zeiss Jena. Aktuell ist Lindemann Experte für die Dritte Liga bei „Sport im Osten“ im MDR. Wir haben mit Lindemann über sein Leben gesprochen.

Was hätten Sie gemacht, wenn Sie es nicht zum Fußballprofi gereicht hätte?

Ich wäre, wie viele andere sogenannte Talente, im Herr der Namenlosen aufgegangen, welche die Nummer zehn in der Kreisklasse zelebrieren und am Stammtisch Bundesligaspiele diskutieren.

Haben Sie jemals gedacht, dass der kleine Lutz aus der Siedlung am Rande von Halberstadt, einmal zu einem Fußballstar werden könnte?

Wie alle Jungs, die auf der Straße kickten, hatte ich auch diesen Traum.

Maradona, Pelé, Zidane, Lindemann und auch Matthäus trugen sie auf ihrem Rücken: Die Nummer 10. Sie alle waren Weltklasse. Galt auch in der DDR die Trikot-Nummer 10 als Inbegriff des Schönen?

Die Erstgenannten waren Weltklasse, ich sehe mich nicht in dieser Region. Die Nummer 10 war der Inbegriff der Kreativität. In einem anderen Tempo gespielt, sieht man das auch in unteren Ligen.

Wo überall trugen sie die Nummer zehn?

Ich spielte mit der Nummer zehn beim Club und in der Nationalmannschaft. In der DDR wurden die Nummern variabel verteilt, uns Spielern wurden Nummer zugeteilt, die nicht immer die Position wiederspiegelten. Es gab keinen Trikotverkauf mit unseren Namen auf dem Rücken. Altay Izmir war 1977 mein erstes EC-Spiel.  Mein erstes WM-Qualifikationsspiel war 1978 in Izmir. Ich hab nach dem Spiel mit meinem türkischen Gegenspieler das Trikot getauscht. Nach Spielende sollte ich es zurückholen. Das machte ich nicht und musste dafür 200 DDR-Mark Strafe bezahlen. Ich habe das Trikot in der DDR an Handwerker verschenkt. Bestimmte Arbeiten waren in der DDR wegen ob der allgemeinen Mangelwirtschaft nur mit Sonderprämien an die ausführenden Handwerker möglich.

Muss eine Nummer 10 ein Kämpfer und Regisseur gleichzeitig sein? Was waren sie?

Der Zehner hat oft andere Mittel als der klassische Kämpfer, aber die Zeiten des Stehgeigers sind lange vorbei.

Ist Fußball auf höchstem Niveau, egal wo, ein Spiel unter Freunden, oder knallhartes Geschäft, wo sich selber jeder selbst Nächste ist?

Auch zu meiner Zeit waren wir nicht alle Freunde, sondern eine Interessengemeinschaft. Diese IG war dem Erfolg verschrieben und unter sich unter bestimmten Regeln zusammengefunden. Das ist auch heute noch so, auch wenn der Druck noch größer ist, weil es um viel, viel mehr Geld.

Hat es Ihre Karriere beeinträchtigt, dass Sie schon in jungen Jahren als Überflieger galten?

Auf jeden Fall, ich dachte nach vier Länderspielen in der U18 als Kapitän, ich sei schon ein Großer. Ein fataler Irrtum.

Welches war ihr schönstes Tor in der DDR-Nationalmannschaft?

Ein Kopfball in der EM-Qualifikation zum 2:1 Sieg in Leipzig gegen Polen. In St. Gallen gegen die Schweiz zum 2:0 Sieg, das war es leider schon.

Welches war ihr schönstes Tor im Trikot des FCC?

1979, mein Freistoß zum 2:0 gegen West Bromwich Albion. Und mein Seitfallzieher 1978 gegen Bastia. Siehe You Toube.

War in der DDR der Star das Kollektiv? Bzw. das Mittelfeld, also alle kreativen Spieler?

Es gab in jedem Oberligateam herausragende Spieler, die sich aber nie als Star sahen, oder so bezeichnet wurden, weil das DDR-System keinen Starkult wollte. Sie konnten einen Starspieler nicht verhindern, das war Jürgen Sparwasser nach dem 1:0 Sieg gegen die BRD. Mit seinem Tor ist er weltweit bekannt geworden.

Waren in der DDR Individualisten nicht gefragt?

Sie waren gefragt, wenn sie ihre genialen Ideen in den Dienst des Teams stellten.

Die psychische Belastung eines Profis ist enorm. Wie war das in der DDR? Sind Spieler daran zerbrochen?

Die Trainingsanforderungen in meiner Zeit waren enorm hoch, die psychische Betreuung befand sich aber noch in den Kinderschuhen, wer sich nicht selbst aufbauen, bzw. therapieren konnte, war arm dran, es war brutal, es hat sich keiner darum gekümmert, was in unseren Köpfen abging.

Lindemann: "Ich habe nie geraucht, außer im Urlaub"

Lutz Lindemann mit seinem Buch "Optimist aus Leidenschaft".
Lutz Lindemann mit seinem Buch "Optimist aus Leidenschaft".

© Imago/Koch

Vorbild Pelé: Was ist da dran?

Pelè ist der weltbeste Spieler aller Zeiten. Aber ich hatte keine Vorbilder.

Für viele Leute in Jena sind sie eine Kultfigur. Wie lebt es sich damit?

Ich denke es gibt noch andere Kultspieler in Jena, die da heißen Vogel, Ducke, Weise, Korbjuweit, Schnuphase usw.

Vermissen Sie eigentlich Jena die Stadt, in der Sie viele Jahre gelebt haben?

Ich habe in Jena, in Erfurt und im Erzgebirge sehr gern gelebt und entwickelte in allen Regionen ein sehr gutes Lebensgefühl.

Welcher Verein aus der 1. Bundesliga würde zum LL des Jahres 1977 passen?

Ein Team, das attraktiv nach vorne spielt und viele kreative Momente erspielt, wie zuletzt Bayer Leverkusen in der Bundesliga Hinrunde 2017/2018.

Wann haben Sie das letzte Mal Fußball gespielt?

2001. Zwanzig Jahre nach dem Europapokalfinale das Rematch vor 30.000 Zuschauern in Tiflis. Unvergesslich. Ein großes Spiel, es sah allerdings hinterher im Video aus wie Zeitlupe. Ich hab mir danach geschworen, nie mehr in der Öffentlichkeit zu kicken.

 

Stimmte es, dass sie in der Halbzeitpause manchmal geraucht haben?

Ich habe nie geraucht, außer im Urlaub. Zuletzt 2004 vor einer Schilddrüsenoperation.

Man munkelt immer wieder, sie hätten 1980 ein Angebot eines Bundesligisten gehabt. Stimmt das?

Ich hatte kein offizielles Angebot, aber eine komische Anmache nach dem Spiel gegen Fortuna Düsseldorf, wir gewannen, ich war richtig gut. Mich sprach ein Herr an, ob er mich nach dem Spiel treffen könne. Ich hab nicht geantwortet, er hätte von der Stasi sein können.

Warum sind sie nicht in den Westen abgehauen?

Familie in Jena, eine süße Frau und zwei süße Kinder.

Welches war in der DDR-Oberliga ihr Lieblingsstadion?

In Jena und Erfurt fühlte ich mich wohl.

Glauben Sie, dass Sie unter den Bedingungen des heutigen Fußballs, der größte Spieler aller Zeiten geworden wären?

Mit solchen Themen kann ich mich nicht seriös beschäftigen. Ich bin mit meiner Vita sehr zufrieden.

Heute wimmelt es im Fußball von Medizinern, Vermittlern, Experten. Und die Spieler sind Werbehelden und Popstars – ist das der richtige Weg?

Die aktuelle Entwicklung des Fußballs ist besorgniserregend, zumal ich den Eindruck habe, dass der Fan ausschließlich als Melkkuh gesehen wird. Weil nur noch über Millionengehälter und Millionenablösen gesprochen wird, die Leistungen aber stagnieren, sehe ich schwarz.

 

Dicke Autos fahren heute alle Fußballspieler. Welche Autos fuhren sie in der Zone?

Trabant 601, dann Skoda mb1000, später als national- und Eurofighter einen Wartburg 353w mit Sportsitzen und Schiebedach - grandios.

Fußballprofis bekommen heute weitaus höhere Gagen und viel mehr Aufmerksamkeit als zu Ihrer aktiven Zeit. Wären Sie jetzt gern noch mal Spieler?

Ich kann die Uhr nicht zurückdrehen und bin ein Mensch ohne Neid. Ich hatte eine gute Zeit und gönne jedem erfolgreichen Menschen sein Glück.

Heutzutage wird vornehmlich am Computer Fußball gespielt. Es gibt Spiele im Internet, bei denen 50 Millionen Menschen auf der Welt mitspielen. Können Sie das verstehen?

Wenn sie dabei glücklich sind, sollen sie es tun. Aber immer Pausen einlegen, sich an der frischen Luft bewegen sowie Cola und Chips in kleinen Mengen genießen.

 

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag denn heute aus? Sitzen Sie auch einmal acht Stunden am Schreibtisch, unterbrochen von einer Frühstücks– und einer Mittagspause?

Aber bitte, ich bin jetzt 69 Jahre alt und war noch bis zum 30.06. 2017 als sportlicher Leiter im Kosovo aktiv. Ich bin zum Leidwesen meiner Frau jetzt zu viel zu Hause, aber Spaß beiseite, ich beschäftige mich geistig und sportlich.

 

Sie sind nun hauptberuflich Experte beim MDR.

Ich bin für ein Jahr Experte. Danach sehen wir weiter.

Als TV-Experte gilt man schnell als Besserwisser. Wie wollen sie das verhindern?

Fachlich, sachlich versuchen meine Meinung zu sagen, alle werde ich es nicht recht machen könne. 

Sind die ostdeutschen Vereinsmannschaften konkurrenzfähig?

Es gibt gute Leute mit Sachverstand bei allen Ost-Clubs, ich hoffe, es schafft bald ein echter Ost-Klub in die 1. Bundesliga.

Wann geht LL in Rente?

Ich beziehe seit Oktober 2014 bereits eine Rente. Das Wort höre ich aber nicht gern.

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