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Andrew Parsons, Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPS), glaubt an die Entwicklung der paralympischen Szene.

© dpa

Para-Leichtathletik-EM: Andrew Parsons: Der Mann, der die Para-Szene groß machen will

In Berlin leidet die Para-Leichtathletik-EM an mangelndem Zuschauerinteresse. IPC-Präsident Parsons ist dennoch optimistisch.

Ach ja, dieser Name. Parsons. Kommt aus dem englischen Sprachraum und als Nachnamen tragen ihn in Brasilien daher nur wenige Menschen. Und wenn dann die brasilianischen Eltern noch auf die Idee kommen, dem Sohn den Vornamen „Andrew“ zu schenken, dann wird das natürlich spannend in Rio de Janeiro. „Kein Mensch konnte meinen Namen auf der Schule korrekt aussprechen“, sagt Andrew Parsons. Er schmunzelt. Na, wo könnte mein Name denn wohl herkommen? Von? „Den schottischen Großeltern“, sagt Parsons. Er lacht. Andrew Parsons spricht allerdings nicht Englisch mit schottischem, sondern mit portugiesischem Akzent und findet Berlin, die Stadt, die bis zum Sonntag Gastgeber der Para-Leichtathletik-Europameisterschaft ist, ganz „großartig“, wie er sagt. Obwohl er als ehemaliger brasilianischer Fußballspieler beim Thema Deutschland ja oft an 2014, an dieses 1:7 gegen das deutsche Team, denken muss. „Aber lassen Sie uns bitte nicht davon reden, das tut immer noch weh.“

Andrew Parsons hat diesen wachen Blick. Der Mann will wissen, was um ihn herum gespielt wird. Und er weiß, welche Rolle er in er Öffentlichkeit spielen muss und vor allem kann. Schließlich war der Brasilianer schon Journalist, bevor er nun mit 41 Jahren in seiner Karriere als Funktionär oben angekommen ist. Parsons ist seit fast genau einem Jahr Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) und hat dort von Philip Craven einen Posten übernommen, den der Engländer 15 Jahre lang erfolgreich bekleidet hatte. Unter dem ehemaligen Rollstuhlbasketballer Craven ging es stetig aufwärts mit dem paralympischen Sport.

Passiv engagiert im paralympischen Sport ist aber auch Parsons schon lange. Er war Präsident des Paralympics Komitees der USA (2005 bis 2009) und danach Präsident des brasilianischen Komitees, was anfangs nicht einfach war, wie er sagt. „Wir hatten zunächst ein Budget mit null Geld. Zero.“ Aber das ist Vergangenheit und Brasilien ist immer noch wirtschaftlich ein Land mit „Entwicklungspotenzial“ im paralympischen Sport – aber seit den Sommerspielen von Rio 2016 auf dem Weg nach oben, sagt Parsons. Nun würden Menschen mit Behinderung in seiner Heimat anders wahrgenommen, sagt er. „Die Zuschauer haben in Rio die Kraft des paralympische Sports erfahren. Wenn sie sich da eine Veranstaltung angeschaut haben, dann kamen sie danach als andere Menschen heraus. Sie waren fasziniert, haben gesehen, was sportlich alles möglich ist, wissen jetzt, was auch Menschen mit Behinderung alles leisten können.“

Während Parsons das sagt, rudert er mit beiden Armen. Nach vorn, zurück. Immer in Bewegung und immer megapositiv bleiben, auch wenn es um die EM in Berlin geht. Er ist nicht zu stoppen, redet und rudert: „Berlin ist eine Weltstadt. Wir haben die Veranstaltung viele Jahre organisiert. Ich genieße es, hier zu sein. Ich war schon sehr oft in Berlin, das letzte Mal im Januar mit dem DBS-Präsidenten Beucher, um einige Ausschüsse zu besuchen. Ich denke, dass das Organisationskomitee gute Arbeit geleistet hat. Wir hatten eine gute Veranstaltung.“

„London war eine andere Situation"

Viele Plätze im Jahn-Sportpark blieben aber leer, im Vorfeld waren gerade mal 20.000 Karten für eine knappe Woche Para-EM herausgegeben worden. Kurzum: Der Zuschauerzuspruch in Berlin hatte Luft nach oben. Ja, er war sogar schlecht, verglichen mit der WM 2017 in London, die insgesamt 300.000 Zuschauer im Stadion verfolgten. Darauf angesprochen, wird Parsons Miene ernst. „Unser Team arbeitet mit dem Organisationskomitee zusammen, um zu ermitteln, wie wir mehr Zuschauer bekommen können, ob es Schwierigkeiten mit den Werbeanzeigen für die Veranstaltung gab oder wie man die Eintrittskarten kaufen konnte.“ Aber: „London war eine andere Situation. London hat eine sportliche Tradition, die größer ist als in jeder anderen Stadt auf der Welt.“

Das IPC hat ja auch noch Luft nach oben, will mehr Mitglieder bekommen und den Sport auch andernorts nach vorn bringen. 176 nationale Komitees gibt es im paralympischen Sport. Parsons zählt gern auf, wer künftig alles dazu kommen wird und vor allem, wo der Sport herkommt. „1980 waren Olympische Spiele in Russland, damals wollten sie dort keine Menschen mit Behinderung starten lassen. Die gab es angeblich in Russland nicht, die Paralmypics fanden darauf in Arnheim in den Niederlanden statt“, erzählt er. 2014 in Sotschi nun hätten die Paralmypics auch in dem Land einen Wandel eingeleitet – es sei vieles behindertengerecht geworden in Russland. Aufgrund seines Amt ist Andrew Parsons oft in Deutschland, der Hauptsitz des IPC ist in Bonn. Verglichen mit Brasilien ist Deutschland ein Land der kurzen Wege: Andrew Parsons ist Sonntag schon unterwegs zur Rollstuhlbasketball-WM nach Hamburg. Ein Funktionär reist eben viel. „Ich war vor Berlin in Liverpool bei der Boccia-WM, davor in Dublin bei der Schwimm-Weltmeisterschaft und bei der Sitzvolleyball-WM in den Niederlanden“, sagt er.

Der Mann lebt seinen Job. Dabei galt die Wahl von von Parsons vor einem Jahr beim IPC–Kongress in Abu Dhabi als Überraschung, obwohl der Brasilianer schon Vizepräsident des IPC war. Aber der in der Para-Szene sehr präsente Deutsche Behindertensportverband (DBS), Verbandshauptsitz wie beim IPC in Bonn, hatte den am Ende chancenlosen Kanadier Patrick Jarvis als Nachfolger für Craven unterstützt. Überhaupt schien Parsons Verhältnis zum Präsidenten des DBS, Friedhelm Julius Beucher, bis vor Kurzem belastet zu sein. Beucher wollte die russischen Athleten von den Winterspielen in Südkorea ausschließen, Parsons setzte sich aber mit seiner Variante durch, die Russen – als „Neutrale Paralympische Athleten“ (NPA) starten zu lassen. „Also nicht als Olympische Athleten aus Russland, wie das bei den Olympischen Winterspielen der Fall war“, sagt er. Wo war da der große Unterschied? „Nun, das Wort Russland tauchte nicht auf.“

Was er sich für die Zukunft wünscht, weiß Andrew Parsons. „Es gibt viele Länder wie etwa Bolivien, die haben noch kein Paralympisches Komitee. Das muss sich ändern, es reicht nicht, wenn der Sport nur alle zwei Jahre bei den Paralmypics präsent ist. Wir wollen relevanter werden, mehr Zuschauer haben, mehr in den Medien und Fernsehen vorkommen und eine große Rolle bei den Themen Diversität und Inklusion spielen.“ Der Präsident sagt: „Wir stehen für Veränderung.“

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