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Hals über Kopf. So wie hier dem Deutschen Franz Hanfstingl bei der Abfahrt ergeht es derzeit vielen Monoskifahrern.

© dpa

Paralympics: Hubschrauber über der Piste

Schwere Stürze der Monoskifahrer lassen Zweifel an den Bedingungen bei den Paralympics aufkommen.

Alle schlagen die Hand vor den Mund. Alana Nichols wird in ihrem Monoskisitz hochkatapultiert und überschlägt sich mehrfach mitsamt ihrem aerodynamischen Sportgerät. Der Ski bricht – und die 30-Jährige aus New Mexiko bleibt beim Super-G regungslos auf der Piste liegen. Im Jahr 2000 war die Amerikanerin in Colorado bei dem Versuch, mit ihrem Snowboard einen Rückwärtssalto zu springen, rücklings auf einen Stein aufgeschlagen, seitdem ist sie querschnittgelähmt. Und nun dröhnt der Rettungshubschrauber erneut über ihr – und über den Köpfen der dicht besetzten Zuschauerränge an der Kunstschneepiste von Rosa Chutor.

Die Wetterbedingungen bei den Paralympics in Sotschi sind alles andere als optimal. Gerade was die Ski-Wettbewerbe angeht. Am vierten Tag der Winterspiele gab es 20 Grad auf gut 1000 Metern Höhe. Sonne von oben, Biathleten in T-Shirts, gesalzener Sulzschnee von unten – sind das überhaupt noch vernünftige Wettkampfbedingungen? Zumal es in den vergangenen Tagen einige schwere Stürze gab.

„Wenn die Summe der Stürze überwiegt, muss man das hinterfragen. Das sind ja keine Anfänger, die am Start sind“, sagt Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS). Er regt an, das Internationale Paralympische Komitee (IPC) müsse sich „grundsätzlich überlegen, ob man Monoskiwettbewerbe in allen Disziplinen auf allen Pisten“ durchführen könne.

Schon bei den ersten Monoskirennen der Frühlingsspiele am Samstag und Sonntag auf der fleckigen Piste in Krasnaja Poljana hatte nur knapp die Hälfte aller Athleten das Ziel erreicht. Der Amerikaner Tyler Walker war mit dem Helikopter ins Krankenhaus gekommen. Der 27-Jährige konnte sich hinterher nicht mehr an den Unfall erinnern, „aber ich habe mir nichts gebrochen“, twitterte er aus der Klinik.

Am Montag überschlug sich nach Alana Nichols auch ihr Teamkollegin Stephani Victor. Am Nachmittag teilte das US-Team mit, beide „seien bei Bewusstsein und ansprechbar“. Zur Schwere ihrer Verletzungen war zunächst nichts zu erfahren. Dabei hatte sich die einst beim Snowboarden schwer verunglückte Alana Nichols doch gerade im Behindertensport eine Karriere aufgebaut, in Peking 2008 hatte sie mit ihrem Team Gold im Rollstuhlbasketball geholt – nun prallte sie schwer auf den Kopf. Der deutsche Teamchef Karl Quade äußerte nach dem Sturz die Hoffnung, Nichols habe sich auch dank ihrer Ausrüstung nicht allzu schwer verletzt: „Die Athleten tragen unter der Kleidung Protektoren, auch am Rücken.“

Wenige Sportler haben ihre Sitzkonstruktion auf zwei Skier geschraubt. Sie können die vielen Wellen und Schläge im schnell aufgehäuften Schnee besser ausgleichen. Zwar sind an den Monoski die Kanten durch Abschleifen etwas höher gelegt, damit der Ski nicht sofort auf jede kleinste Regung reagiert. Doch „es gibt eben eine ideale Fahrspur, die gesalzen wird. Wenn man da rauskommt, dann haut’s einen in den weichen Schnee, der nichts verzeiht“, sagt Quade. Weltmeister Franz Hanfstingl erlitt beim Abfahrtsrennen einen Haarriss in einer Rippe. Im Männer Super-G waren nur 12 von 28 Startern gewertet worden.

Der Ex-Nichtbehinderten-Weltcupfahrer und unterschenkelamputierte Österreicher Matthias Lanzinger, der im Super-G Silber der Stehenden holte, hält die Bedingungen für „grenzwertig“. Extremsituationen könnten die Sitzenden eben nicht mit einem zweiten Ski und durch die Körperdrehung ausgleichen. So versucht auch der deutsche Starter Thomas Nolte, „die Gefahr auszublenden. Der deutsche Monoskifahrer Georg Kreiter sagt, „jeder gibt volles Rohr. Wenn du das nicht machst, kommst du zumindest nicht unter die ersten drei“.

Der deutsche Teamchef Karl Quade betont „die Pisten sind laut Trainern anspruchsvoll, aber fahrbar und regelgerecht“. Alle Mannschaften, auch die deutsche, hätten vor einem Jahr bereits in Rosa Chutor trainiert. Offizielle Beschwerden gingen beim IPC bislang nicht ein. Laut Trainern müssen die Ein-Skifahrer mit Stoßdämpfern, die aus dem Motorrad- oder Autorennsport stammen, in Sotschi sehr sensibel fahren. Sonst kommt es zu Katapult-Stürzen, die man aus dem Motorradsport als „Highsider“ kennt. Der Sitzski bekommt nach einem Sprung wieder Griff auf der Piste, bei Vorlage kantet er aber vorn auf, die Feder staucht ein – und katapultiert den Sportler hoch hinaus.

Die russischen Zuschauer jubeln allen Startern begeistert zu – und nehmen die Hand aufatmend vom Mund, wenn wieder einer gesund unten angekommen ist.

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