zum Hauptinhalt
Niko Kappel trifft bei den Paralympics auf starke Konkurrenz.

© imago images/Beautiful Sports

Paralympics in den Sozialen Medien: Ein bisschen Spaß muss für Niko Kappel sein

Der Auftritt in den Sozialen Medien wird für Para-Sportler immer wichtiger. Niko Kappel und Mathias Mester nutzen diese Öffentlichkeit schon lange.

Humor überwindet Schwellen. Humor schafft Gesprächsatmosphären, die gelöst und offen sind. Humor bezwingt Unsicherheiten. So sieht das zumindest Niko Kappel. „Ein lockerer Spruch, mit dem man sich selbst auf die Schippe nimmt – und das Gespräch ist sofort ein völlig anderes“, sagt der kleinwüchsige Kugelstoßer, der in der Nacht auf Montag (deutsche Zeit) bei den Paralympics in Tokio an den Start gehen wird. Der 26 Jahre alte Schwabe ist neben Mathias Mester, kleinwüchsiger Speerwerfer, für seine lustigen Beiträge in den Sozialen Medien bekannt. Immer wieder erreichen sie mit ihren ausgefallenen Aktionen eine größere Öffentlichkeit.

„Ich würde sagen, es ist perfekt, wie der Niko und der Matze das machen“, sagt Yannis Fischer. Für den 19-Jährigen, ebenfalls kleinwüchsiger Kugelstoßer, der am Sonntag bei den Paralympics Platz sechs belegte, sind Kappels und Mesters erfrischende Auftritte auf Plattformen wie Instagram nicht mehr wegzudenken – oder wie sie sich selbst nennen: #bonsai und #weltmester.

Mathias Mester, der im Juni aufgrund fortdauernder gesundheitlicher Probleme das Ende seiner erfolgreichen Laufbahn verkündete und auf einen Start in Tokio verzichtet, veranstaltete im vergangenen Jahr kurz nach der Verschiebung der Paralympics die „Parantänischen Spiele 2020“. In einer 14-tägigen Serie vollführte Mester etliche Sportarten in häuslicher Quarantäne – seine „1,50 Meter Freistil“ in der Badewanne sahen bei Youtube eine halbe Million Menschen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Hinter dem ganzen Spaß steckt natürlich vor allem auch: sehr viel Arbeit. Etliche Para-Sportlerinnen und -Sportler treten in den Sozialen Medien mittlerweile als echte Profis an. Auch Yannis Fischer produzierte im Juli seinen ersten großen Werbespot für den eigenen Auftritt bei den Paralympics. Es ist genau jetzt – kurz vor, während und nach den Spielen – der beinahe einzige Zeitpunkt für die Teilnehmenden, um in das Blickfeld einer größeren Öffentlichkeit zu geraten. Dass Menschen ihre Meinung über Behinderungen vor allem in der Zeit der Paralympics ändern, belegen einige Untersuchungen. Die Spiele in London stellten 2012 einen solchen Wendepunkt in Großbritannien dar. Viktoria Michelt schreibt in „HeuteMorgenÜbermorgen“, einem Medienprojekt der TU Dortmund, dass 85 Prozent der britischen Erwachsenen sagten, dass Para-Athletinnen und -Athleten Vorbilder für sie seien. Zu den Paralympics schafft der Behindertensport den Absprung aus dem Internet in die Sportschau. Diese positiven Wellen spürt Fischer bereits: „Die Berichterstattung und Darstellung haben sich gut entwickelt. Man sieht viel mehr.“

Profi-Sport und Profi-Instagram

Sport lebt von bewegenden Bildern, starken Emotionen, Höhen und Tiefen. Und auf den Sozialen Netzwerken natürlich von einer Prise Selbstdarstellung. Wie balanciert man Ehrlichkeit und Authentizität mit der Notwendigkeit, sich ebenso vermarkten zu müssen? Wie gut ist perfekt? „Das ist überhaupt nicht mein Antrieb“, sagt Niko Kappel. Der Goldmedaillengewinner von den Spielen in Rio habe einfach Spaß an dem, was er im Internet von sich zeigt. „Wenn ich Lust und irgendwas zu erzählen habe, mir etwas auffällt, dann mache ich das gerne. Aber ich mache mir da nie Gedanken, wie das sein muss. Und wenn das Bild nicht perfekt ist, dann poste ich das trotzdem. Völlig egal.“

In einem sehr stark besetzten Wettkampf kam Yannis Fischer in Tokio auf 10,16 Meter und wurde Sechster.
In einem sehr stark besetzten Wettkampf kam Yannis Fischer in Tokio auf 10,16 Meter und wurde Sechster.

© AFP

Social Media ist mittlerweile ein wichtiger Baustein für jede Sportlerin und jeden Sportler. Auch für Kappel gehört es neben dem Training und den Wettkämpfen „heutzutage irgendwie einfach dazu“. Die sozialen Auftritte im Internet sind so sehr ein Thema, dass sich Förderinitiativen wie die Deutsche Sporthilfe und auch das Internationale Paralympische Komitee bereits damit auseinandersetzen. Es werden Schulungen angeboten mit Schwerpunkt Zeitmanagement – denn viele Kanäle sind längst mehr als Hobby, sie sind Teil des Geschäfts. Moderne Accounts müssen sich in Hochglanz präsentieren, die Sponsoring-Industrie schaut auf Reichweite. Und so denkt auch ein Niko Kappel plötzlich darüber nach, wann er denn eigentlich das letzte Mal etwas gepostet hat.

„Wenn das Training hart ist oder man eine schwierige Phase hat, sich viel mit sich selbst beschäftigen muss, dann fällt es einem auch schwerer, auf Social Media präsent zu sein“, sagt er. Schlimm sei das nicht für ihn. Er betont, dass es kein Zwang sei. Wenn es zur Last werde, sei es problematisch. Psychische Manipulation zum Beispiel. Agenturen hinter den Sportlerinnen und Sportlern überlegen zum Teil strategisch, was auf den Plattformen als nächstes gezeigt werden soll und was nicht. Ziel ist es, der Konkurrenz einen anderen Eindruck, eine andere Wahrheit vorzutäuschen. Künstliche Drucksituationen unter Sportlerinnen und Sportlern sollen so erzeugt werden: Wer trainiert wann, wie viel, mit welchem Erfolg? Die perfekte Selbstdarstellung. Die perfekte Falschdarstellung. Im Sinne der Inklusion, der eigentlichen Absage an den Perfektionismus, ein seltsamer Vorgang.

Gemeinsam leben, gemeinsam lachen

Für Kappel und seine Kolleginnen und Kollegen geht es auch darum, das Thema Behinderung weiter in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Die UN-Behindertenrechtskonvention entwickelte einst den Leitspruch „Nicht ohne uns über uns“ – und für Niko Kappel geht es da schon bei der Kommunikation los. Er erzählt anekdotisch, wie ihm für Veranstaltungen Behindertenzimmer gebucht werden, verschiedenste Vorkehrungen getroffen, Hocker bereitgestellt werden. Er hat den Eindruck, dass „alle ganz besonders vorsichtig sein müssen. Nicht ohne uns über uns – das heißt aber auch, dass ihr mich anrufen könnt, und ich euch am Telefon sage: Hört auf damit, ich brauche keine Sonderbehandlung!“ – „Aber ein Bier“, ruft Fischer lachend, der neben ihm sitzt.

Die Sozialen Medien geben Para-Sportlerinnen und -Sportlern eine Möglichkeit sich zu zeigen. Und gesehen werden sie vor allem auch jetzt in Tokio wieder. Schon 2012 war der meistgetwitterte Sport-Hashtag #Paralympics. Auch das IPC zielt mit seinen Strategien darauf ab, die Athletinnen und Athleten zur „Stimme der paralympischen Bewegung“ zu machen. Ein mächtiges Werkzeug, um die Botschaft, die Fürsprache für Menschen mit Beeinträchtigungen zu vermitteln. Virtuelle Gemeinschaften werden aufgebaut, emotionale Unterstützung und Informationen sind zu finden. Unabhängig von geografischen, sozialen und strukturellen Barrieren. Die Para-Triathletin Shelley Ann gab bei einer Befragung zur kommunikativen Nutzung des Internets von Sportlerinnen und Sportlern mit Behinderung aber auch zu bedenken, dass die zunehmende Abhängigkeit von den Technologien zum Ausschluss von Menschen beitragen kann, die nicht über die Fertigkeiten und Ressourcen verfügen, um online am Diskurs teilzunehmen.

Para-Sportler bei Veranstaltungen – früher undenkbar

Basierend auf den Forschungen des Soziologen Robert Putnam hat die Internetkommunikation sowohl ein überbrückendes als auch ein verbindendes Sozialkapital. In den sozialen Medien verschwimmen die Grenzen: es werden schwache Kontakte genutzt, um die Informationen zu verbreiten – und Zugehörigkeitsgefühle über starke Bindungen gefördert.

All das passiert für Para-Sportlerinnen und -Sportler aber mittlerweile auch zunehmend im echten Leben. „Vor 10, 15 Jahren ließ man lieber die Finger davon: Jetzt ist das völlig anders – und wir werden zu Veranstaltungen eingeladen. Man hat jetzt die Gespräche“, sagt Niko Kappel. Er und Yannis Fischer sind durchaus dankbar für die Möglichkeiten, die ihnen geboten werden und ihre Stimme, die sie erheben können. Sie sind stolz darauf, einen Beitrag zur Sichtbarkeit und Verständigung leisten zu können. „Wenn ich vermitteln kann, dass andere Menschen den Leuten mit Handicap mit einem Grinsen begegnen, dann bin ich glücklich“, sagt Kappel: „Dann habe ich genau das erreicht, was ich will.“

Dieser Text ist Teil der diesjährigen Paralympics Zeitung. Alle Texte unserer Digitalen Serie finden Sie hier.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false