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© dpa

Paralympics: Leistung und Leidenschaft

China plant die bisher größten Paralympics – die Deutschen trainieren schon.

Da war Holger Nikelis verdutzt. „Dieser Jugendliche sagte zu mir: Herr Nikelis, Sie sind mein größtes Vorbild.“ Holger Nikelis ist einer der besten Tischtennisspieler Deutschlands, er trifft aus dem Rollstuhl heraus. Der Jugendliche aber war „Fußgänger“, wie Paralympioniken sagen. Integration durch Sport, so funktioniert das also. In gut einem Jahr, am 6. September, beginnen die Paralympics in Peking – heute präsentieren sich schon mal rund 100 der besten Athleten bei Schaukämpfen zwischen 10 und 18 Uhr beim „International Paralympic Day“ in Berlin vor dem Brandenburger Tor.

China will mit den Olympischen Spielen in aller Welt punkten – und die Paralympischen sollen in nichts nachstehen. 4000 Sportler aus 150 Ländern sind schon gemeldet, 3000 Journalisten akkreditiert. Es werden wohl chinesische Landesmeisterschaften mit internationaler Beteiligung, witzeln Sportler: Keine Nation investiert derzeit so viel in Leistungssport von Menschen mit körperlichen Handicaps wie China. In Peking entstand für 75 Millionen Euro ein behindertengerechtes Trainingszentrum für alle Paralympics-Sportarten außer Schießen: 400-Meter-Außenbahn, 200-Meter-Innenbahn, zwei 50-Meter-Schimmbahnen, Judo,Tennis, Rugby, hier werden die Meister von morgen geschmiedet. „Es gibt eine unglaubliche Evolution“, sagt Schwimmerin Kirsten Bruhn, „ich habe meine Medaillenzeiten aus Athen 2004 schon um zehn Sekunden verbessert.“

Bruhn gehört zum deutschen Topteam, dessen Mitglieder dank der Förderung großer Unternehmen und der Deutschen Sporthilfe bei vollem Gehalt halbtags fürs Training freigestellt. „Jetzt zu sagen, dass ich schon ausschließlich für Peking trainiere, wäre wohl zuviel des Guten“, meint Bruhn. Trotzdem: Die Sozialversicherungsfachangestellte arbeitet von 7 bis 13 Uhr bei einer Krankenkasse; dann geht es bis 16 Uhr ins Wasser, ab 17.30 Uhr folgt Kraftsport, um 20 Uhr kombiniertes Training im Becken. „Vor halb zwölf bin ich selten zuhause, und dann muss ich ja auch noch den Haushalt schmeißen.“ Wie alle Athleten, erzählt Bruhn, sei sie aber einfach „dem Leistungssport verfallen“. Sie träumt von Verhältnissen wie in England: Dort gibt es einen Schwimmverband für alle Menschen, einen Bundestrainer, ein Trainingscamp, identische Preisgelder.

In Deutschland zieht die Förderung nur langsam Kreise. „Wir haben jetzt 15 Athleten mit Behinderung im Blick, für die wir dezentrale Arbeitsstellen etwa bei der Bundespolizei schaffen wollen, um sie komplett für Training und Wettkämpfe freistellen zu können“, sagt Christoph Bergner, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Innern. Wegen der individuellen Lebenssituation, Trainingsspezifika und Qualifikationen sei das aber eher langfristig, also erst nach den Spielen in Peking möglich. Der Etat des Ministeriums für den Behindertensport stieg zuletzt leicht, 4,4 Millionen Euro sind in diesem Jahr für Verbands- und Infrastrukturkosten vorgesehen. Die Entsendekosten des deutschen Teams für die Paralympics in Peking liegen bei rund 1,8 Millionen Euro.

„Die Menschen verinnerlichen langsam, dass Paralympioniken genauso Leistungssportler sind wie alle anderen“, sagt Sir Philip Craven, der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees. Diese Einsicht komme spätestens, „sobald jemand ein paar Minuten live bei den Spielen als Zuschauer im Stadion ist. Das bewirkt mehr als tausend Worte“. Paralympics würden einiges bewegen, weiß Craven zu berichten. „Auf einem Flug kam kürzlich ein griechischer Pilot nach hinten zu mir. Er erzählte, dass seit den Spielen in Athen Behindertenparkplätze vorm Supermarkt nicht mehr zugeparkt seien.“ Nicht wegen neu aufgestellter Schilder, sondern aus Hochachtung.

Annette Kögel

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