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© dpa

Paralympics: Viele Menschen, viele Schicksale und überall positives Karma

"One inspires many" - einer könnte viele inspirieren. So lautet das Motto der "Spiele mit heißem Herzen". In Kanada klingt das nicht pathetisch, sondern zutiefst authentisch.

Die Frau wirkt elegant, aber für einen Moment ist ihr völlig egal, wie das Outfit sitzt. „Oh mein Gott, ist das aufregend“, ruft sie und stürmt mitten auf der Straße auf Jens Jäger, den Kapitän der Rollstuhlcurling-Nationalmannschaft aus Deutschland zu. Der breitschultrige Kerl im Teamdress grinst angesichts des spontanen Gefühlsausbruchs. „Wie aufregend, jetzt ständig auf der Straße Prominente zu treffen“, ruft die Frau noch. Und: „Ich finde die Leistungen von euch Paralympioniken viel bewunderswerter als die bei Olympia.“

Solche Szenen kann man in der Metropole am Pazifik und im Skiort Whistler jetzt öfter beobachten. Wieder wedelt eine ganze Nation euphorisiert ihre roten Schals und Flaggen mit dem Ahornblatt. Wieder strecken sich in den Tagesszeitungen Berichte über die Spiele vom Titel bis zum letzten Blatt über mehrere Seiten. Keine gefühlige Mitleidsduselei ist das, sondern viel sachliche Hintergrundberichterstattung zu Disziplinen und Regelwerk. Die Handicap-Athleten aus aller Welt werden als „Local heroes“ gefeiert, zugleich den eigenen Leuten „Go Far, Go Canada“ zugejubelt. Als Kanada sein Premieren-Sledgeeishockeyspiel gewinnt, bebt die Halle. Und alle sind jetzt gespannt auf den sehbehinderten Brian McKeever, der seinen Start bei Olympia so knapp verpasste.

Die Paralympics werden erwachsen

Noch bis zum 21. März messen sich mehr als 500 Athleten aus 44 Nationen  in fünf Disziplinen, das sind dreißig Sportler und fünf Länder mehr als bei den Winterspielen in Turin vor vier Jahren. Doppelt so viele Volunteers und doppelt so viele Dopingtests gibt es wie in Turin vor vier Jahren – auch das zeigt: Die Paralympics werden erwachsen. Was den Begründer des Internationalen Paralympischen Komitees, Robert Steadward, im Eifer des Gefechts zu der Forderung bewog, die Paralympischen und die Olympischen Winterspiele müssten künftig zeitgleich gleichberechtigt ausgetragen werden.

Ganz so weit ist es mit der Inklusion im Sport denn aber doch noch nicht. „Ich glaube, dann würden wir auch in der Berichterstattung total untergehen“, befürchtet Gerd Schönfelder, einer der Medaillenanwärter des 20köpfigen deutschen Nationalteams, und ist damit nicht der einzige Zweifler unter den Sportlern und Verbandsmitgliedern. Die Stimme des armamputierten Skialpinist aus Germany hat Gewicht, und in den kanadischen Medien wird er als Promi gefeiert. Den  ersten Wettkampftag verbringt der zwölffache Paralympics-Goldmedaillengewinner allerdings im Kreise von Fans und Familir auf der Tribüne in Whister Creekside. Am Premierentag der Winterspiele ist es so warm und nebelig wie während Olympia, das Abfahrtsrennen wird abgesagt, da nehmen sich Olympia mit und ohne Handipap in British Columbia nichts.
 
Der Emotionalität kann sich niemand entziehen

Die Deutschen haben dennoch Grund zu feiern. Die beiden nordischen Starter Josef Giesen und Willi Brem schrammen am ersten Wettkampftag nur hauchdünn an Bronze vorbei. Biathletin Verena Bentele wird hingegen ihrer Favoritenrolle erwartungsgemäß  gerecht: Sie holt Gold in der Drei-Kilometer-Verfolgung. Während sich die blinde Athletin trotz des Sieges über ihre drei Fehlschüsse ärgert, wischen sich derweil mehrere erwachsene Männer in Führungspositionen beim Empfang der Bundesregierung im Deutschen Haus in Whistler die Tränen der Rührung weg. So viele Menschen, so viele Schicksale, so viel positives Karma. Der Emotionalität der Paralympics kann sich niemand entziehen.

Die Spiele werden mit einigen Neuerungen in die Annalen eingehen, das kann man schon jetzt sagen. Argentinien, Bosnien-Herzegowina, Rumänien und Serbien sind das erste Mal dabei, und auch  Disziplinen wie der Langlauf-Sprint sowie die alpine Superkombination aus Super G und Slalom haben Premiere. Und es gab noch nie eine paralympische Eröffnungsfeier, bei der so viele Athleten mit Handicap im Mittelpunkt standen. Der Kanadier Martin Deschamp rockte auf seinem Trike trotz dreier verstümmelter Gliedmaßen das mit 60.000 Leuten voll besetzte Stadion – und Landsmann Luca „Lazylegz“ Patuelli begeisterte die Zuschauer mit seiner Breakdance-Performance auf Krücken. Rollstuhlfahrer zeigten Extremstunts auf einer Halfpipe – und einer machte sogar Vorwärtssalti. Da muss der Rollicurler Jens Jäger aber noch üben. Wer weiß, welche Luftsprünge die unbekannte Anhängerin sonst noch vollführen würde.

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