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Sport: Parlamentarier, übernehmen Sie!

Die Ukraine ist auf dem Weg zur WM 2006, doch kurz vor dem entscheidenden Spiel wird Nationaltrainer Blochin aus politischen Gründen entmachtet

Der Abgang fiel dem Volkshelden schwer. „Mein Herz schmerzt, denn die Mannschaft ist mein Leben“, bekannte Oleg Blochin, als er seinen Rücktritt als Nationaltrainer verkündete. Doch zumindest der Chef des ukrainischen Fußballverbands hat die Hoffnung auf den Rücktritt vom Rücktritt noch nicht aufgegeben. „Mit Hilfe der öffentlichen Meinung werde ich alles versuchen, um Oleg davon zu überzeugen, dass er zum Wohle des Vaterlands im Amt bleiben muss“, sagte Grigorij Surkis nach der Verkündung der Nachricht: „Unsere Nationalmannschaft hat keinen Trainer mehr.“

Dreimal war die Nationalmannschaft der seit 1991 unabhängigen Ukraine bei der Qualifikation für Europa- und Weltmeisterschaften in den Relegationsspielen gescheitert. Vor drei Jahren versagten die Ukrainer im entscheidenden Spiel in Dortmund und unterlagen Deutschland 1:6. Doch seit Blochin im September 2003 das Amt des Nationaltrainers übernahm, ist die Mannschaft um Stürmerstar Schewtschenko auf Erfolgskurs. Mit sechs Punkten Vorsprung vor dem Europameister Griechenland, Ex-Europameister Dänemark und dem WM-Dritten Türkei führt die Ukraine die starke Qualifikationsgruppe 2 einsam an. Mangelnde Erfolge sind es denn auch nicht, die Blochin zwei Wochen vor dem schon vorentscheidenden Spiel am 30. März in Kiew gegen Dänemark zur Demission bewegten: Der populäre Blochin fühlt sich aus politischen Gründen aus dem Amt gedrängt.

Blochin sitzt für die Oligarchen-Partei SdUP im Parlament. Wie Stürmer Schewtschenko, der frühere Stabhochspringer Sergej Bubka und viele andere Spitzensportler hatte er im vergangenen Herbst im Präsidentenwahlkampf Wiktor Janukowitsch unterstützt, den Mann der alten Nomenklatura. Selbst den Sieg seines Teams in der Türkei widmete Blochin dem damaligen Premier. Nach Medienberichten war die Parteiführung der SdUP, darunter auch Blochins Vertrauter, der Verbandschef Surkis, an Fälschungen beteiligt, mit denen die Wahl des damaligen Oppositionsführers Wiktor Juschtschenko verhindert werden sollte.

Daraus wurde bekanntlich nichts. Nach Juschtschenkos Sieg im Rahmen der „orangen Revolution“ wurde es für Blochin ungemütlich. Das neue Parlament initiierte eine Anti-Korruptions-Kampagne, die es Abgeordneten untersagt, auf nationaler Ebene ein weiteres hohes Amt auszuüben. Dazu zählt der zuständige Parlamentsausschuss auch den nach Blochins Angaben undotierten Posten des Nationaltrainers. Das hatte der Ausschuss eigens vor Gericht prüfen lassen.

Blochin reagierte beleidigt: Er habe sein Traineramt stets als eine Art Lehrtätigkeit verstanden, die laut Gesetz durchaus erlaubt sei. „Außer Kopfschmerzen hat mir das Traineramt nichts eingebracht“, sagte Blochin. Persönliche Ambitionen habe er keine: „Aber ich habe nun mal mein Wort gegeben, alles für die WM-Qualifikation zu tun. Denn diese ist wichtig für Millionen unserer Fans. Jetzt übergebe ich das Schicksal der Mannschaft dem Parlament. Vielleicht kann es die Aufgabe besser lösen als ich.“

Ein Nachfolger ist noch nicht in Sicht – und das letzte Wort in Sachen seines Rücktritts scheint auch noch nicht gesprochen. Das Verfassungsgericht will nun über die Zulässigkeit eines sportlichen Neben-Ehrenamts für Politiker entscheiden. Sollten die Richter in seinem Sinne entscheiden, könnte der schmollende Oleg Blochin sich womöglich doch zum Rücktritt vom Rücktritt entschließen.

Thomas Roser[Warschau]

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