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Klar unterlegen. Borussia Dortmund war in München chancenlos.

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Passiv und harmlos: Borussia Dortmunds fragwürdiger Auftritt bei den Bayern

Lucien Favres Plan für das Auswärtsspiel in München ging nie auf. Warum der BVB nie zu seinem Spiel fand.

Das aufregendste Ereignis dieses aufregenden Münchner Wochenendes war an der Prinzregentenstraße zu bestaunen. Am südlichen Ende des Englischen Gartens, gleich neben dem US-amerikanischen Generalkonsulat, und natürlich ist Niko Kovac gefragt worden, ob er denn auch noch vorbeischauen würde. Auf ein Mineralwasser oder so, es gab ja was zu feiern.

Niko Kovac, groß geworden im Berliner Arbeiterbezirk Wedding und als Fußballspieler mit überschaubarem Glamourfaktor gesegnet, hat darüber nicht mal lachen können. „Wir spielen Fußball“, sprach der Trainer des FC Bayern München, „aber es geht ja nur noch um Nebensächlichkeiten, nur noch um Sensationen.“ Im konkreten Fall eben nicht um das großartige Spiel der Bayern, einen 5:0-Sieg im, nun ja, Spitzenspiel der Bundesliga gegen Borussia Dortmund. Es war der nachhaltigste Erfolg in der jetzt neun Monate währenden Trainerkarriere des Niko Kovac beim FC Bayern. Und hatte in der öffentlichen Wahrnehmung schwer zu kämpfen mit Jerome Boatengs für den späten Samstagabend angesetzte Party im P1, jenem Club an der Prinzregentenstaße, den die Bayern in den Neunzigern bekanntgemacht hatten, als sie ihren Ruf als FC Hollywood pflegten.

Jerome Boateng war mal einer der besten Innenverteidiger der Welt. Bei der Münchner Gala gegen Dortmund spielte er nicht mal eine Nebenrolle und vertrieb sich die Zeit 90 einseitige Minuten lang auf der Ersatzbank. Und doch wurde die Gästeliste seiner Party in der Münchner Welt der großen Buchstaben leidenschaftlicher diskutiert als die Aufstellung des FC Bayern. Niko Kovac gab den versammelten Party-Korrespondenten mit auf dem Weg ins P1, sie hätten doch hoffentlich bemerkt, „dass wir die Taktik umgestellt und mit einem Sechser und zwei Achtern gespielt haben“. Also mit Javier Martínez als defensiver Figur im zentralen Mittelfeld und den davor postierten Freigeistern Thomas Müller und Thiago Alcantara. Ein angriffslustiger FC Bayern drängte den BVB so brutal in die Defensive, dass Niko Kovac das 5:0 unwidersprochen als „auch in dieser Höhe verdient“ bezeichnen durfte.

War das Spiel eine angemessene Reaktion auf öffentliche Debatte über seine taktischen Fähigkeiten? Kovac versuchte sich erst gar nicht am Vortäuschen guter Laune. Er sei kein Moralapostel, „aber es ist nicht in Ordnung, was hier abgeht.“ Und: „Wenn du gewinnst, hast du nichts richtig gemacht. Wenn du verlierst, hast du alles falsch gemacht. Wir Trainer sind diejenigen, die immer alles abbekommen. Dem stellen wir uns. Ob das in der Form immer so sein muss, stelle ich hier mal infrage.“ Als Adjutant merkte sein Innenverteidiger Mats Hummels an: „So wie wir in den ersten 45 Minuten gespielt haben, sind wir eine Top-Mannschaft. Das Passive liegt uns nicht so. Es war auch schon gegen Liverpool anders angedacht“, beim scheinbar willenlosen Abschied aus der Champions League. Noch einmal Mats Hummels: „Es war nicht so, dass der Trainer damals gesagt hat: Wir wollen passiv spielen.“

Borussia Dortmund war nur in der Theorie auf dem Spielberichtsbogen ein Gegner

Niko Kovac forderte Respekt, für seine Spieler und vor allem für sich. Passend formulierte er Kants kategorischen Imperativ am Samstagabend als Münchner zum Sonntag um: „Jeder muss an sich den Anspruch haben: Das was ich nicht möchte, das mir einer antut, das tue ich auch keinem anderen an.“ Kovac argumentierte aus der komfortablen Position des Siegers. Als Trainer einer Mannschaft, die alles richtig gemacht hatte und doch den Beweis ihrer Größe schuldig bleiben musste. Dafür war der Gegner zu klein. Borussia Dortmund war nur in der Theorie auf dem Spielberichtsbogen ein Gegner. Ein einziges Mal spielte diese Mannschaft mit der Verve, die sie an die Tabellenspitze gebracht hatte. Das war nach fünf Minuten, bei ihrem schönsten und zugleich einzigen Angriff, der nach Mahmoud Dahouds Schuss vom Pfosten abprallte wie später die gesamte Dortmunder Belegschaft am aggressiven Geist des Gegners.

„Wenn wir da ein Tor schießen, wird das vielleicht ein anderes Spiel“, befand Dortmunds Trainer Lucien Favre. Mag sein. Aber als Erklärung für die ängstliche und phantasielose Vorstellung seiner Mannschaft taugte das frühe Pech nicht einmal bedingt. Warum verteidigte der BVB so tief, verwalteten Thomas Delaney und Axel Witsel das Spiel mit einer Lustlosigkeit, wie sie Beamten in schlechten Witzen nachgesagt wird? Warum wagte der freche Dribbler Jadon Sancho kein Dribbling, hielt Roman Bürki keinen einzigen ernstzunehmenden Ball? Und wo war eigentlich Marco Reus?

Dortmunds Spiel war von Anfang ein ängstliches

Dortmunds Kapitän musste sich in Abwesenheit des verletzten Paco Alcacér ganz vorn verdingen, was er mit schwer gezügeltem Unmut als „nicht gerade meine Lieblingsposition“ umschrieb. Reus war ein prominentes Opfer der taktischen Umstellung seines Trainers. Lucien Favre wollte die Bayern mit geordneter Defensive empfangen, mit dem laufstarken Dahoud an der Seite der Strategen Delaney und Witsel. Doch auch eine defensive Grundordnung verlangt nach Aggressivität in der Zweikampfführung, nach Mut zum schnellen Vorstoß in die Lücken, die eine voll auf Angriff eingestellte Münchner Mannschaft durchaus anbot. Dortmunds Spiel war von Anfang ein ängstliches, ausgehend von einer Vierkette, die keine Kette war. Mit einem neben sich stehenden Innenverteidiger Dan-Axel Zagadou und einem überforderten Lukasz Piszczek, dem auf der rechten Seite gegen Kingsley Coman nur zu deutlich anzusehen war, dass er zwei Monate lang verletzungsbedingt gefehlt hatte.

Der Taktiker Favre sah sich dem unausgesprochenen Vorwurf ausgesetzt, er habe taktisch versagt und seiner Mannschaft in ein Korsett gezwungen, das ihr nicht passen konnte. Dem könnte man entgegenhalten: Hätten die Dortmunder so hoch verteidigt, wie es ihre Kritiker im Rückblick forderten, wären sie mit der Einstellung vom Samstag vielleicht zweistellig untergegangen. Favre verzichtete im Sinne seiner Spieler jedes ihn entlastende Argument. Etwa die lange Verletztenliste, die ihn bei der Besetzung der Defensive zum Improvisieren gezwungen hatte. Die ausgebliebenen Sprints in die Tiefe, die den Münchnern nach dem Kräfte zehrenden und Selbstzweifel weckenden Pokalspiel gegen Heidenheim zusetzen sollten. Die Verweigerung jeder Gegenwehr, an der noch jede Taktik gescheitert wäre.

Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc sprach offen von seinem Gefühl, „dass wir dieser Konstellation mental nicht gewachsen waren. Wir haben Fehler gemacht, die manche Spieler das letzte Mal in der A-Jugend gemacht haben.“ Ein anderer aus dem Dortmunder Tross sprach den Satz: „Heute haben Männer gegen Kinder gespielt!“

Zu spät. Dan-Axel Zagadou kann den Treffer zum 2:0 nicht verhindern, den er durch einen Patzer erst ermöglichte.
Zu spät. Dan-Axel Zagadou kann den Treffer zum 2:0 nicht verhindern, den er durch einen Patzer erst ermöglichte.

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Nichts in dieser Intonation war von Lucien Favre zu hören. Er akzeptierte die Kritik mit einem Statement, dem nicht so genau zu entnehmen war, ob es nur demütig oder sarkastisch formuliert war: „Es hat nicht funktioniert. Wenn du verlierst hat immer der Trainer Schuld.“

So hätte das wohl auch Niko Kovac ausgedrückt. Der ist natürlich nicht zu Jerome Boatengs nächtlichem Empfang ins P1 gegangen. Die Party-Korrespondenten sichteten zwölf Bayernspieler, unter anderem Robert Lewandowski, dessen Einsatzzeit sie auf exakt zwölf Minuten taxierten. Ein inhaltlich angemessenes Gegenstück zu seinen zwei Toren und 90 Minuten gegen Borussia Dortmund.

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