zum Hauptinhalt

Pekinger Problem: Kampf mit dem Jetlag

Ob Athlet oder Urlauber: Der Jetlag macht allen Menschen zu schaffen. Doch es gibt Methoden, sich schneller an neue Zeitzonen anzupassen. Davon könnten auch die Sportler in Peking profitieren.

Zehntausende Urlauber machen sich derzeit auf den Weg in ferne Länder. Wer weit nach Westen oder Osten reist, muss dabei mit einer vorübergehenden Befindlichkeitsstörung rechnen, dem Jetlag. Er entsteht, wenn die inneren Uhren des Körpers anders ticken als der äußere Rhythmus von Tag und Nacht.

Betroffene können nachts nicht schlafen und sich tagsüber vor lauter Schläfrigkeit kaum konzentrieren. Viele ihrer Organe sind zur falschen Zeit aktiv. Es drohen Kopfschmerzen, Verdauungsstörungen und schlechte Laune – bis sich die Bio-Zeitmessung angepasst hat.

Eine gemächliche Zeitumstellung von bis zu einer Stunde pro Tag verkraften die meisten Menschen problemlos. Daher stammt die Faustformel, dass ein Jetlag etwa so viele Tage dauert, wie die Uhr um Stunden verstellt wurde. Allerdings sind die individuellen Unterschiede riesig. „Messungen haben gezeigt, dass die Anpassung an eine sechsstündige Zeitverschiebung bei manchen Menschen zwei Tage, bei anderen hingegen 18 Tage dauern kann“, sagt Björn Lemmer, emeritierter Pharmakologe von der Universität Heidelberg. Einige Sportler, die bei den Olympischen Spielen in Peking antreten, dürften also noch immer mit dem Jetlag kämpfen. Einen Vorteil haben sie jedoch: Junge Menschen passen sich meist rascher an als ältere.

Billionen von Uhren im Körper

Wie die innere Zeitmessung funktioniert, erforschen Chronobiologen. Dank ihrer Erkenntnisse, kann man die Dauer eines Jetlags mit ein paar Tricks entscheidend verkürzen.

In unserem Körper ticken Billionen Uhren. Jede Zelle misst ihren eigenen 24-Stunden-Rhythmus. Fast alle Körperfunktionen erreichen deshalb im Laufe eines Tag-Nacht-Zyklus’ ein oder mehrere Hochs und Tiefs: Das Herzkreislaufsystem ist am Vormittag und am späten Nachmittag besonders aktiv, die Nieren arbeiten morgens auf Hochtouren. Und die geistige Leistungsfähigkeit ist am späten Vormittag am besten.

Mitten im Gehirn sitzen zudem zwei Knoten aus etwa 20 000 Nervenzellen, die einen besonders ausgeprägten Rhythmus erzeugen. Sie sind direkt mit lichtempfindlichen Zellen im Auge verbunden, die messen, wie hell es gerade ist. Diese Nervenknoten namens Suprachiasmatische Nuclei diktieren dem Körper seine Zeit. Wie alle biologischen Uhren gehen sie recht ungenau, damit sich der Organismus an wechselnde Jahreszeiten anpassen kann. Sie werden laufend durch die Signale aus den Augen nachjustiert. Den so mit der Außenwelt synchronisierten Rhythmus geben sie über Hormone oder Nerven an die Organe des Körpers weiter. Gleichzeitig messen sie, wann wir aktiv sind, etwa Sport treiben oder etwas essen – und korrigieren sich, wenn diese Rückmeldung aus dem Körper zu einer ungewohnten Zeit kommt.

So entsteht ein komplexes System des Zeitgefühls, das fast allen höheren Organismen ermöglicht, mit dem Wechsel aus Tag und Nacht klarzukommen. Doch wehe, wir fliegen nach Kuba oder Thailand. Das Tempo moderner Fortbewegungsmittel überfordert das biologische Korrektursystem. Wir landen im Jetlag.

Touristen haben es leichter als Geschäftsreisende oder Sportler, denn sie können ihren Zeitplan selbst bestimmen: Wer etwa von Deutschland nach San Francisco geflogen ist, sollte nicht gerade am nächsten Nachmittag mit dem Mietwagen zur Golden Gate Bridge fahren. Die inneren Uhren sind dann nämlich schon neun Stunden weiter und dümpeln ihrem absoluten 24-Stundentief entgegen, das bei den meisten zwischen drei und fünf Uhr nachts liegt. Bei Morgentypen, deren innere Uhren immer vorgehen, kann das Tief sogar vor zwei Uhr auftreten, und bei Abendtypen, deren innere Uhren nachgehen, erst nach sechs Uhr.

In San Francisco heißt das: Je nach Typ sind Körper und Geist zwischen 16 und 22 Uhr auf tiefen Schlaf programmiert – genau die richtige Zeit für ein Nickerchen. Der kurze Schlaf ist sogar hilfreich, da der innere Wecker die ersten Nächte mit großer Sicherheit sehr früh beendet.

Der Osten ist anders

Wer nach Osten fliegt, muss ganz anders rechnen. Das sollten vor allem Olympiafans bedenken, die jetzt noch ins sechs Zeitzonen entfernte Peking aufbrechen. Das 24-Stundentief des Mitteleuropäers ist dort gegen elf Uhr Ortszeit, die Leistungshochs sind gegen 17 und 24 Uhr. Deshalb fällt es schwer, zur gewohnten Zeit einzuschlafen. Wer fit bleiben will, sollte zu Beginn des Urlaubs zwei Mal schlafen: zunächst für ein Nickerchen gegen 20 Uhr, wenn die Zell-Uhren auf Mittagspause umschalten, und – weil einen die Bio-Uhren spätestens gegen 23 Uhr wecken – noch mal ab vier Uhr morgens bis weit in den Vormittag hinein.

Die Zeit dazwischen sind jetlag-geplagte Europäer topfit, was jeder weiß, der den Film „Lost in Translation“ gesehen hat. Anders als der Schauspieler Bill Murray, der sich im nächtlichen Tokio trüben Gedanken hingibt, sollte man die Energie nutzen und etwas arbeiten oder zumindest den Reiseführer studieren.

Den frühen Nachmittag sollten Ost-Reisende am besten im Freien verbringen, um die Anpassung an die Ortszeit zu beschleunigen. „Mit Lichtduschen zum richtigen Zeitpunkt lässt sich die Körperuhr um bis zu zwei Stunden pro Tag verstellen“, sagt Christian Cajochen, Chronobiologe an der Universität Basel. Helles Licht, das nach dem 24-Stundentief, also unter hiesigen Bedingungen am frühen Morgen, auf die Augen trifft, beschleunigt die biologischen Rhythmen. Abendliches Licht hingegen verlangsamt sie (siehe Infokasten).

Weil auch körperliche Aktivität und Essenszeiten das Tempo der inneren Uhren beeinflussen, sollte man am Zielort nur tagsüber essen und Sport treiben und sich nachts weder viel bewegen noch den Bauch voll schlagen.
 
Hormon und Lichtdusche

Bei der Anpassung können auch kleine Mengen von zwei bis fünf Milligramm Melatonin helfen, wie eine Studie im British Medical Journal bereits vor fünf Jahren zeigte (Band 326, Seite 296). Das Hormon ist schlaffördernd und beispielsweise in den USA frei verkäuflich. Normalerweise sinkt der Melatoninspiegel tagsüber ab. Wer das Hormon direkt vor dem Einschlafen nimmt, gleicht den Mangel aus und stellt gewissermaßen die innere Uhr ein bisschen vor.

Lichtduschen sind dennoch besser, denn der Wechsel zwischen Hell und Dunkel sei der mit Abstand stärkste Zeitgeber, sagt Christian Cajochen. Außerdem habe die Methode garantiert keine Nebenwirkungen.

Der Münchner Chronobiologe Till Roenneberg fand mithilfe eines von 55 000 Menschen ausgefüllten Fragebogens sogar heraus, dass Licht Menschen auch dann beherrscht, wenn sie zu Hause bleiben: Im äußersten Osten Deutschlands gehen die Menschen in arbeitsfreien Zeiten im Durchschnitt 34 Minuten früher zu Bett als im äußersten Westen – wo die Sonne 36 Minuten später untergeht.

Peter Spork

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false