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Philipp Lahm beim Besuch einer deutschen Schule in Moskau.

© Sergekj Karpukhin/ Reuters

Philipp Lahm zur Fußball-WM 2018: „Vielleicht braucht die Mannschaft diesen Druck“

Philipp Lahm über die Folgen der deutschen Niederlage, seinen Rücktritt nach der WM in Brasilien – und eine mögliche EM 2024 in Deutschland. Ein Interview.

Herr Lahm, wo ist eigentlich Ihr Hubschrauber?

Der steht zu Hause am Tegernsee. Nein, ich hab' keinen. Der DFB muss sparen (lacht).

Oder Sie haben schlecht verhandelt.

Kann auch sein.

Haben Sie früher in der Kabine mal Witze über Franz Beckenbauer gemacht, der fast eineinhalb Jahre in der Luft war, um die Welt für Deutschland als WM-Gastgeber 2006 zu gewinnen?

Nein, wir haben das als Mannschaft gar nicht so wahrgenommen. Als Spieler hat man einen anderen Fokus.

Jetzt wollen Sie die EM 2024 nach Deutschland holen. Womit?

Die EM würde die Menschen wieder mehr zusammenbringen, weil sie auch immer Impulse nach innen freisetzt. Und: Wir können so ein Turnier austragen, das haben wir 2006 bewiesen. Wir haben die Infrastruktur, vor allem die Stadien. Wir müssten sie nur ein bisschen modernisieren.

In Deutschland gilt die Bewerbung fast als Selbstläufer, weil die Türkei als Konkurrent unterschätzt wird. Macht Ihnen das Sorgen?

Wir unterschätzen das nicht. Die Türkei ist ein starker Gegner, aber wir konzentrieren uns auf unsere Stärken. Wichtig ist, dass die Bevölkerung hinter der Bewerbung steht.

Reinhard Grindel, der DFB-Präsident, hält den 27. September, den Tag der Uefa-Entscheidung, für wichtiger als den 15. Juli, den Tag des WM-Finals. Sehen Sie das als ehemaliger Fußballer auch so?

Aktuell ist mir der 15. Juli, der Tag des WM-Finals, natürlich wichtiger. Trotzdem: Wenn man auf das große Ganze schaut und auch auf 2006 zurückblickt, dann verschieben sich die Relationen. Wir hatten damals auch ein paar Probleme im Land, eine hohe Arbeitslosigkeit zum Beispiel. Ein solches Turnier kann die Menschen wieder zusammenbringen. Es geht der Gesellschaft eben nicht immer besser, besser, besser. Es kommen auch schwierige Zeiten. Die haben wir jetzt wieder, zumindest ansatzweise.

Was macht es eigentlich so schwer, einen WM-Titel erfolgreich zu verteidigen?

Erst einmal ist es schon sehr schwer, den WM-Titel überhaupt zu gewinnen. Ihn dann noch zu verteidigen? Die Gegner sind noch mal motivierter, weil sie gegen den amtierenden Weltmeister spielen. Wenn sie verlieren, ist es normal. Wenn sie gewinnen, sind sie Helden wie jetzt die Mexikaner. Das ist ein großer Unterschied.

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Die Nationalmannschaft hat immer von diesen Gefahren gesprochen – aber auch davon, dass sie mit der erfolgreichen Titelverteidigung Geschichte schreiben will. Könnte sie das zu sehr belasten?

Das wird man jetzt sehen. Wie die Mannschaft zusammenhält, wie die Führungsspieler den Weg vorgeben. Vielleicht braucht die Mannschaft auch diesen Druck, dass sie jetzt mit dem Rücken zur Wand steht. Viele Spieler haben das schon erlebt. 2014 mussten wir auch im letzten Gruppenspiel gegen die USA punkten. 2010, nach der Niederlage gegen Serbien, lastete vor dem Spiel gegen Ghana unglaublich viel Druck auf einer damals noch sehr jungen Mannschaft. Eine Mannschaft kann so einen Rückschlag wie gegen Mexiko auch positiv sehen, indem sie sich sagt: Das schweißt uns erst recht zusammen. Ich bin mir sicher, dass die Analyse jetzt deutlich ausfällt.

Was macht das konkret mit einer Mannschaft? Wie bewältigt sie die Angst vor dem Versagen?

Direkt nach dem Spiel wird es keine Analyse mehr gegeben haben. Aber schon im Bus zurück ins Quartier fängt es an, dass die Spieler untereinander Gespräche führen. Am nächsten Tag ist Regeneration, den Nachmittag hat man frei, die Familien kommen, man hat viel Zeit. Die entscheidenden, die erfahrenen Spieler werden miteinander gesprochen haben: Wie hast du das gesehen, was können wir da verbessern? Genauso reden sie mit dem Bundestrainer. Er kriegt ein Gefühl, wie die einzelnen Spieler die Mannschaft denken. Mit diesem Wissen wird er am nächsten Tag mit der Mannschaft in die Analyse einsteigen.

Gab es bei Ihnen auch mal das Gefühl, dass es schief gehen könnte?

Nein, ich habe bei einem Turnier jedenfalls nie vor einem entscheidenden Spiel die Koffer gepackt, weil wir rausfliegen und nach Hause reisen könnten. So einen Gedanken hat man nicht. Man weiß, dass es passieren könnte, aber man lässt es nicht an sich heran.

Sie haben Ihren Rücktritt aus der Nationalelf nie bereut. Nach der Niederlage gegen Mexiko werden Sie es wohl noch viel weniger tun. Oder würden Sie gerade in einer solchen kritischen Situation der Mannschaft helfen wollen?

Nein, das ist vorbei. Die Entscheidung kam ja auch nicht aus dem Nichts. Man spürt das einfach. Als das Turnier in Brasilien anfing, habe ich festgestellt, ich muss den Weg frei machen für andere, damit wieder etwas Neues entsteht. Ich war mit der Mannschaft am Ende eines gemeinsamen Weges angekommen. Es hat einen neuen Impuls gebraucht und eine neue Entwicklung geben müssen. Dafür war ich nicht mehr der Richtige, der Passende.

Und dieses Gefühl hatten Sie während der WM 2014?

Ja, man merkt das einfach, wenn man Tag für Tag zusammen ist. Es kommen neue, jüngere Spieler, und meine Generation ist dann auch weggebröckelt. Da verändert sich was.

Ist das nicht eine schmerzhafte Erkenntnis, wenn man nicht mehr zur Nationalmannschaft gehört?

Erstens weiß man das als Spieler. Und zweitens muss man froh sein, wenn man überhaupt Nationalspieler geworden ist. Ich habe eine schöne Zeit erlebt. Aber die Zeit ist irgendwann zu Ende. Wenn man das merkt, ist es nicht schwierig, los zu lassen.

Aber es hat niemand danach gerufen, dass Sie aufhören – anders als in anderen Fällen.

Vielleicht habe ich es gerade so empfunden und entschieden, weil ich viele Spieler gesehen habe, die dazu gedrängt wurden. Es passieren auch Dinge, bei denen man denkt: Das bin ich nicht mehr zu hundert Prozent. Und ich war Kapitän dieser Mannschaft. Man muss das auch vertreten können. Das konnte ich auch über einen gewissen Zeitraum. Aber es war einfach Zeit, eine andere Generation in die Verantwortung zu übernehmen. Für mich war das nicht ungewöhnlich.

Sie haben also nicht innerlich gebebt?

Nein, weil ich im Reinen mit mir war. Nur Thomas Müller hat mich mal zusammengefaltet, dass ich ihn nicht vorher informiert habe. Er war aber auch nicht von der Tatsache an sich überrascht, sondern nur von dem Moment, in dem es öffentlich wurde. Weil er bei der Pressekonferenz seines Golfturniers saß, als die Meldung kam.

Das war nicht nett von Ihnen!

Es hat mir natürlich auch leidgetan (lacht). Aber das einzige Ziel, das ich hatte, war, Jogi Löw zu informieren, bevor wir wieder in Deutschland landen. Und es gab eben die Situation, dass wir am Morgen nach dem Finale beim Frühstück zufällig zusammen saßen. Okay, dann ist vielleicht das genau der Moment, es ihm zu sagen. Aber jeder, der mich kennt, weiß, dass ich in einer solchen Frage nicht aus der Emotion heraus handle. Ich habe mir das gut überlegt und mir viele Gedanken gemacht.

Wie hat Löw reagiert?

Das war ein ganz normales Gespräch. Ich habe ihm erklärt, dass es ein Prozess war. Das hatte auch nichts mit dem Titelgewinn zu tun. Ich hätte auf jeden Fall aufgehört. Der Bundestrainer hat das aufgenommen …

… professionell aufgenommen …

… genau!

Was haben Sie von dem Triumph in Rio im Herzen und was im Schrank?

Im Schrank oder an der Wand habe ich die Goldmedaille, einen kleinen WM-Pokal, den wir vom DFB geschenkt bekommen haben, ein Trikot vom Finale, ein Trikot mit den Unterschriften von allen Spielern und einen WM-Ball. Im Kopf habe ich hauptsächlich die letzten Minuten vor und nach dem Abpfiff. Du führst 1:0 und sehnst einfach nur das Ende herbei. Dann gibt es noch den Freistoß für Lionel Messi, und du denkst: Bitte, lass uns den abfangen und dann pfeif endlich ab. Der Schlusspfiff und alles, was danach kam, das sind Erinnerungen, die wirst du dein Leben lang im Kopf behalten. Der gemeinsame Jubel, der Jubel mit den Fans, mit den Betreuern, der Gang die Treppe hoch. Ich wusste, wir sind Weltmeister; ich wusste aber auch: Okay, das war's für mich in der Nationalmannschaft.

"Es ist wichtig, eine Geschichte als Mannschaft zu haben"

Sein größter Moment: Philipp Lahm hebt den Weltpokal nach dem WM-Finale 2014 in den Himmel von Rio.
Sein größter Moment: Philipp Lahm hebt den Weltpokal nach dem WM-Finale 2014 in den Himmel von Rio.

© Andreas Gebert/dpa

Viele hatten befürchtet, dass das sagenhafte 7:1 gegen Brasilien schon der emotionale Höhepunkt gewesen sein könnte – und danach die Spannung etwas abfällt.

Ich fand das Halbfinale nicht emotional. Für uns sind Spiele emotional, die sehr eng sind und die man positiv für sich gestaltet. Gegen Brasilien war es schon in der Halbzeit so gut wie durch. Also hat man genügend Zeit, die Emotionen außen vor zu lassen. Außerdem muss man wissen: Die Mannschaft hatte auch eine Vergangenheit. Wir waren sehr oft im Halbfinale, 2008 bei der EM sogar im Finale, dazu sind wir zum Teil mit unseren Vereinen im Champions-League-Endspiel gescheitert. Die Mannschaft hatte Erfahrung mit Enttäuschungen, sie hat diese Erfahrungen gemeinsam bewältigt. Das hat uns im Finale gestärkt.

Fehlt der neuen Generation, von der Sie gesprochen haben, dieses Gefühl?

Schwierig, weil ja noch viele Spieler dabei sind, die einen Teil meines Fußballweges mitgegangen sind. Thomas Müller oder Manuel Neuer zum Beispiel haben ebenfalls bittere Niederlagen einstecken müssen, vor allem im Verein, aber auch bei der EM 2012 im Halbfinale. Ich finde es wichtig, eine Geschichte und eine Vergangenheit als Mannschaft zu haben, weil es den Kern zusammenschweißt. Ich denke an Per Mertesacker, Miroslav Klose, Thomas Müller, Manuel und vor allem Bastian Schweinsteiger: Wir hatten 2014 schon viel miteinander erlebt, sind gemeinsam durch die schweren Zeiten gegangen. Dadurch baut man gegenseitiges Vertrauen auf. Jetzt nach meiner Karriere kann ich sagen: Den Weg, den ich gegangen bin, fand ich super. Ich habe erst am Ende die großen internationalen Titel gewonnen, und ich bin froh, dass ich davor so kämpfen und hart arbeiten musste.

Was war Ihr emotionalstes Erlebnis bei einem großen Turnier?

Es gibt so viele Momente, aber 2006 hat mich schon sehr geprägt, die ganze Atmosphäre im Land. Ich weiß noch, wie wir mit dem Bus gefahren sind, die Leute links und rechts der Straße standen und uns zugejubelt haben, Bundeswehr, Polizei. Manche Leute standen sogar auf ihren Autos, um uns zu sehen. Das fand ich unbeschreiblich. Und ich würde lügen, wenn ich nicht sagen würde: Das Eröffnungsspiel mit meinem Tor, war etwas ganz Besondere, gerade nach meiner Ellenbogenverletzung in der Vorbereitung.

Haben Sie die Manschette noch, die Sie damals getragen haben?

Die liegt bei mir zu Hause.

Ernsthaft?

Ja, selbstverständlich. Warum sollte ich die wegschmeißen? Dass ich solche Dinge als Andenken bewusst aufhebe, mit System fast, dass ich weiß, was wo zu finden ist, das mache ich aber auch erst, seitdem wir Kinder haben. Unser Sohn hatte vor kurzem die Manschette in der Hand und mich gefragt, was das ist. Da habe ich sie ihm mal angelegt.

Hat Ihr Sohn Sie auch gefragt, ob Deutschland Weltmeister wird?

Nein, er fragt mich immer: Was ist, wenn wir gegen die oder die spielen? Ich muss dann meine Einschätzung abgeben. Ich sage ihm immer: Es gibt fünf Mannschaften, bei denen es eng wird.

Mexiko war vermutlich nicht darunter.

Nein, Mexiko war nicht dabei. Das muss ich ehrlich gestehen.

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