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Sport: Pietät für Piplica

Auch nach dem Kopfball-Eigentor gegen Bayern hält Energie Cottbus an seinem Torhüter fest

Gäbe es zwischen Kabinentür und Ausgang der „Allianz-Arena“ zwei Lichtschranken mit Zeitmessanlage, dann hätte es am frühen Samstagabend vermutlich noch einen offiziellen Rekord aus München zu vermelden gegeben. Es gibt viele Spieler, die mangels Interesse am Zwiegespräch mit Reportern ihren Schritt beschleunigen, wenn sie nach dem Duschen die sogenannte Mixed Zone passieren müssen. Doch niemand war bisher so schnell unterwegs wie Tomislav Piplica nach dem 1:2 seines FC Energie Cottbus bei Bayern München. Hastig zog der bosnische Torwart seinen Rollkoffer hinter sich her, nach handgestoppten 9,4 Sekunden hatte er die gesamte Halle durchquert.

Rund zwei Stunden vorher hatte Tomislav Piplica einige Sekunden regungslos auf dem Rasen gelegen und die Hände vors Gesicht geschlagen. Dann war er aufgesprungen, machte ein paar schnelle Schritte nach vorn, fluchte in die Rücken seiner Mitspieler, sie hätten den Ball ja schließlich auch blocken können. Als sich Piplica Sekunden später umdrehte, wusste er wahrscheinlich, dass er sich in jenem Moment viel mehr über sich selbst aufregte als über irgendjemand anderen. Sekunden zuvor hatte es nämlich wieder einen echten Tomislav Piplica zu bestaunen gegeben, was für ihn und seine Mannschaft nichts Gutes bedeuten kann.

Der Schuss war harmlos. Bastian Schweinsteiger hatte zum wiederholten Male aus gut 25 Metern abgezogen, mehr war den Bayern bis dahin nicht eingefallen. Den ersten Versuch fünf Minuten zuvor hatte Piplica weggefaustet, nicht eben souverän, aber immerhin, er hatte keinen Schaden angerichtet. Auch diesmal sah alles ungefährlich aus, der Ball flog in gerader Bahn, ehe er Piplica in rund einem Meter Flughöhe erreichte, und wieder wollte er fausten. Doch im Hinfallen gelang es ihm nicht, die Hände zu koordinieren: Der Ball sprang ihm seitlich gegen den Kopf und von dort aus ins Tor. Von Weitem sah Piplica in jener Szene aus wie ein alternder Kirmesboxer, der im Niedersinken noch einen Kopftreffer hinnehmen muss. So ähnlich muss es auch Schweinsteiger gesehen haben, der nicht bereit war, über den Treffer zu jubeln, wahrscheinlich aus Gründen der Pietät. Seinem Beispiel folgten nicht viele im Stadion. In der Halbzeitpause war Piplicas Panne bestimmendes Gesprächsthema.

Was den Fauxpas speziell machte, war der Umstand, dass der Torwart keineswegs zum ersten Mal reichlich Schadenfreude produzierte. Eine Szene, die zwar mehr als vier Jahre zurückliegt, bei vielen Fußballfans aber noch heute in der Erinnerung aufleuchtet, sobald der Name Piplica fällt, zeigt einen von Mönchengladbachs Marcel Witeczek abgefälschten Freistoß, bei dem der Ball in hohem Bogen auf den Kopf des Torwarts und von dort ins Netz plumpst. Das 1:0 von München war insofern schon Piplicas zweites Kopfballtor.

Die Mitspieler beeilten sich nach dem Abpfiff, den eigenen Torwart von jeglicher Schuld freizusprechen. „Tomislav hat in diesem Jahr überragend gehalten, so was kann passieren“, sagte Kapitän Kevin McKenna. Ähnlich äußerten sich mehrere Kollegen, alle hielten sich artig an den Ehrenkodex der Branche. Auch Trainer Petrik Sander monierte nicht Piplicas Lapsus, sondern die Fehlleistung der Abwehr, die den Schuss zuließ.

Dass einige Torhüter in dieser Bundesliga-Saison schon nach geringfügigeren Pflichtverletzungen ihren Arbeitsplatz räumen mussten, blieb unkommentiert. Auch Ersatztorwart Gerhard Tremmel sagte nichts, als er die Halle zwischen Kabine und Bus durchquerte. Er ließ sich aber deutlich mehr Zeit dafür.

Daniel Pontzen[München]

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