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Sport: Plädoyer für den Eigensinn

Bochums Paul Freier war der große Gewinner beim 4:1 der deutschen Nationalmannschaft gegen Kanada

Wolfsburg . Eigentlich heißt Paul ja Slawo. So nennen sie ihn zumindest beim VfL Bochum. Als seine Familie vor mehr als elf Jahren aus Oberschlesien übersiedelte, kam er als Slawomir Pawel Freier nach Deutschland. Bei seiner Einbürgerung fand sich für Slawomir keine passende Übersetzung. Aus Pawel wurde Paul, und Slawo blieb als Künstlername erhalten, als Teil seiner alten Identität in neuer Umgebung.

Freier wäre gern weiter Slawo, den Namen mag er, aber Nationalspieler und bester Bochumer der vergangenen Saison ist er nun mal als Paul Freier geworden. Seit Sonntag gibt es auch noch den Nationalmannschafts-Torschützen Paul Freier. In der 52. Minute des Länderspiels gegen Kanada in Wolfsburg war es, als sich jedermann von den Qualitäten Freiers überzeugen konnte: Er nahm einen Pass von Andreas Hinkel auf, rannte zielstrebig in den Strafraum und - legte den Ball nicht quer. „Heute war er mal egoistisch genug und hat das Tor selbst gemacht“, lobte Teamchef Rudi Völler. Freier hatte, entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten, nicht den in der Mitte frei stehenden Stürmer (Fredi Bobic) angespielt. „Ich habe ihn wohl gesehen, aber mich dann doch entschieden, es selbst zu machen“, sagte Freier. Das 2:1 war sein erstes Tor im neunten Länderspiel. Mit den eingewechselten Freier und Hinkel auf rechts kam beim 4:1 im Test am Sonntag nach einer ganz müden ersten Halbzeit die Wende.

Völlers Lob klang wie ein Anachronismus im Fußball-Business: Bravo, Herr Freier, Sie waren ein Egoist und haben einmal an sich selbst gedacht! Was ist das für ein Typ, dem man die Ellbogenmentalität im Berufssport erst noch anerziehen muss? Am besten fragt man Peter Neururer, Freiers Trainer beim VfL Bochum. Neururer erinnert an eine sechs Monate zurückliegende Geschichte, um die Gutmütigkeit seines 23 Jahre alten Lieblingsschülers zu illustrieren. Damals spielte der VfL zweimal beim Hamburger SV, zuerst im Pokal, dann in der Bundesliga. Beide Male machte der Hamburger Bernd Hollerbach dem jungen Bochumer das Leben mehr als schwer. Der gelernte Metzger bearbeitete Freier mit allen Mitteln. Neururer sagte damals: „Paul wehrt sich nicht. Er beschwert sich nie. Er ist so ein guter Junge. Selbst, wenn er nicht nur auf die Socken, sondern auch auf die Nase kriegt.“ Beklagen kam wirklich nicht in Frage: Freier, die Nase nach einem Hieb Hollerbachs rot geschwollen, lachte und sprach von normaler Härte.

Ein anderer Typ kann er wohl nicht sein. Dafür liebt er das Spiel an sich viel zu sehr, ob im Training beim VfL oder für die Nationalmannschaft, vielleicht schon am Samstag in Schottland. „Ich spiele ja nicht, um Zirkus zu machen oder Schauspieler zu sein“, sagt er. Er spielt, indem er den Ball auf der rechten Seite mit viel Schwung nach vorn trägt, die Gegner durch ein paar Tempo-Dribblings ins Leere laufen lässt und den Ball dann in die Mitte passt (oder mal selbst schießt). Mit zehn Vorlagen bei sieben Toren ist Freier der drittbeste Vorbereiter der Bundesliga – nach dem Hamburger Mahdavikia und dem Berliner Marcelinho.

Nach seinen neun Einsätzen in der Nationalmannschaft haben ihn einige schon als Edel-Joker bezeichnet, weil er seit seinem Debüt vor 13 Monaten beim 7:0 gegen Kuwait immer ein- oder ausgewechselt worden ist. Freier stört das Wechselspiel zwischen Bank und Rasen natürlich nicht: „Hauptsache, ich bin dabei.“ Auch in Bochum hoffen sie, dass Freier noch möglichst lange dabei ist. Sein Vertrag läuft bis 2005. Doch wie es beim VfL Sitte ist, könnte ein Gewinn bringender Verkauf im Jahr 2004 anstehen, um einen die Lizenz sichernden Transferüberschuss zu erzielen. Borussia Dortmund gilt als Interessent. Im dortigen Starensemble könnte Freier bestimmt einige Lektionen in Sachen Egoismus lernen.

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