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Obenauf. Zuletzt hatte Borussia Dortmund (im Bild Sebastian Kehl) in den Duellen mit dem FC Bayern (mit Arjen Robben) das bessere Ende für sich.

© picture alliance / dpa

Pokalfinale Dortmund gegen Bayern: Angriff auf eine höhere Instanz

Die Chance, die ewige Vormachtstellung des FC Bayern im deutschen Fußball zu brechen, war nie so groß wie jetzt für Borussia Dortmund. Im Pokalfinale kann der BVB die Münchner zum fünften Mal in Folge besiegen.

Es wirkte so absurd: wie Franz Beckenbauer, damals noch Präsident des FC Bayern München, zu Beginn der Saison 2009/2010 Borussia Dortmund zum Mitfavoriten auf die deutsche Meisterschaft erklärte. Eine Mannschaft, die in der Vorsaison, der ersten unter Jürgen Klopp, Platz sechs erreicht hatte, mit acht Punkten Rückstand auf den Zweiten Bayern München. Die, wenn auch verbessert gegenüber der Saison 2007/2008 (Platz 13, Trainer Thomas Doll, spielerisch chancenlos beim 1:2 nach Verlängerung im Pokalfinale gegen die Bayern), immer noch abgeschlagen schien. Eine Mannschaft, die den Abgang ihres besten Stürmers Alexander Frei mit einem leicht dubios als „Welttorjäger“ betitelten Halbargentinier (Lucas Barrios) kompensieren wollte, ansonsten, mit Sven Bender von 1860 München und Kevin Großkreutz von LR Ahlen, im Wesentlichen zwei Talente aus der Zweiten Liga verpflichtet hatte.

Auch wenn Beckenbauer mit seiner Einschätzung in jener Saison, die Dortmund auf Platz fünf beendete, nicht recht behielt: Aus heutiger Sicht wirkt die Weissagung eher hellsichtig. Sie zeugt – so scheint es – von einer geradezu erschütternden Einsicht in die Gesetzmäßigkeiten des Fußballs, einem schwebenden Blick auf große Linien, längerfristige Entwicklungen, Potenziale. Kurz: einer übergeordneten Sicht der Dinge, wie sie sich – neben unabhängigen Experten – eigentlich nur der FC Bayern in Bezug auf das nationale Fußballgeschäft erlauben kann. Es ist der Blick dessen, der aus einer gesicherten Machtposition das Ligageschehen beobachten, bewerten und schließlich, durch Sticheleien, Transfers und gelegentliche Rettungsaktionen, entscheidend beeinflussen kann. Es ist die Perspektive des Über-Ichs der Liga.

Wenn Dortmund am heutigen Samstag (20 Uhr, live im Ticker bei Tagesspiegel.de) zum zweiten Mal ein DFB-Pokalfinale gegen den FC Bayern München bestreitet und es dabei keinen klaren Favoriten gibt, liegt dem auch eine besondere Beziehung der Dortmunder zu jenem Über-Ich zugrunde. Die Geschichte dieser Beziehung beginnt in den 90er Jahren, als Dortmund mit erheblichem finanziellen Aufwand auszubrechen versuchte aus dem Kreis der normalen, vom unsteten „Es“ beeinflussten Durchschnitts-Ichs. Langfristig erfolglos, wie man heute weiß, erfolglos auch, weil dieser Schritt abseits aller finanziellen Wagnisse eben doch nicht so leicht zu vollziehen ist – nicht zuletzt aufgrund der Existenz des FC Bayern München. Borussia Dortmunds Geschichte vom Weggang des Erfolgstrainers Ottmar Hitzfeld nach München anno 1998 bis hin zum 2-Millionen-Euro-Darlehen der Bayern an die mittlerweile zahlungsunfähige Borussia im Jahr 2003 steht sinnbildlich dafür, wie schwer es ist, sich dieser Macht, die viel mehr ist als ein einfacher Wettbewerber, im Guten wie im Schlechten zu entziehen.

Das letzte Duell Dortmund - Bayern vom 30. Bundesliga-Spieltag in Bildern:

Umso gebannter mag man auf das anstehende Finale im Berliner Olympiastadion blicken: Das Momentum des dauerhaften Besserseins und damit der Auflösung einer ganzen Liga-Psyche ist für einen anderen Verein noch nie so real gewesen wie jetzt für Borussia Dortmund. Das zeigt sich zum einen in Zahlen – noch nie hat eine Mannschaft wettbewerbsübergreifend fünfmal in Folge gegen den FC Bayern gewonnen, wie es der Dortmunder Borussia mit einem Sieg heute möglich wäre. Der letzte Double-Sieg eines der „Anderen“ liegt acht Jahre zurück – damals kratzte Bremen an der Vormachtstellung der Bayern, allerdings ohne als Meister der Vorsaison die Bundesliga über zwei Jahre beherrscht zu haben. Es zeigt sich aber auch darin, wie wenig Wirkung neben den fußballerischen Taten die flankierenden Worte aus München zuletzt zeigten. So, als habe eben nicht das Über-Ich gesprochen, sondern niemand.

Der Mythos des FC Bayern steht im Olympiastadion auf dem Spiel

An all diesen Sticheleien in Richtung Dortmund, in denen es darum ging, wie viel eine nationale Meisterschaft bei ausbleibendem Erfolg internationalen wert sei, ist eines besonders bemerkenswert: Ausgerechnet im vermeintlich geringsten Wettbewerb, dem nationalen Pokal, wird nun darüber entschieden, vor welchem Hintergrund derartige Diskussionen zukünftig geführt werden. Im Pokalfinale geht es um nicht weniger als die Würde des FC Bayern, seinen überlegenen Einfluss auf das Handeln und Befinden aller anderen Bundesligaklubs. Es geht um einen Status, für den „Vormachtstellung“ ein viel zu kleines Wort ist. Hier, wo die zwei besten Mannschaften der Bundesligasaison noch einmal aufeinander treffen, steht für die Münchener vielleicht sogar mehr auf dem Spiel als im Champions-League-Finale eine Woche später. Zumindest in Ansätzen wird über den Fortbestand einer höheren Instanz im deutschen Ligafußball entschieden.

Wie die Bayern ins Champions-League-Finale einzogen. Eine Bildergalerie:

Dauerhaft das Fußballgefühl in Deutschland beeinflussen können singuläre Erfolge grundsätzlich nicht. Das geht nur über einen Mythos, der sich selbst stabilisiert: der so lange Top-Spieler anlockt, bis es heißt „Die kriegen jeden“, was wiederum Top-Spieler anlockt etc...; der so lange in entscheidenden Spielen das Glück erzwingt, dass Freunde wie Gegner so sehr an dieses Glück und diesen Zwang glauben, dass es beim nächsten Mal wieder, vielleicht sogar leichter eintritt usw...; dessen Vertreter erfolgreich verunsichern können, weil es ihnen in der Vergangenheit bereits gelungen ist usf...

Dieser Mythos steht heute im Olympiastadion endgültig auf dem Spiel – was nicht heißt, dass er nicht bereits Risse hätte: Seit der Verpflichtung des Trainers Jürgen Klinsmann, der groß angekündigten Neuerfindung, hat man den FC Bayern zwar bereits im Champions-League-Finale gesehen. Eine jahresübergreifende Liga-Dominanz, eine klare Linie war jedoch nicht zu erkennen. Zugleich erlebte die Fußballnation den Aufstieg der Borussia aus Dortmund – mit einer mehr als klaren Linie, die die Borussia im Fall des Gladbacher Marco Reus zuletzt sogar auf dem Transfermarkt über die Bayern triumphieren ließ. Vieles erscheint seitdem in einem anderen Licht: die jüngsten Attacken von Bayern-Keeper Manuel Neuer etwa, wonach die zwei letzten Erfolge der Borussia gegen Bayern München „keine verdienten Siege“ gewesen seien. Oder jene Ausführungen Franz Beckenbauers vor der Rückrundenbegegnung der beiden Teams am 11. April diesen Jahres – als dieser einen Sieg der eigenen Mannschaft sowie eine Niederlage der Dortmunder am Folgespieltag gegen Schalke 04 prophezeite.

Wo, so mag man fragen, ist die traumwandlerische Souveränität? Das hellsichtig Überlegene des FC Bayern, das Pendeln zwischen Gönnerhaftigkeit und pointierter Arroganz, der aber jederzeit eine tatsächliche Überlegenheit zugrunde liegt? Es mehren sich die Anzeichen, dass da ein Über-Verein seine Position außer- und oberhalb des normalen Gewerkes nicht mehr so recht zu halten vermag. Man stelle sich einmal vor: Dortmund – was möglich ist – gewinnt das Pokalfinale. Bayern München – nun unter immensem Druck – scheitert im „Finale dahoam“. In der Folgesaison stabilisiert der BVB seine zuletzt unterirdischen internationalen Leistungen... Es muss noch viel geschehen, bis sich die deutsche Fußballlandschaft nachhaltig verändert. Mit der Dominanz der letzten zwei Jahre hat Borussia Dortmund aber die Grundlage gelegt, nun ernsthaft die immer noch herausragenden Bayern anzugreifen.

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