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Leo

© dpa

Polens Trainer im Interview: „Das ist mein wichtigstes Spiel“

Die Widerstände im Land waren massiv: Ein Holländer wird polnischer Nationaltrainer? Inzwischen ist Leo Beenhakker ein Held im Land. Und das Spiel gegen die Deutschen hat nicht bloß für ihn eine überragende Bedeutung.

Herr Beenhakker, von Niederländern heißt es, sie hätten keine Vorhänge.

Ich habe Vorhänge, und wissen Sie warum?

Wir sind gespannt.

In meinem Beruf hat man immer viele Leute um sich herum, da muss man manchmal die Vorhänge schließen. Ich kann allein sein und bin gerne allein. Man kann in Ruhe nachdenken und seinen Gedanken vertrauen. Und manchmal muss man innerlich Vorhänge zu machen und sich aus dem Geschäft raus nehmen.

Und so richtig raus nehmen Sie sich in Ihrer Basis in Holland?

In diesem Beruf ist es immer besser, so etwas wie eine Basis zu haben, es kann manchmal schnell gehen. Meine Kinder leben in Holland, und ich habe dort ein paar persönliche Sachen.

Warum denken Sie eigentlich nicht ans Aufhören, Sie haben als Klubtrainer so viel erreicht?

Ich liebe das Leben, und ich liebe meine Arbeit. Es macht mir viel Freude, jungen Menschen zu helfen, sich zu verbessern, Karriere zu machen und ins Leben zu finden. Für mich ist die emotionale Seite meines Job sehr wichtig. Was das angeht, bin ich eher Südeuropäer oder Südamerikaner. Emotionen und die richtige Chemie mit den Leuten, das ist das Schönste an meinem Job.

Haben Sie deshalb in so vielen Ländern gearbeitet?

Das klingt vielleicht arrogant. Aber Holland ist klein, und irgendwann hat man alles gesehen. Fußball aber ist eine internationale Sache. Man kann ein paar kleine eigene Dinge einbringen und dafür die kleinen sozialen Unterschiede im normalen Leben kennen lernen.

Sie haben ziemlich viel eingebracht: Sie haben die polnische Nationalmannschaft zur EM geführt. Zum „Mann des Jahres“ wurden Sie auch noch gewählt, sogar einen Orden haben Sie erhalten.

Wenn man mit einem Nationalteam Erfolg hat, hat das Einfluss auf das Leben im ganzen Land. Es ist auch ein Zeichen dafür, dass sich in Polen etwas geändert hat. Das Selbstwertgefühl ist gestiegen.

Bedeutet das, dass ein ausländischer Trainer mehr ist als nur ein Fußballcoach?

Wir wollen mal keinen Diplomaten aus mir machen. Ein gestiegenes Selbstwertgefühl gab es auch bei der WM 2006 in Deutschland. Jeder hängt heute seinen individuellen Sorgen nach, und es gibt wenige Dinge, die alle Leute verbinden. Fußball ist so eine gemeinsame Sache.

Das Gefühl von Gemeinsamkeit hat allerdings bei den Fotos der polnischen Boulevardzeitung „Super Express“ geendet. Viele Polen fanden es abstoßend, dass Sie auf einer Fotomontage die abgeschlagenen Köpfe von Michael Ballack und Bundestrainer Joachim Löw halten. Titelzeile: „Leo bring uns ihre Köpfe.“ Es gab aber auch Polen, die empfinden das als zulässige Übertreibung, die man ertragen müsse.

Ich habe diese Bilder als absolut abstoßend empfunden. Ich habe mich auch im Namen der gesamten polnischen Nationalmannschaft entschuldigt, und ich habe den Eindruck, dass das, was ich gesagt habe, auch in Deutschland angekommen ist. Und ich kann Ihnen versichern, dass mindestens 95 Prozent der Polen so denken wie ich.

Der deutsche Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sagte: Millionen von Fans in beiden Ländern hätten Ihre Geste gewürdigt.

Ich kann mich da nur wiederholen. Ich schäme mich für diese Bilder.

Polnische Boulevardzeitungen berichteten auch, der Bundesliga-Profi Jakub Blaszczykowski, der sich am Oberschenkel verletzte, habe sich sehr gegen seine Abreise aus dem EM-Quartier gewehrt.

Das ist alles eine Lüge. So langsam habe ich das Gefühl, dass die polnischen Medien eine Stimmung erzeugen wollen, die schlecht für unser Abschneiden bei der EM ist.

Zurück zum Fußball: Für welchen Stil steht der polnische Fußball?

Da gibt es schon Unterschiede zwischen der Liga und der Nationalmannschaft. Die Liga hat sicher kein so hohes Niveau, was vor allem finanzielle Gründe hat. Den typischen polnischen Fußball aber gibt es glaube ich nicht.

Wie sieht denn der Fußball aus, den Sie mögen?

Meine Schule ist die niederländische Schule, die von Ajax. Das versucht man dann, mit der des Arbeitsplatzes in Einklang zu bringen. Man kann nun nicht hergehen und in Polen sagen, ab heute spielen wir holländischen Fußball.

Wie viel Holland steckt denn schon in der polnischen Mannschaft?

Wir versuchen, Teile davon umzusetzen. Wir Holländer sind Controllfreaks, wir möchten das Spiel am liebsten immer unter Kontrolle haben und dirigieren. Dafür braucht man den Ball. Wenn wir ihn verlieren, wollen wir ihn gleich zurück. Das heißt bei Ballverlust sofortige Versuche ihn zurückzuerobern.

Wo hat sich Ihre Mannschaft verbessert?

Bei Ballverlust versuchen wir jetzt, die Positionen zu halten und mit Pressing den Ball zurück zu bekommen.

Ist es als ausländischer Trainer besonders schwer, Vertrauen zu schaffen?

Die Nationalmannschaft gehört der Nation. In Polen ist nun das erste Mal ein Ausländer Nationaltrainer, da sind viele Emotionen im Spiel. Es gab zuerst viel Widerstand, und der Präsident musste seine Entscheidung verteidigen.

Und die Erwartungen sind deshalb besonders hoch?

Das ganze Land erwartet etwas, die Fans, die Medien. Wir als Mannschaft gehen mit viel Selbstvertrauen in das Turnier. Es wird unheimlich schwer, Deutschland zu schlagen, aber es wird auch sehr schwer, Polen zu schlagen. Wir sind auf einer Höhe.

Das denken Sie. Bei den Wettbüros ist Polen der großen Außenseiter in der Gruppe.

Ich habe denen gesagt, dass sie uns in dieser Rolle verkaufen sollen. Die Rolle gefällt mir. Im Ernst, wir wissen, was wir können. Ob wir das am 8. Juni bringen können, weiß ich nicht. Das weiß auch Joachim Löw nicht, aber wir haben das Niveau, um am 8. Juni um 20.45 Uhr mit Deutschland mitzuspielen.

Der deutsche Fußball hat sich aber auch weiter entwickelt. Hat man das im Ausland mitbekommen?

Sicher, da hat Jürgen Klinsmann viel bewirkt, und seine Arbeit führt nun Joachim Löw mit eigenen Ideen weiter.

Wie lautet denn Ihr EM-Ziel?

Das Spiel gegen Deutschland ist das wichtigste meiner Karriere, weil es das nächste ist.

Die Polen haben also einen Holländer verpflichtet, damit der sein Team zu einem Sieg über Deutschland führt?

Normalerweise rede ich nicht über Vertragsinhalte, aber das stimmt. Das war die Idee.

Aha, der typische Beenhakker-Humor.

Gut erkannt.

Das Gespräch führte Oliver Trust.

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