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Sport: Präzedenzfall Dieter Baumann: Freisprüche mit Risiko - Digel für international einheitliche Rechtsprechung

In einen Biergarten wollten sie. Am Abend aber war es in Nürnberg richtig kalt, und deshalb sind sie wohl doch in eine Kneipe.

In einen Biergarten wollten sie. Am Abend aber war es in Nürnberg richtig kalt, und deshalb sind sie wohl doch in eine Kneipe. Hauptsache, die hatte viel Platz. Schließlich rückte Dieter Baumann mit vielen Freunden an. Die hatten gezittert und geklatscht, und ein paar hatten geheult, als er die 5000 m bei "Live 2000" im Frankenstadion in 13:18,78 Minuten gelaufen war. Abends würden sie dann "ein Fass aufmachen". Das kündigte Olympiasieger Baumann nach dem Rennen an, und er verkündete noch etwas: "Ich bin erst auf halber Strecke. Ich gehe davon aus, dass die Polizei nochmals ermittelt und den Täter findet."

Aber vielleicht saß der Täter abends beim Bier und heißt Dieter Baumann. Warum denn nicht? Theoretisch kann Baumann die Norandrostendion-verseuchte Zahnpasta ja selber präpariert haben. Wirklich unschuldig ist er erst, wenn ein Mister X gesteht. "Noch ist unklar, ob der DLV oder ob Baumann Opfer eines Anschlag geworden ist", sagt Helmut Digel, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Klar ist, dass der Fall Baumann eine Welle losgetreten hat. Genügend Indizien für eine Unschuld reichen jetzt für eine Aufhebung einer Suspendierung. Und allein schon aus finanziellen Gründen ist Digel deshalb für eine neue Form der Rechtssprechung. Denn Suspendierungen oder Freisprüche werden jetzt zum schwer kalkulierbaren Risiko. Die Prozesskosten im Fall Baumann trägt der DLV. Wenn der Weltverband IAAF das Baumann-Urteil aufhebt, kostet das den DLV 150 000 Dollar. Der Verband haftet für alle Entscheidungen in seinem Bereich. "Dazu sind wir nicht mehr bereit", meint Digel.

Eine wenig bekannte deutsche Athletin wurde in Spanien positiv getestet und vom DLV zwei Jahre gesperrt. Nach einem Jahr stellte sich heraus, dass das Labor in Spanien Urinproben vertauscht hatte. "Wenn sie eine Topathletin gewesen wäre und uns verklagt hätte", sagt Digel, "dann wäre der Verband jetzt pleite." Soll doch die geplante Anti-Doping-Agentur Wada die Verantwortung übernehmen. So hätte es Digel gern, und dass in Zukunft Labors für ihre Fehler selber einstehen müssen, lässt sich wohl in Zukunft sicherstellen. Aber bei den Alternativen, die dem DLV-Chef zur bisherigen Rechtsprechung einfallen, lösten das IAAF-Council-Mitglied Digel und sein Weltverband nur ein Problem von mehreren. Digel schwebt eine international einheitliche Rechtssprechung vor. Allerdings muss er in Deutschland den Anscheinsbeweis berücksichtigen. Erst wenn der nicht erschüttert ist, kann suspendiert werden.

Im anglo-amerikanischen Recht gibt es diesen Anscheinsbeweis nicht. So darf in den USA nicht bei bloßem begründeten Verdacht suspendiert werden. Es muss erst ein Schuldspruch her. Das Problem ist nicht neu, und Digel will es, ebenso wie andere Funktionäre der IAAF, durch einen internationalen Gerichtshof lösen. Dort sollen alle Dopingfälle verhandelt werden, nach einheitlichen Richtlinien und mit bindender Rechtswirksamkeit. Die nationalen Verbände hätten dann mit Dopingurteilen nichts mehr zu tun. Und damit gesperrte Athleten nicht vor ordentliche Gerichte ziehen können, sollen sie alle eine Erklärung unterschreiben, nach der sie die Entscheidungen des Gerichtshofs nicht anfechten. Ein frommer Wunsch. In Deutschland hatte 1994 Volker Röhricht, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof erklärt: "Die Anrufung staatlicher Gerichte mit dem Begehren, Entscheidungen von Verbandsgerichten wegen Verletzung rechtsstaatlicher Grundsätze aufzuheben, lässt sich niemals ausschließen." Das dürfte auch für andere Länder gelten.

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