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Sport: Problemfall Hertha

Nach dem peinlichen Pokal-Aus in Kiel herrscht Ratlosigkeit im Verein – weil die Siegertypen fehlen

Von Klaus Rocca

Berlin. Sven Jacob, schwergewichtiger Vorsitzender der KSV Holstein Kiel, wollte seinen „geliebten Hertha-BSC-Traditionsschal erst nach dem Sieg der Kieler Störche umlegen“. So schrieb es Jacob, in Berlin geboren und Mitglied eines Hertha-Fanklubs, in das Programmheft zum DFB-Pokalspiel im Holstein-Stadion. „Man darf ja mal träumen“, ergänzte Jacob, im Hauptberuf Chirurg und Orthopäde. Der Traum ging in Erfüllung. Weil Hertha BSC nach 120 Minuten den Regionalliga-Tabellenletzten nicht niederringen konnte und beim Elfmeterschießen die Blamage perfekt wurde. Auch weil Manuel Greil, der ehemalige Herthaner, im Kieler Tor über sich hinauswuchs. Greil ist wie Jacob Mitglied eines Hertha-Fanklubs.

Während in Kiel, wo die Handballer des THW die Schlagzeilen bestimmen und die Holstein-Kicker bislang wenig Anlass zur Freude gaben, noch lange gefeiert wurde, herrscht bei Hertha Ratlosigkeit. Und die Schlagzeilen „Schande“ und „Lachnummer“ in den Boulevardzeitungen schmerzen zusätzlich. Dabei hatte Trainer Huub Stevens doch alles so akribisch vorbereitet. Die Kieler waren mehrmals beobachtet worden, Hertha war einen Tag zuvor per Flugzeug angereist und hatte eigens ein Hotel gebucht. Stevens, mit Schalke zuletzt zweimal Cupsieger, wollte kein Risiko eingehen. Es hat alles nichts genützt.

Stevens strapazierte später den abgegriffenen Satz von den „eigenen Gesetzen, die der Pokal nun mal hat“. Er habe immer wieder vor den Kielern gewarnt, sagte er. Doch offenbar tat er es vergeblich. Nein, unterschätzt hätten seine Spieler den Gegner nicht. Auch hätten alle „hundertprozentigen Einsatz“ gezeigt. Was freilich im Widerspruch zu seiner Wertung steht, einige hätten „nicht begriffen, worum es geht“.

Verloren wurde das Spiel letztlich im Elfmeterschießen, doch ein Erstligist mit dem hohen Anspruch Herthas darf es gegen einen Drittklässler gar nicht erst dazu kommen lassen. Ob das Führungstor der Kieler wider die Regeln erzielt wurde, ist zweitrangig. Stevens attackierte den Kieler Torschützen Matthias Rose, der Marko Rehmer zuvor den Ellenbogen ins Gesicht gerammt haben soll, zur Halbzeit jedenfalls verbal. Bei der Pressekonferenz musste er allerdings eingestehen, die fragliche Szene gar nicht richtig gesehen zu haben, weil ihm der Linienrichter die Sicht verdeckte. Stevens genügte es, den blutüberströmten Rehmer gesehen zu haben.

Lange Pause für Simunic

Rehmer kann in diesen Tagen vor dem nächsten Heimspiel am 10. September gegen Borussia Mönchengladbach wegen seiner Platzwunde nur eingeschränkt trainieren. So wie Bart Goor, der eine Sprunggelenksverletzung erlitt, aber dennoch im Aufgebot der Belgier für das EM-Qualifikationsspiel am Sonnabend in Brüssel gegen Bulgarien steht. Ärger erwischte es Josip Simunic, bei dem eine Kernspintomografie einen Riss des Syndesmosebandes, der Verbindung zwischen Schien- und Wadenbein, ergab. Simunic muss zwei Monate pausieren.

Das macht die Aufgabe für Stevens nach diesem peinlichen Auftritt in Kiel noch schwerer. Sorgen muss ihm zudem bereiten, dass gegen die Kieler, die in sechs Punktspielen immerhin schon zwölf Gegentore kassierten, nur ein einziger Treffer gelang. Fast scheint es, als müsse er auch in dessen letzter Saison auf die Effektivität von Michael Preetz bauen. Dabei hatte Stevens doch so große Hoffnungen in Luizao gesetzt. Noch ist es zu früh, die Hoffnung aufzugeben. Verwundern muss allerdings, dass ein Weltmeister gegen Regionalliga-Abwehrspieler bis auf einen halbwegs passablen Kopfball keine einzige gute Szene hat. Eigentlich fiel der Brasilianer nur dadurch auf, dass er lautstark die Gelbe Karte für einen Gegenspieler forderte – und sie dann selbst gezeigt bekam.

Überhaupt, wo sind sie, die Siegertypen, die Hertha aus dem Schlamassel ziehen können? Marcelinho ist das noch am ehesten zuzutrauen, doch der steckt in einem Leistungstief. Andere sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie ihre Kollegen mitreißen könnten. Einigen scheint auch „die Courage zu fehlen“, wie es Stevens ausdrückt. Dabei hatte man gerade mit der Verpflichtung von Stevens gehofft, dass die Mannschaft in entscheidenden Situationen die mentale Stärke aufbringt, um als Sieger hervorzugehen. In Kiel war Hertha weit davon entfernt. Nun ist der Psychologe Stevens gefragt.

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