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Sport: Profiboxen: Ulrich lässt die Deckung fallen

Das Wiegen ist noch das Einfachste an ihrem Beruf. Immer am Vorabend ihrer Kämpfe krabbeln Berufsboxer rauf auf die Waage und sehen zu, dass sie das zulässige Gewicht nicht überschreiten.

Das Wiegen ist noch das Einfachste an ihrem Beruf. Immer am Vorabend ihrer Kämpfe krabbeln Berufsboxer rauf auf die Waage und sehen zu, dass sie das zulässige Gewicht nicht überschreiten. Ein gewohntes Bild. Als Henry Maske noch dabei war, glichen solcherlei Nebensächlichkeiten einer groß angelegten Inszenierung. Mittlerweile hält sich das Interesse in angemessenen Grenzen. Gestern hatten vielleicht noch 100 Leute im Berliner Hotel Estrel vorbeigeschaut, um live mitzuerleben, was alle vorher wussten. Die Herren Graciano Rocchigiani und Thomas Ulrich, ihre Gegner sowie die Kämpfer aus dem Rahmenprogramm lagen im Limit. Heute werden sie antreten. Der 37-jährige Rocchigiani immerhin zum 47. Male.

Während sich der frühere Weltmeister am Kanadier Willard Lewis noch einmal aufbauen will für einen letzten WM-Kampf irgendwann Ende des Jahres vielleicht, möchte Thomas Ulrich, der zwölf Jahre jüngere Halbschwergewichtler aus Spandau, endlich aus dem Schatten des von zahlreichen Narben und grauen Haaren gezeichneten Rocchigiani treten. Ulrich trifft in seinem 20. Kampf auf Gabriel Hernandez aus der Dominikanischen Republik.

Die Ausgangslagen der beiden Boxer könnten unterschiedlicher nicht sein. Rocchigiani, der seine beste Zeit hinter sich hat, will noch einmal gutes Geld mitnehmen, muss aber aufpassen, dass seine Karriere nicht in sich zusammenfällt. Ulrich könnte die Zukunft gehören. Der WM-Dritte und Bronzemedaillengewinner der Spiele von Atlanta 1996 taugt am ehesten, die Lücke zu füllen, die Maske nach seinem Abgang vor viereinhalb Jahren hinterlassen hat. Zumindest, was das mediale Interesse betrifft. "Ich will schon wie er die Hallen füllen", sagt Ulrich, "aber ansonsten bin ich doch ganz anders als Maske."

Die Massen zieht er noch nicht, was daran liegen mag, dass er in den vergangenen zwei Jahren nur fünf Kämpfe bestritten hat. Der Bekanntheitsgrad des Mannes mit der mächtigen Linken ist außerhalb Berlins recht überschaubar. Aber er boxt in einem Limit, in dem sich weltweit Geld verdienen lässt. Und er ist Deutscher, was sich hierzulande gut macht, um zum Helden aufgebaut zu werden. In Ermangelung eines passenden Zugpferdes bittet der übertragende Sender Sat 1 noch einmal den alten Kassenfüller Rocchigiani in den Ring. Ab 22.20 Uhr werden sie nacheinander zu sehen sein, der alte Haudegen mit dem Gesicht wie aus einem Mafiafilm, anschließend der blonde Jüngling mit dem Filmgesicht.

Den kleinen Ohrring wird Ulrich dann abgelegt haben. Sein braun gebranntes Gesicht mit den strahlend blauen Augen dick eingerieben sein mit Vaseline, damit die Haut nicht so schnell aufplatzt wie etwa bei Rocchigiani. "Klar bin ich eitel", sagt Ulrich, der aber alles andere ist als ein Faustfechter à la Maske, der sein Heil hauptsächlich hinter den eigenen Fäusten suchte und nicht so sehr hinter denen des Gegners. Wenn es sein muss, "flanke ich dazwischen", sagt Ulrich. 15 seiner 19 Gegner hat er vorzeitig ausgeknockt. "Seine Qualitäten liegen in der Offensive", sagt sein Trainer Torsten Schmitz. "Wissen Sie, manchmal kommt es mir so vor, dass er nicht mal ahnt, wie gut er eigentlich ist. Sein Bewegungsgefühl ist einzigartig und versetzt ihn in die Lage, in kürzester Zeit Neues zu erlernen. Andere brauchen dafür Jahre."

Ulrich hört das nicht. Er will es auch nicht. Noch ist ihm der ganze Rummel suspekt. Ja beinahe peinlich. "Wenn ich endlich mal zeigen kann, was in mir steckt, ist der Aufwand, den Sat 1 betreibt, vielleicht gerechtfertigt", sagt Ulrich. Bisher hat er meist Leute vor die Fäuste gekriegt, die nicht viel konnten, aber unbequem waren. Dabei sah Ulrich manchmal auch nicht viel besser aus, "aber wenn ich mich so weiterentwickle wie zuletzt, dann kann ich jeden schlagen, wirklich jeden". Er gilt als pflegmatisch. "Was soll ich denn machen", sagt Ulrich, "aber ich bin längst nicht mehr so pessimistisch, wenn mal etwas nicht so läuft." Wehe, ein Gegner hatte mal so richtig hingelangt. "Dann habe ich mein Konzept verlassen, wilde Fäuste durch die Gegend geknallt, meistens schiefe Hände, bis es mir wehtat." Das soll jetzt vorbei sei. "Im Ring", sagt Ulrich, "finde ich andere Antworten."

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