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Zurück in den Vordergrund. Englands Fans erheben zögerlich ihre Stimme.

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Protest gegen hohe Ticketpreise im englischen Fußball: Die Legende stirbt

Umgerechnet 80 Euro für Auswärtsspiele, Profit statt Tradition: Nur langsam regt sich in England Widerstand gegen hohe Ticketpreise und den Niedergang der glorreichen Fankultur.

Dieses Wochenende ist Weihnachten für die Fans von Manchester City. Von ihrem Lieblingsklub bekommen sie ein Geschenk – jeweils 32 Pfund. Rund 3000 City-Anhänger werden am Sonntagnachmittag nach London zum Stadion des FC Arsenal reisen. Ein Sitzplatz im Auswärtsblock für das Spitzenspiel kostet eigentlich 64 Pfund, rund 80 Euro. Es ist das teuerste Auswärtsticket der Liga, die City-Fans haben schon im Januar 2013 dagegen protestiert. Gerade deswegen subventioniert Manchester City dieses Spiel.

Es ist zwar eine schöne Geste, aber nicht nur die treuesten Arsenal-Fans würden dem Englischen Meister aus Manchester wohl Heuchelei vorwerfen. Denn die meisten Fans, die in Citys Stadion ein Auswärtsspiel genießen wollen, müssen ebenfalls rund 60 Pfund zahlen. Selbst der relativ kleine Erstligist West Ham verlangt von seinen größtenteils aus den ärmeren Vierteln von Ostlondon stammenden Fans zwischen 55 und 88 Euro für die meisten Heimspiele.

Das Problem hoher Ticketpreise ist nicht das einzige im englischen Fußball, das Fans zu schaffen macht. In den letzten Jahren ist es aber zum Symbol geworden für eine einst stolze, jetzt sterbende – wenn nicht schon längst tote – Fankultur. Der Charme der englischen Fankultur ist weltberühmt. Leidenschaft. Stimmungsvolle, viereckige Stadien. Das Vereinslied des FC Liverpool „You’ll Never Walk Alone“ ist überall in die Welt exportiert worden, auch in Deutschland wird es gern gesungen. Ob in Dortmund oder auf St. Pauli, ob in Mainz oder Kaiserslautern: Überall singen Fans davon, dass sie und ihr Verein niemals allein gehen müssen.

Tottenham will ganze Straße aufkaufen

Die meisten englischen Fans hingegen fühlen sich von ihren Klubs längst alleingelassen. Während die Legende lebt, ist die Realität der Fankultur eine andere. Besonders auf dem höchsten Niveau in der Premier League werden die romantischen Klischees vom Profitstreben der Vereine überdeckt. Als die Fans von Manchester United sahen, wie ihr Klub von der Familie Glazer gekauft und in finanzielle Schwierigkeiten gebracht wurde, protestierten sie zwar. Die grüngelben Schals der Anti-Glazer-Bewegung sind längst normal auf den Tribünen von Old Trafford. Aber die Bewegung ist machtlos. Die Fans können zwar schreien, aber der Klub gehört weiterhin den Glazers.

Ein anderes Beispiel ist Tottenham Hotspur. Tottenham soll ein Klub sein, der auf seine lokalen Wurzeln sehr stolz ist. Die Fans zeigen ständig – und oft umstritten – ihre Solidarität mit den traditionellen jüdischen Gemeinschaften des Londoner Nordostens, während der Klub selbst mit seinen „kreativen Projekten für die Leute in unserer Gemeinde“ prahlt.

Nett, engagiert und hilfreich für die Gesellschaft. So will Tottenham auch den Ausbau seines Stadions verkaufen. Der Klub hat vor, sein klassisches, viereckiges Stadion in eine neue, moderne Arena umzubauen. Das bringe der armen Gegend um die White Hart Lane viel Gutes, erklärte Geschäftsführer Daniel Levy. Aber das Projekt bringt mit sich, dass der Klub eine ganze Straße von kleinen Geschäften aufkaufen würde, um Platz für ein neues Einkaufszentrum und ein neues Hotel zu schaffen. Auf diese wichtigen Elemente des Stadionerlebnisses könne nicht verzichtet werden, Dutzende von kleinen Geschäften in Tottenham müssten deswegen umziehen. Der Bezirk hat Tottenhams Plan zugestimmt. Laut einem Bericht des „Guardian“ hatten die Lokalpolitiker Angst davor, dass der Klub sonst aus der Gegend wegziehen würde.

Genug ist genug: Ein Pfund, das wuchert.
Genug ist genug: Ein Pfund, das wuchert.

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Bundesliga-Fans als Vorbild

Nicht nur die eigenen Fans sind gegen die Premier-League-Klubs machtlos, sondern auch die Nichtfans, die Einwohner und die Lokalregierung. Dass eine neue Arena auch ein Hotel und ein Einkaufszentrum braucht, sagt an sich ziemlich viel über die Richtung, in die sich die englische Fankultur bewegt. Tottenham ist dabei nicht einmal das schlimmste Beispiel. Viel schlechter erging es den Fans des FC Portsmouth und des FC Blackpool. Beide Klubs spielten vor einigen Jahren noch in der Premier League. Portsmouth war sogar FA-Cup-Sieger. Durch rücksichtslose Investoren wurden beide Klubs aber finanziell und sportlich ruiniert. In Portsmouth gab es zumindest eine Art Happy End. Der Klub wurde nach drei Abstiegen von seinem Anhang gerettet. Und zum größten Klub auf der Insel, der von den eigenen Fans regiert wird – nach deutschem Vorbild.

Hoffnung schöpfen englische Fans vor allen Dingen, wenn sie nach Deutschland blicken. Die Geschichte von Portsmouth und das steigende Interesse an der Bundesliga haben immer mehr Fans davon überzeugt, dass sie ihre Situation ändern müssen. Neidisch und bewundernd blickten englische Fans auf die Choreografien von Bayern und Dortmund während der vergangenen Champions-League-Spielzeiten. Als beide Klubs 2013 zum Champions-League-Finale nach London kamen, verliebte sich die Stadt und das Land zum ersten Mal in beide Vereine.

Und nicht nur die großen Klubs locken immer mehr englische Fans an. Der britische Fanklub von Hertha BSC ist in den vergangenen drei Jahren angewachsen. Eine Gruppe Arsenal-Fans ist sogar beim VfL Bochum gelandet. „Die Fankultur hat mich für Deutschland begeistert. Es ist billiger, man kann trinken, und man wird besser behandelt“, sagt ein Fan des 1. FC Köln aus Barrow. Ein Dortmund-Fan aus Broadstairs sagt einfach: „Fans in Deutschland sind das Herz. Und kein Geldschein.“

Protestmärsche zur Liga-Zentrale

So fängt eine kleine Revolution an. Denn die englischen Fans wachen auf. In den vergangenen beiden Jahren hat der Protest deutlich zugenommen. Manche dieser Bewegungen, wie die „Safe Standing Roadshow“ für die Wiedereinführung von Stehplätzen in englischen Stadien, nehmen ihre Inspiration ganz offen aus dem deutschen Fußball. Die „Supporters Direct“-Bewegung ist im Januar sogar nach Berlin geflogen, um am deutschen Fankongress teilzunehmen. Viele Initiativen haben ihren Ursprung aber auch in Englands Szene.

Zum Beispiel die Demonstration in London im August. Die „Football Supporters Federation“ organisierte zum zweiten Mal einen Protestmarsch zum Hauptquartier der Premier League. Die Fans diskutierten mit Ligageschäftsführer Richard Scudamore, obwohl er weiterhin meint, dass er nichts gegen hohe Ticketpreise machen könne.

Da die Premier League kein Interesse daran zeigt, seinen Fans zuzuhören, wenden sich manche direkt an den englischen Fußballverband FA. Der Verband verliert seit Jahren seine Macht an die Premier League, aber die Fans wollen jetzt, dass er sie zurückerobert. Strengere Regelungen von der FA könnten die kapitalistische Anarchie der Premier League ein bisschen einschränken, lautet die Theorie. Leider sind die Änderungen, die aus der FA-Zentrale im Wembley-Stadion kommen, meistens auch schlecht für die Fans. Als England vorigen Sonntag in Basel die Schweiz besiegte, protestierten die englischen Fans auch gegen die Ticketverteilung für Länderspiele.

Bisher sind die Fan-Stimmen noch nichts wert

Nachdem sie in den 20 Jahren seit der Geburt der Premier League ihre Fußballkultur fast verloren haben, finden sie jetzt langsam ihre Stimme. Tragisch ist nur, dass die bislang fast nichts wert ist. Das einzige Mittel, das die Premier League zu Reformen zwingen könnte, wären Stadionboykotte. Aber davon ist England sehr weit entfernt. Die Stadien sind immer noch ausverkauft, die Leute drängen immer noch auf die Tribünen. Warum? Weil der englische Fußball mal Charakter hatte. Weil die berühmten Klubs vielen Menschen immer noch eine Menge bedeuten. Ihre Verbindung mit einer alten, romantischen Fußballkultur stirbt nicht, auch wenn die Verbindung nur noch dem Namen nach besteht.

So macht die Premier League immer mehr Geld. Aber so stirbt der englische Fußball.

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