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Sport: Protestantische Hüften

Die Isländer gelten als steif und tanzen daher nicht so gerne Salsa – der von den Wikingern erfundene Ringkampfsport Glíma liegt ihnen mehr

Andere Länder, andere Sitten: Auch im Sport gilt dieser Satz. Wir beschreiben in loser Folge, welche Sportarten Nationen prägen, und warum das so ist.

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1908 reist eine größere Gruppe isländischer Sportler ins Ausland. Damals war das ungewöhnlich, aber für die Isländer war die Exkursion nach London eine große Ehre. Bei den Olympischen Spielen durften die Männer antreten. Allerdings außer Konkurrenz. Sie durften im Rahmen der Demonstrationswettbewerbe die isländische Version des Ringkampfes vorführen: Glíma. Die Kunst in dieser Sportart besteht darin, dass die beiden Kämpfenden den Gegner mit der rechten Hand am Hosensaum und mit der linken Hand am Schenkelteil der Hose anfassen und so versuchen, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Im Glímawettkampf geht es um Geschicklichkeit und Ausdauer, weniger um reine Kraft. So müssen die Kämpfer sich am Anfang auch gegenseitig über die rechte Schulter schauen und nicht auf die Füße, denn Gefühl soll für sie wichtiger sein als das, was sie sehen. Acht bis zehn verschiedene Griffe sind erlaubt. Sieger ist derjenige, der den Gegner so umwirft, dass dieser den Boden berührt, allerdings nicht mit Armen oder Beinen, sondern mit den anderen Körperteilen. Ein Kampf dauert meistens nur zwei Minuten. Seit 1906 wird alljährlich der „Glímukóngar“ Islands gekürt, der „Glímakönig“ der nordatlantischen Inselrepublik.

Der Sport hat in Island eine lange Tradition. Seine Ursprünge gehen bis zu den Wikingern zurück, die bereits um das Jahr 900 aus Norwegen kamen und eine frühe Form des Ringkampfes in Island einführten. Der Ringkampf entwickelte sich im Land weiter und wurde zum nationalen Sport. Glíma ist in vielen mittelalterlichen Dokumenten bereits erwähnt. Der erste isländische Glímasportverein gründete sich dann im Jahr 1888. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts konstruierte ein Schneider den eigenartigen Gürtel, den Glímubelti, der seitdem einige Änderungen erfahren hat. Der große lederne Riemen wird um die Taille des Ringers geführt und ist mit zwei verlängerten kleinen Riemen versehen, die sich um die Schenkel wölben: Haltegriffe für den Gegner.

Glíma ist nicht nur ein Sport für das isländische Volk, sondern auch ein politisches Symbol. Island war seit 1380 von den Dänen besetzt. 1921, als die Abneigung gegen die Besatzungsmacht Dänemark im Lande einen neuen Höhepunkt erreichte, besuchte der dänische König Island. Ihr nationales Selbstbewusstsein demonstrieren die Isländer dem ungeliebten Monarchen mit einem Glíma-Turnier.

Glíma gehört zum Nationalgefühl, gerade bis 1944, dem Jahr, in dem Island unabhängig wurde. Die isländische Schriftstellerin Gudrun Eva Minervudóttir hat ihre eigene Theorie über die Entstehung des isländischen Ringkampfs: „Isländer sind ja eher Protestanten. Sie haben ausgesprochen protestantische Hüften.“ Und Protestanten würden ja als eher steife Typen gelten, findet Eva Minervudóttir. „Wir können beispielsweise nicht gut Salsa tanzen“, sagt sie. „Glíma ist etwas ungelenk und steif, das kommt uns sehr entgegen.“

Lange galt der Ringkampf aus dem Mittelalter als reiner Männersport. Zwar gab es schon 1914 den Versuch einiger Frauen, Glíma zu praktizieren, doch der Einbruch in die Männerdomäne hielt nur kurz an. „Heute gibt es vielleicht insgesamt zwei- bis dreihundert Glíma-Sportler im Land“, sagt Ólafur H. Óskarsson, der selbst aktiver Glímasportler und Schiedsrichter war. Obwohl seit 1988 auch Frauen am Glíma teilnehmen, hält der 72-Jährige diesen Sport eher für eine Männersache. Mit seiner Ansicht liegt der ehemalige Sportler Ólafur H. Óskarsson allerdings nicht mehr im Trend: In den jüngsten Jahren besuchten die Mitglieder der Glímavereinigung vermehrt die Grundschulen, um das Interesse der Kinder an der alten Kampfkunst zu wecken. Mit steigendem Erfolg – bei Jungen wie bei Mädchen. Es gilt nun nicht mehr als ganz unwahrscheinlich, dass eines Tages auch die erste Glímakönigin gekürt wird.

Bisher erschienen in unserer Serie: Thaiboxen in Thailand (12.6), Pétanque in Frankreich (14.6), Badminton in Indonesien (18.6), Hurling in Irland (20.6), Eisschnelllaufen in den Niederlanden (24.6), Football in den USA (26.6), Laufen in Kenia (10.7) und Stockkampf in Südafrika (15.7.).

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