zum Hauptinhalt

Sport: Psychologie der Massen

Hertha freut sich fast übermäßig über den ersten Heimsieg

Berlin. Die Analyse war kurz, knapp, prägnant: „Wir sind glücklich. Der erste Heimsieg. Danke.“ Mehr sagte Pal Dardai nicht, und vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sich auch seine Kollegen von Hertha BSC in ihren Aussagen nach dem 2:1-Sieg über Borussia Mönchengladbach aufs Wesentliche beschränkt hätten. Aber das konnte niemand erwarten, nicht nach den vergangenen drei Wochen, in denen der Berliner Bundesligist von einer emotionalen Notsituation in die nächste gestürzt war und die Boulevardzeitung „BZ“ sogar schon Hexen und Heilwasser aufbot, um der Mannschaft zu helfen. „Das war schon hart in den letzten Wochen“, sagte Arne Friedrich. Jeder Pseudopsychologe ahnt, dass nach solchen Erfahrungen eine eher irrationale Erleichterung über die Vernunft obsiegt. So war es auch am Samstag.

„Wenn man so tief im Dreck gesteckt hat, ist das ein super Gefühl“, sagte Kapitän Dick van Burik nach dem Sieg, und Herthas Manager Dieter Hoeneß erinnerte daran, dass die Mannschaft von den letzten vier Spielen drei gewonnen habe. Faktisch ist das richtig, aber: Gegen wen hat Hertha denn gewonnen? Und wie? Gegen den Tabellensechzehnten Rostock (in der Bundesliga), gegen den Tabellenletzten Rostock (im Pokal) und gegen den Tabellenvorletzten Mönchengladbach. Gegen die einzige Mannschaft, die ähnliche Ambitionen hegt, wie es Hertha vor der Saison getan hat, den VfL Wolfsburg, hat die Mannschaft deutlich verloren. Wenn man es positiv sehen will, könnte man sagen, dass Hertha gegen direkte Konkurrenten im Abstiegskampf gewonnen hat. Aber das sind trotz der aktuellen Misere nicht die Ansprüche des Klubs.

Bei einer nüchternen Analyse des Spiels gegen die schwachen Gladbacher reduzieren sich die positiven Erkenntnisse auf wenig mehr als das für Hertha erfreuliche Ergebnis. Holger Fach, der Trainer der Borussen, hatte ein Spiel gesehen, „das normalerweise 1:1 ausgeht“. Und dann, so ahnte Marko Rehmer, Herthas Verteidiger, „wäre es hier nicht so ruhig gewesen“.

Nach dem ganzen Wirbel der vergangenen drei Wochen – dem Ultimatum für den Trainer, dem aufreibenden Pokalspiel in Rostock, dem Rückschlag gegen Wolfsburg – freuen sich die Berliner Fußballer darauf, „dass wir 14 Tage beruhigt arbeiten können“, wie Niko Kovac sagte. Erst in zwei Wochen, nach der Länderspielpause, steht das nächste Bundesligaspiel an, beim 1. FC Kaiserslautern. Die Spieler sehnen sich nach ein bisschen Ruhe, und sie hoffen auf eine anhaltende Wirkung des Erfolgserlebnisses. Arne Friedrich glaubt, „dass es uns nur gut tun wird“, und Niko Kovac, der den Ausgleichstreffer durch Luizao vorbereitet hatte, sagte: „Das hat uns gefehlt.“ Seit Ende Mai warteten die Berliner auf einen Heimsieg.

Doch ein Erfolg alleine macht aus Hertha noch keine bessere Mannschaft. Das hat auch das Spiel gegen Gladbach gezeigt. „In der zweiten Halbzeit haben wir kaum was anbrennen lassen“, sagte Marko Rehmer, der beim 0:1 den Torschützen Vaclav Sverkos zum Schuss hatte kommen lassen. Allerdings hatten auch die Gladbacher bis zu Madlungs Siegtreffer vier Minuten vor Schluss kaum was anbrennen lassen. Das 2:1 fiel nach einem Freistoß. Aus dem Spiel heraus waren die Berliner genauso harmlos wie ihr Gegner. Die einzige Torchance in der zweiten Hälfte – ein Kopfball von Luizao – resultierte ebenso wie das späte Siegtor aus einem Freistoß.

Luizao hat nun in den vergangenen vier Spielen drei Tore erzielt – so viele wie in der kompletten letzten Saison. Aber die erfreuliche Entwicklung des brasilianischen Stürmers wird absorbiert durch die Formschwäche Fredi Bobics, der gegen die Gladbacher nur ein einziges Mal aufs Tor schoss.

„Wir haben mehr gekämpft als gespielt“, sagte Kovac. Aber ein schönes Spiel habe man auch nicht unbedingt erwarten können. Van Burik sah es ähnlich: „Wir können nicht auf einmal überragend sein.“ Nicht nach den bleischweren Wochen. Die Hoffnung auf schnelle Besserung und etwas spielerische Leichtigkeit hat der Brasilianer Marcelinho mit seiner Unbeherrschtheit (siehe untenstehenden Text) arg gemildert. Herthas Absturz zu Saisonbeginn war vor allem mit der Verletzung des Brasilianers begründet worden; nach der Roten Karte wird er nun erneut mehrere Wochen fehlen. „Das ist bitter“, sagte van Burik, „in der ersten Halbzeit hat er gezeigt, dass er kurz vor seiner alten Form ist.“

Der trotzdem vorsichtige Optimismus wird vor allem dadurch genährt, dass die Mannschaft der psychischen Belastung standgehalten hat. Manager Hoeneß hat beobachtet, dass zwischen Trainer Stevens und den Spielern sowie zwischen Stevens und dem Berliner Publikum eine emotionale Bindung entstanden ist. Das war vor drei Wochen noch nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Aber was ist bei Hertha in dieser Saison schon so gelaufen, wie man es erwartet hatte?

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false