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Sport: Psychologie statt Pauschenpferd Wie Turner Andergassen die Krise bewältigen will

Es war ein schwarzer Freitag für Thomas Andergassen. Ein richtig schwarzer Freitag.

Es war ein schwarzer Freitag für Thomas Andergassen. Ein richtig schwarzer Freitag. Bei der Bodenübung musste der Turner aus Stuttgart die Fläche verlassen. Vom Pauschenpferd wurde er abgeworfen. Nach dem haushohen Sprung über den Tisch kam er nicht zum Stand. Ein mieser Wettkampf. Ein richtig mieser Wettkampf. Der 24-Jährige wusste das. Er hatte sich nach seinem Auftritt in einem Winkel der Richard-Hartmann-Halle in Chemnitz verzogen. Da saß Andergassen nun. Blass, sprachlos, bedauernswert.

Nach den für ihn so viel versprechenden Wettkämpfen im Frühling hatte Thomas Andergassen als der aussichtsreichste Kandidat im Olympiajahr gegolten. Nach zwei Qualifikationswettkämpfen für die Spiele in Athen war er plötzlich wieder einer von vielen mittelmäßigen deutschen Turnern. Platz fünf vor zwei Wochen in Bad Nauheim, jetzt Platz sieben bei den deutschen Turn-Meisterschaften in Chemnitz. Nach dem Gesichtsausdruck des Turners zu deuten, bangte er am Freitag für einige Momente sogar um sein Olympiaticket für die Spiele in Athen.

Was war los? Bisher hatte Andergassen doch eine blendende Saison gehabt. Bei den vorolympischen Testwettkämpfen in Athen hatte er mit einer großartigen Barrenübung Eindruck bei den internationalen Kampfrichtern gemacht. Bei der Europameisterschaft in Ljubljana erreichte er das Pauschenpferd- und das Barrenfinale. Und jetzt plötzlich war er von dieser Stabilität verlassen. „Irgendwann geht’s nicht mehr“, sagte Andergassen kopfschüttelnd, „ich bin einfach müde und kaputt.“

Die harte Arbeit und die vielen Wettkämpfe haben ihre Spuren hinterlassen. Plötzlich meldete sich auch eine alte Geschichte an der Hüfte wieder, wegen der der Schwabe schon mal vor ein paar Jahren ans Aufhören gedacht hatte. Ein Wunder eigentlich, dass er sich trotz dieses Handicaps in den vergangenen Jahren wieder in die deutsche Spitze zurückkämpfen, sogar bei internationalen Wettbewerben auf sich aufmerksam machen konnte. Jetzt ist sein Körper müde. Und sein Geist? „Die beiden Wettkämpfe werden schon eine Weile im Kopf hängen bleiben“, sagte Thomas Andergassen. „Aber auch mit dieser Situation muss ich umgehen und mich langsam wieder aus dem Loch ziehen.“

Resignieren will er nicht, auch sein Trainer ist um gute Stimmung bemüht. „Es nützt doch nichts, wenn man jetzt plötzlich alles negativ sieht“, sagt Klaus Nigl, Bundestrainer im Stuttgarter Kunstturnforum, „aus solchen Situationen kann ein Sportler wie Thomas nur gestärkt hervorgehen.“ Neun Wochen vor den olympischen Turn-Wettkämpfen in Athen ein kleines Leistungstief, das sei kein Katastrophe. Nigl wird es auch gewesen sein, der seinem Turner am Freitag wieder Selbstsicherheit in Sachen Olympia eingehaucht hat. „Wenn man Andergassens Ergebnisse im ganzen Vorfeld betrachtet, kommt man um ihn bei der Olympianominierung nicht herum“, sagte Nigl. Chef-Bundestrainer Andreas Hirsch aus Berlin dürfte das vermutlich ähnlich sehen.

Gestern schon hatte Andergassen die ersten Ideen, wie er aus der kniffligen Situation herauskommen könnte. „Mal ein, zwei Tage Pause machen, dann wieder Kondition aufbauen statt der stupiden Übungsbolzerei“, sagte er. Und über seinen mentalen Zustand machte sich der Turner ebenfalls Gedanken. Beim nächsten Lehrgang der Nationalriege wird ein Psychologe zur Verfügung stehen. „Dieses Angebot werde ich auf jeden Fall wieder wahrnehmen“, sagte Thomas Andergassen. Einen großen Schritt machte er schon gestern Abend. In Chemnitz gewann er das Mehrkampfinale.

Jürgen Roos[Chemnitz]

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