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© AFP

Psychologie: Unbewusst erfolgreich

Was denken Sportler im entscheidenden Augenblick? Oder sollten sie besser intuitiv handeln? Forscher geben neue Antworten.

Wie lautet das Rezept für gute Entscheidungen? Ganz einfach. Zunächst sollte man sich Zeit nehmen – viel Zeit. Je mehr, umso besser. Bloß nichts überstürzen! Und dann, ganz wichtig: nicht dem erstbesten Einfall folgen, der einem durch den Kopf schießt, sondern in Ruhe alle Optionen abwägen. Je gründlicher man das tut, umso besser wird die Wahl am Ende ausfallen.

Mehr ist mehr: Auf dieses Prinzip läuft der Rat, um zu einer guten Entscheidung zu kommen, üblicherweise hinaus.

Sian Beilock jedoch ist sich nicht sicher, ob das immer ein guter Rat ist. Die junge Professorin steht auf ihrem eigenen kleinen Golfplatz. Er ist etwa vier mal fünf Meter groß, besteht aus einem künstlichen Rasen und befindet sich auf dem Campus der Universität von Chicago. Die gotischen Gebäude auf dem weitläufigen Gelände sehen aus wie in einem Batman-Film. „Willkommen im Putting-Labor“, sagt die lebhafte Frau, einen Golfschläger in der Hand. Sie setzt an zu einem Schlag. Beilock erforscht die Mechanik von Entscheidungen. Wie treffen wir Entscheidungen? Und vor allem: Wie treffen wir sie am besten? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, hat sich Beilock wie so manch anderer Entscheidungsforscher dem Sport zugewandt.

Sport ist wie das wirkliche Leben, nur konzentrierter. „Im Sport müssen ständig Entscheidungen getroffen werden, oft mit großen Konsequenzen“, sagt Beilocks Kollege Markus Raab von der Universität Flensburg. „Manchmal geht es um Millionen.“ Sowohl Beilock als auch Raab sind der Mehr-ist-mehr-Weisheit einmal genauer auf den Grund gegangen – und dabei auf ein verblüffendes Ergebnis gestoßen.

Beilock lud Golfer, Anfänger wie Profis, in ihr Labor und bat sie, Bälle einzulochen. Es gab zwei Versuchsvarianten. In der einen konnten sich die Leute so viel Zeit für ihren Putt nehmen, wie sie wollten. In der anderen bekamen sie dafür nur drei Sekunden. Der Befund: „Die Anfänger profitierten davon, wenn wir ihnen viel Zeit für ihren Schlag gaben“, sagt Beilock. „Bei den Profis war es genau umgekehrt: Sie schlugen am treffsichersten unter Zeitdruck. Hatten sie viel Zeit zum Nachdenken, versagten sie.“

Etwas Ähnliches stellte Markus Raab fest, als er Handballprofis Videoszenen von Handballspielen vorspielte. Dabei stoppte er das Band genau an dem Punkt, wo der Stürmer sich gerade vorm Tor befand und sich zum Wurf entschließen musste. Nun folgte die Testfrage: Die Handballer sollten angeben, für welche Ecke sie sich entscheiden würden. Binnen Sekunden machten die Profis einen Vorschlag, der im Urteil von Nationaltrainern als bester Wurf galt. Wenn der Wissenschaftler die Handballprofis dagegen länger nachdenken ließen, um weitere Wurfmöglichkeiten zu nennen, stellte sich heraus, dass ihre Alternativen Stück für Stück schlechter wurden. „Was einen Experten auszeichnet, ist, dass er schnell und intuitiv die beste Option erkennt“, sagt Raab. „Ihm viele Handlungsmöglichkeiten durchspielen zu lassen, wie es manche Trainer fordern, ist nur verwirrend.“

Mit anderen Worten: Ist man auf einem Gebiet ein Laie, mag mehr wirklich mehr sein und man sollte sich vor Entscheidungen Zeit lassen. Hat man auf dem Gebiet viel Erfahrung wie ein Profiathlet, sollte man bloß nicht allzu lange nachdenken, sondern seinem spontanen Bauchgefühl folgen. Das zumindest scheinen die beiden empirischen Befunde nahezulegen.

Aber lassen sich aus diesen Einzelbefunden überhaupt allgemeine Schlüsse ziehen? Gerd Gigerenzer, Direktor am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und führender Intuitionsforscher Deutschlands, ist fest davon überzeugt. „Lass das Denken, wenn du geübt bist“, lautet deshalb seine Empfehlung. Gigerenzer meint: Nicht etwa nur beim Golf oder beim Handball sind die schnellen, intuitiven Urteile oft die besten, sondern auch in vielen Alltagssituationen.

Ein Beispiel aus dem Alltagsleben: die Wahl des Restaurants in einer fremden Stadt. Einerseits kann man ausführliche Kritiken lesen oder die Speisekarte studieren, bevor man seine Wahl trifft. Effektiver jedoch ist es, einfach zu gucken, ob das Restaurant, das infrage kommt, voll oder leer ist. Viele Menschen wenden diese Faustregel intuitiv und mit Erfolg an.

Gigerenzer glaubt, dass im Kopf von Sportprofis etwas Ähnliches abläuft. Durch jahrelange Übung ist ihre Intuition in ihrer Disziplin dermaßen geschult, dass sie genau wissen, worauf es ankommt. Ab diesem Zeitpunkt gilt: Weniger ist mehr. Und tatsächlich lässt sich das Weniger-ist-mehr-Prinzip nicht nur beim Golf oder Handball, sondern auch bei Disziplinen beobachten, bei denen man meinen könnte, hier käme es ganz entscheidend darauf an, sich möglichst viele Möglichkeiten durch den Kopf gehen zu lassen, beispielsweise beim Schach.

So haben Forscher Schachspielern unterschiedlicher Leistungsklassen Brettkonstellationen vorgelegt und sie gefragt, was ihre erste Wahl für einen Zug wäre. Dann bat man die Spieler, sich noch weitere Züge zu überlegen. Auch hier ergab sich: Den Großmeistern fielen weniger Züge ein als den Amateurspielern – und der beste Zug war bei den Profis so gut wie immer der, der ihnen als Erstes eingefallen war. Übung – sei es im Golf, Handball, Schach oder in vielen Bereichen des Alltags – „füttert“ offenbar die Intuition, was wiederum dazu führt, dass Irrwege schon in einem sehr frühen Stadium – unbewusst – als solche erkannt und gar nicht erst verfolgt werden. „Das Unbewusste ordnet unsere Einfälle, je nachdem, wie erfolgreich sie in der Vergangenheit waren“, erklärt Gigerenzer das Phänomen. „Deshalb kommen einem die guten Ideen immer zuerst.“

Ein Befund aus der Hirnforschung scheint zu diesem Erklärungsmuster zu passen: Menschen mit hohem Intelligenzquotienten aktivieren beim Lösen von Aufgaben ihr Gehirn nicht etwa mehr, sondern weniger als Menschen mit niedrigerem IQ. Die Intelligentesten, so vermutet man, wissen eben genau, worauf es ankommt, und verlieren sich weniger in geistigen Sackgassen.

Sicher ist: Je besser Menschen in etwas werden, desto mehr wird diese Fähigkeit ins Unbewusste verlagert. Das trifft nicht nur im Sport zu, sondern eigentlich auf jede Fertigkeit. Beispiel Autofahren: Als Anfänger geschieht jede Handlung, jeder Tritt auf die Kupplung und jedes Schalten noch hochgradig bewusst. Für jeden Vorgang braucht er die volle Aufmerksamkeit. Bis die Sache zur Routine wird. „Ab diesem Punkt steht bewusstes Nachdenken darüber, wie wir fahren, dem Fahren eher im Wege“, sagt Entscheidungsforscherin Sian Beilock. „Das ist ähnlich wie bei einem Profigolfer.“ Die Konsequenz: Das Mehr-ist-mehr-Prinzip weicht der Weniger-ist-mehr-Maxime – je weniger man als geübter Autofahrer über die einzelnen Vorgänge beim Fahren nachdenkt, desto besser fährt man.

Nicht umsonst versuchen viele Profisportler ganz bewusst, nicht allzu viel über das, was sie tun, ins Grübeln zu geraten. So lenkte der amerikanische Golfspieler Jack Nicklaus seine Aufmerksamkeit während eines Schlags gezielt damit ab, dass er an seinen kleinen Zeh dachte. Und wenn es nach der US-Baseballlegende Yogi Berra geht, dann hätte man sich die ganze Forschung auch sparen können. Berra wusste schließlich schon immer: „Schlagen und denken zur gleichen Zeit – wie bitte soll das gehen?“

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