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Schiedsrichter haben es nicht leicht, insbesondere im Amateurfußball.

© Imago

Psychologin über Konflikte auf dem Fußballplatz: „Der Spruch ‚Irren ist menschlich‘ gilt leider nicht für Schiedsrichter“

Die Sportpsychologin Theresa Hoffmann über ihre Arbeit für den BFV, Gewaltprävention im Fußball und die Rolle von Schiedsrichter:innen auf dem Sportplatz.

Theresa Hoffmann (26) ist Sportpsychologin und Wissenschaftliche Referentin Schiedsrichterwesen (Gewaltprävention) beim Berliner Fußball-Verband (BFV).

Frau Hoffmann, Sie sind seit Jahresbeginn beim Berliner Fußball-Verband als wissenschaftliche Referentin im Bereich Gewaltprävention tätig. Diese Stelle existiert in dieser Form in keinem weiteren deutschen Fußball-Verband. Warum wurde Sie jetzt geschaffen?
Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Die Stelle ist teilweise als Reaktion auf den Schiedsrichterausstand im Herbst 2019 geschaffen worden. Sie ist aber auch aus dem Grund geschaffen worden, dass das ganze Thema Gewalt gegen Schiedsrichter nicht nur mediale Aufmerksamkeit bekommen hat, sondern auch innerhalb des Berliner Verbandes. Man möchte gegen Gewalt auf dem Fußballfeld, die sich nicht nur gegen Schiedsrichter richtet, vorgehen und langfristig eine Kulturänderung erreichen.

Welche Zielgruppen sehen Sie darüber hinaus?
Vor allem Spieler werden auf verbaler Ebene häufig angegriffen. Es gibt genug Zuschauer, die Spieler beleidigen und sich gegen Trainer richten. Spieler untereinander können sich ebenfalls gegenseitig stoßen und wegschubsen. Das zählt alles zu Gewaltvorfällen.

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Wie sind Sie zum BFV gekommen und worin bestehen Ihre Aufgaben?
Der BFV und der DFB hatten die Stelle auf verschiedenen Plattformen ausgeschrieben und ich habe mich darauf beworben, da ich auch hauptberuflich als Sportpsychologin arbeiten wollte. Meine Aufgaben sind zweigeteilt: Zum einen betreue ich Schiedsrichter, die Gewaltvorfälle auf den Fußballfeldern erlebt haben. Und zum anderen stelle ich ein Qualifizierungskonzept auf, um Schiedsrichter in Gewaltprävention zu schulen.

Ist Ihre Arbeit unter Corona-Bedingungen überhaupt möglich?
Das kommt auf den Bereich an. In der Betreuung ist momentan nicht viel möglich. Und weil keine Spiele stattfinden, gibt es auch keine Gewaltvorfälle. Für mich ist es tatsächlich gut, dass wir keinen Spielbetrieb haben, weil ich mehr Zeit habe, mich auf die Entwicklung der Konzepte zu konzentrieren und tiefgehend zu arbeiten. Deshalb ist es ein zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite lenkt mich nichts ab, auf der anderen Seite ist es superschade, dass wir nicht spielen können.

Schiedrichter:innen sind ein Schlüssel zur Gewaltprävention

Waren Sie selbst als Schiedsrichterin tätig?
Nein gar nicht. (lacht) Ich war selbst Trainerin und Mannschaftssportlerin, aber der Gedanke selbst Schiedsrichterin zu werden, kam mir nicht.

Sie sind nun seit über zwei Monaten im Dienst. Wie ist Ihre Zwischenbilanz? Woran haben sie gearbeitet?
Ich habe erst einmal mit ganz vielen Personen geredet, um mir einen Überblick zu verschaffen und zu schauen, was bisher getan wurde. Man darf nicht vergessen, dass der BFV und die Schiedsrichter schon viel getan haben, um Gewalt vorzubeugen. Ich habe jetzt erst einmal eine Umfrage gestartet, um dann auf Grundlage der Ergebnisse weiterarbeiten zu können.

Die Sportpsychologin Theresa Hoffmann möchte gegen Gewalt auf den Berliner Fußballplätzen vorgehen.
Die Sportpsychologin Theresa Hoffmann möchte gegen Gewalt auf den Berliner Fußballplätzen vorgehen.

© BFV

Welche Rolle spielen denn Schiedsrichter:innen bei der Prävention von Gewalt auf dem Fußballplatz?
Schiedsrichter sind die, die den großen Überblick behalten. Natürlich sind es auch die, die das Spielgeschehen verfolgen und die Regeln durchsetzen. Aber sie haben vor allem den kompletten Platz im Blick und tragen die Verantwortung dafür. Gerade wenn wir in Richtung Spielabbruch gucken oder wenn es zu Anfeindungen und Diskriminierung kommt, dann hat der Schiedsrichter die Möglichkeit eine Verwarnung auszusprechen. Sein Auftreten vor, während und nach dem Spiel kann auf der persönlichen Ebene viel ausrichten.

Eigentlich genießen Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter einen besonderen Schutz, doch häufig werden auch sie Ziel von Gewalt. Woran liegt das?
Letztendlich sind die Schiedsrichter der einfachste Sündenbock. Klar machen Spieler auch mal einen Fehler, aber das gehört für die meisten mit dazu. Bei Schiedsrichtern haben viele die Erwartung, dass sie aufgrund ihrer Ausbildung und ihrer Erfahrung die Regeln perfekt umsetzen müssen. Der Spruch ‚Irren ist menschlich‘ wird Schiedsrichtern nicht zugesprochen und das ist ein Hauptproblem. Das kann sich auf viele Weisen auswirken: Von Schiedsrichtern, die körperliche Schäden davon tragen bis hin zu Schiedsrichtern, die sich nicht mehr sicher fühlen auf dem Spielfeld und bestimmte Spiele abgeben, weil sie bei dem Verein nicht pfeifen wollen.

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Wie unterscheiden sich da Breitensport und Spitzensport?
Von dem, was ich mitbekomme, werden die Schiedsrichter in den Profiligen deutlich weniger angegriffen. Das liegt auch an dem höheren Level an Professionalität und daran, dass es ihr Beruf ist, sie Schulungen erhalten und mehr Wissen und Erfahrungen haben. Im Amateurbereich ist es ein Hobby, sowohl für die Spieler als auch die Trainer und Schiedsrichter. Da kann man nicht denselben Professionalisierungsgrad erwarten. Die Personen arbeiten unter der Woche, gehen zur Schule oder studieren und haben dadurch viele Verpflichtungen. Da bauen sich vielleicht auch Emotionen auf, die dann beim Sport rauskommen. Das sollte man unbedingt berücksichtigen.

Weniger Vorfalle im Frauenfußball

Wie hat sich die Anzahl der Gewaltvorfälle in den letzten Jahren entwickelt?
Das kann ich für Berlin noch nicht einschätzen, weil ich noch keine Daten einsehen konnte. Es gab aber bereits Untersuchungen im württembergischen Fußball und da wurde herausgefunden, dass die Gewaltvorfälle stagnieren. Ich habe aus diesem Grund auch die Umfrage hier in Berlin gemacht. In ein paar Jahren werde ich sie wiederholen und dann hoffentlich Langzeiteffekte und die Wirkung bestimmter Maßnahmen erkennen können.

Sind Schiedsrichterinnen speziell gefährdet?
Das kommt drauf an, wie eng man den Gewaltbegriff fast und welche Zeitpunkte betrachtet werden. Betrachtet man nur die Zeit auf dem Spielfeld, kurz vorher und kurz danach, dann würde ich nicht sagen, dass Schiedsrichterinnen stärker gefährdet sind. Im Gegenteil, im weiblichen Spielbetrieb kommt es zu fast gar keinen Vorfällen. Fasst man unter den Gewaltbegriff allerdings auch sexualisierte Gewalt und Cybermobbing und betrachtet auch die Zeiten zwischen den Spielen, dann kann ich mir vorstellen, sieht die Lage anders aus.

Wie können Schiedsrichter:innen zukünftig besser vor Gewalt geschützt werden?
Ich habe vor allem im Blick, die Schiedsrichter selber besser auszubilden und zu qualifizieren. Ich möchte mit ihnen erarbeiten, wie sie auf dem Feld auftreten wollen beziehungsweise welche Konsequenzen ihr Auftreten hat und wie sie bereits im Vorfeld eine gute Verbindung zu Trainern und Spielern aufbauen können. Das wird auch fester Bestandteil der Schiedsrichterausbildung sein und genauso wird es ein Qualifizierungsangebot für alle bestehenden Schiedsrichter geben, die das im Rahmen ihrer Grundausbildung nicht mitnehmen konnten. Es wird außerdem eine größere Verzahnung zwischen dem Trainer- und Schiedsrichterbereich geben, um auch die Trainer mitzunehmen. Und langfristig soll natürlich in den Vereinen mit den Mannschaften gearbeitet werden, sodass Spieler besser nachvollziehen können, was es eigentlich bedeutet, Schiri zu sein und welche Herausforderungen der Job mit sich bringt.

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