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Sieht Luft nach oben. Leon Goretzka (l.) brachte das DFB-Team auf die Siegerstraße.

© Christian Charisius/dpa

Nach der erfolgreichen EM-Qualifikation: Wo steht die deutsche Nationalmannschaft?

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat sich vorzeitig für die EM qualifiziert. Was bei dem Turnier von ihr zu erwarten ist, ist längst nicht klar.

Als der Stadionsprecher den verbliebenen Zuschauern im hochtourigen Ton eines Marktschreiers die frohe Kunde überbrachte, geriet ihm noch einmal einiges durcheinander. Jetzt sei es sicher, vermeldete er: Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft habe die Qualifikation für die Europameisterschaft geschafft, weil Holland im gerade zu Ende gegangenen Parallelspiel in Nordirland nicht gewonnen habe. In Wirklichkeit war es natürlich so, dass die Deutschen die Qualifikation vorzeitig geschafft hatten, weil Holland nicht verloren hatte.

Zufrieden fürs Erste. Bundestrainer Joachim Löw kam mit den Personalproblemen gut zurecht.
Zufrieden fürs Erste. Bundestrainer Joachim Löw kam mit den Personalproblemen gut zurecht.

© Christian Charisius/dpa

Der Wortbeitrag des Stadionsprechers fügte sich bestens in die Schwierigkeiten, die die Nationalspieler schon vor dem Spiel gegen Weißrussland offenbart hatten. Niemand schien so recht zu wissen, wer wie spielen muss, damit es schon vor dem letzten Gruppenspiel mit der Qualifikation klappt. Über diesen leichten Anflug von Dyskalkulie muss man gnädig hinwegsehen: Als deutscher Nationalspieler ist man es einfach nicht mehr gewohnt, am Ende einer Qualifikationsrunde rechnen zu müssen. Die Teilnahme an großen Turnieren war in jüngerer Vergangenheit schlicht und einfach eine Selbstverständlichkeit.

Solche Gewissheiten sind zuletzt ein wenig ins Wanken geraten. Der ungefährdete 4:0-Erfolg gegen Weißrussland mit seinen Konsequenzen für die Gesamtkonstellation in Gruppe C war daher in gewisser Weise die Wiederherstellung des Normalzustands: Die Nationalmannschaft ist doch noch an den aufmüpfigen Holländern vorbeigezogen und nun vor dem letzten Spieltag sogar Tabellenführer. Die Frage allerdings, ob mit den Deutschen bei der EM im kommenden Sommer schon wieder ernsthaft zu rechnen sein wird, ist derzeit noch nicht seriös zu beantworten.

Zum einen war der Gegner am Samstagabend in Mönchengladbach, die Nummer 86 der Welt, nicht gut genug. Zum anderen durchläuft die Nationalmannschaft gerade einen Findungsprozess, dessen Fortschritte noch nicht abzuschätzen sind. „Es ist noch ein weiter Weg“, sagte Leon Goretzka, der das zwischenzeitliche 2:0 erzielt hatte. „Wir können in fast allen Bereichen noch Dinge besser machen.“

Der Sieg gegen Weißrussland und die daraus folgende EM-Qualifikation seien jedenfalls „kein Grund zu eskalieren“, fand Goretzka. „Ich weiß nicht, ob dieses Spiel groß was an unseren Hoffnungen ändert.“ Die Deutschen hatten das getan, was man gegen eine Mannschaft tun muss, die sich beim Stand von 0:0 vor allem auf die Verbarrikadierung des eigenen Tores beschränkte. Sie versuchten, den Gegner zu überfordern, indem sie sich um ein stabil hohes Tempo bemühten – was allerdings gelegentlich zu Lasten der Präzision ging.

Bundestrainer Löw klagt erneut über Personalprobleme

„Es war insgesamt geprägt von einer guten Spielfreude“, sagte Bundestrainer Joachim Löw über das Spiel seiner Mannschaft. Trotzdem gebe es „schon auch noch einiges an Arbeit“. In der zweiten Halbzeit ließen die Deutschen gegen den eigentlich harmlosen Gegner mehr Chancen zu, als es eigentlich gesund ist, inklusive eines Foulelfmeters, den Torhüter Manuel Neuer parierte. „Mir persönlich hat es nicht gefallen, wie oft der Gegner in der zweiten Halbzeit vor dem Tor aufgetaucht ist“, klagte Mittelfeldspieler Goretzka. „Als Kollektiv haben wir ein Stück weit nachgelassen.“

Solche Nachlässigkeiten lassen sich bis zu einem gewissen Grad mit den Gegebenheiten erklären, mit denen der Bundestrainer im Moment zurechtkommen muss. Löw hat schon mehrmals erklärt, dass die Personalprobleme der vergangenen Monate die Entwicklung der Mannschaft erheblich erschwert hätten. „Ich finde, dass ein paar Sachen schon deutlich besser klappen als vor einem Jahr“, sagte Toni Kroos. „Aber es ist nach wie vor Luft nach oben. Man merkt, dass manchmal noch ein bisschen Erfahrung fehlt.“

Insofern war es vermutlich kein Zufall, dass es sich bei den drei prägenden Figuren des Spiels gegen die Weißrussen um die drei verbliebenen Weltmeister von 2014 handelte. Torhüter Neuer bewahrte das Team mit seinen Paraden mehrmals vor einem Gegentor. Matthias Ginter, eigentlich Innenverteidiger, erzielte kurz vor der Pause den Treffer zum 1:0, der den Widerstand der Weißrussen erheblich ins Wanken brachte, und Toni Kroos, dessen Auftritt Bundestrainer Löw als überragend bewertete, steuerte die letzten beiden Tore des Abends bei.

Gruß der Zukunft: Leon Goretzka und Robin Koch (r.).
Gruß der Zukunft: Leon Goretzka und Robin Koch (r.).

© Federico Gambarini/dpa

„Wir sind eine hungrige Truppe, die sich entwickeln will“, sagte Leon Goretzka. Aber bei allem jugendlichem Elan wird die Mannschaft bei der EM vor allem eine stabile Achse benötigen, um ihre nach wie vor vorhandenen strukturellen Defizite zu kompensieren. Die beiden Außenverteidiger Lukas Klostermann und Nico Schulz fielen fußballerisch deutlich ab. Die Offensivspieler Timo Werner, Serge Gnabry und Julia Brandt sind bei aller Qualität in ihren Leistungen noch zu schwankend, und auch in der Innenverteidigung bleiben angesichts der derzeit verfügbaren Kandidaten noch ein paar Zweifel an der Konkurrenzfähigkeit auf höchstem internationalen Niveau.

„Wir haben sehr, sehr viel Talent dabei“, sagte Joshua Kimmich, der trotz seines jugendlichen Alters von 24 Jahren mit nun 47 Länderspielen schon zu den Routiniers der Nationalmannschaft gehört, „aber wir müssen zeigen, dass wir mehr sind als nur talentierte Spieler.“

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